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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Rote Kreuz

hervorragender Mediziner, Staatsrechtslehrer und Humanisten. Ihnen boten die
Kämpfe in Serbien 1895, in Griechenland, in China 1899, in Transvaal 1900,
in der Mandschurei und in Südwestafrika 1904 bis 1906 reichlichen Stoff sür
die Vorschläge, mit denen sie in der Presse, in der Literatur, im Vereinswesen
hervortraten und die öffentliche Meinung für bessere Hilfsleistungen auf dem
Schlachtfelde und für die Versorgung und einheitliche Behandlung der Kriegs¬
gefangenen zu interessieren suchten. Diese Anregungen fielen auf einen um so
fruchtbareren Boden, als an den vorstehend genannten Kämpfen die Vertreter
der verschiedensten Gesellschaften des Roten Kreuzes Anteil genommen und sich
als Helfer in den Dienst der internationalen Hilfstätigkeit gestellt hatten.

Solche Bewegung zugunsten der Humanität gab dem Schweizer Bundesrat
im Jahre 1906 Veranlassung, den Signatärstaaten der ursprünglichen, inzwischen
aber veralteten Konvention eine Durchsicht und Verbesserung der nicht mehr
lebensfähigen Bestimmungen aus früheren Zeiten vorzuschlagen und zu diesem
Zweck Vertreter dieser Staaten zu einer Beratung nach Genf einzuladen, die im
Juni 1906 stattfand. Aus den Beratungen der Teilnehmer ging dann ein
vollständig neues Werk hervor, das den Bedürfnissen des Tages Rechnung trägt
und die unklaren, lückenhaften und schwankenden Satzungen des alten Vertrages
teils ganz beseitigt, teils ergänzt, vervollständigt und verdeutlicht.

Den Boden für die Beratungen gab eine Verständigung über die Frage,
inwieweit der Humanität im Kriege ein Feld eingeräumt werden dürfe. Man
einigte sich über diese Frage in der Anerkennung des Grundsatzes, daß von
Ansprüchen der Humanität im Kriege nur so weit die Rede sein könne, als Natur
und Zweck des Kampfes dies gestatten, d. h. jede Einrichtung für Menschenwohl
muß sich der Kriegführung anschließen, jedes im Dienst der Humanität arbeitende
Organ muß sich der Kriegführung unterordnen. Anderseits muß, soweit das
Vorrecht des Krieges es gestattet, die Humanität zugelassen werden. Alle
unnötigen Beschränkungen der Humanität, die von den Zwecken des Krieges
nicht gefordert werden, fallen unbedingt fort, denn Recht wie Nutzen der
Menschenfreundlichkeit sind so groß, so segensreich, daß sie zugelassen werden
müssen, soweit es irgend angeht.

Ebenso wie über diese Sache herrschte auch darüber erfreulicherweise Über¬
einstimmung der Anschauungen, daß das rauhe Kriegsrecht diesseits der
gezogenen Grenze noch Raum läßt für das Walten der Nächstenliebe. Als
falsch, weil im Widerspruch zur Moral unseres Zeitalters stehend, wurde die
Forderung angesehen, daß jede Berücksichtigung der Humanität mit den Zwecken
des Krieges unvereinbar sei, und dabei hervorgehoben, wie es den Grund¬
begriffen des modernen Völkerrechts entspreche, daß auch die entschiedenste Aner¬
kennung der Unbeschränktheit der Kriegszwecke ein völliges Zurücktreten der
Humanität durchaus nicht erfordere.

Dem in diesem Geist gehaltenen neuen Abkommen entspricht der Vertrag
des Jahres 1906, an dessen Spitze der Grundsatz gestellt ist, daß fortan der


Das Rote Kreuz

hervorragender Mediziner, Staatsrechtslehrer und Humanisten. Ihnen boten die
Kämpfe in Serbien 1895, in Griechenland, in China 1899, in Transvaal 1900,
in der Mandschurei und in Südwestafrika 1904 bis 1906 reichlichen Stoff sür
die Vorschläge, mit denen sie in der Presse, in der Literatur, im Vereinswesen
hervortraten und die öffentliche Meinung für bessere Hilfsleistungen auf dem
Schlachtfelde und für die Versorgung und einheitliche Behandlung der Kriegs¬
gefangenen zu interessieren suchten. Diese Anregungen fielen auf einen um so
fruchtbareren Boden, als an den vorstehend genannten Kämpfen die Vertreter
der verschiedensten Gesellschaften des Roten Kreuzes Anteil genommen und sich
als Helfer in den Dienst der internationalen Hilfstätigkeit gestellt hatten.

Solche Bewegung zugunsten der Humanität gab dem Schweizer Bundesrat
im Jahre 1906 Veranlassung, den Signatärstaaten der ursprünglichen, inzwischen
aber veralteten Konvention eine Durchsicht und Verbesserung der nicht mehr
lebensfähigen Bestimmungen aus früheren Zeiten vorzuschlagen und zu diesem
Zweck Vertreter dieser Staaten zu einer Beratung nach Genf einzuladen, die im
Juni 1906 stattfand. Aus den Beratungen der Teilnehmer ging dann ein
vollständig neues Werk hervor, das den Bedürfnissen des Tages Rechnung trägt
und die unklaren, lückenhaften und schwankenden Satzungen des alten Vertrages
teils ganz beseitigt, teils ergänzt, vervollständigt und verdeutlicht.

Den Boden für die Beratungen gab eine Verständigung über die Frage,
inwieweit der Humanität im Kriege ein Feld eingeräumt werden dürfe. Man
einigte sich über diese Frage in der Anerkennung des Grundsatzes, daß von
Ansprüchen der Humanität im Kriege nur so weit die Rede sein könne, als Natur
und Zweck des Kampfes dies gestatten, d. h. jede Einrichtung für Menschenwohl
muß sich der Kriegführung anschließen, jedes im Dienst der Humanität arbeitende
Organ muß sich der Kriegführung unterordnen. Anderseits muß, soweit das
Vorrecht des Krieges es gestattet, die Humanität zugelassen werden. Alle
unnötigen Beschränkungen der Humanität, die von den Zwecken des Krieges
nicht gefordert werden, fallen unbedingt fort, denn Recht wie Nutzen der
Menschenfreundlichkeit sind so groß, so segensreich, daß sie zugelassen werden
müssen, soweit es irgend angeht.

Ebenso wie über diese Sache herrschte auch darüber erfreulicherweise Über¬
einstimmung der Anschauungen, daß das rauhe Kriegsrecht diesseits der
gezogenen Grenze noch Raum läßt für das Walten der Nächstenliebe. Als
falsch, weil im Widerspruch zur Moral unseres Zeitalters stehend, wurde die
Forderung angesehen, daß jede Berücksichtigung der Humanität mit den Zwecken
des Krieges unvereinbar sei, und dabei hervorgehoben, wie es den Grund¬
begriffen des modernen Völkerrechts entspreche, daß auch die entschiedenste Aner¬
kennung der Unbeschränktheit der Kriegszwecke ein völliges Zurücktreten der
Humanität durchaus nicht erfordere.

Dem in diesem Geist gehaltenen neuen Abkommen entspricht der Vertrag
des Jahres 1906, an dessen Spitze der Grundsatz gestellt ist, daß fortan der


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[0417] Das Rote Kreuz hervorragender Mediziner, Staatsrechtslehrer und Humanisten. Ihnen boten die Kämpfe in Serbien 1895, in Griechenland, in China 1899, in Transvaal 1900, in der Mandschurei und in Südwestafrika 1904 bis 1906 reichlichen Stoff sür die Vorschläge, mit denen sie in der Presse, in der Literatur, im Vereinswesen hervortraten und die öffentliche Meinung für bessere Hilfsleistungen auf dem Schlachtfelde und für die Versorgung und einheitliche Behandlung der Kriegs¬ gefangenen zu interessieren suchten. Diese Anregungen fielen auf einen um so fruchtbareren Boden, als an den vorstehend genannten Kämpfen die Vertreter der verschiedensten Gesellschaften des Roten Kreuzes Anteil genommen und sich als Helfer in den Dienst der internationalen Hilfstätigkeit gestellt hatten. Solche Bewegung zugunsten der Humanität gab dem Schweizer Bundesrat im Jahre 1906 Veranlassung, den Signatärstaaten der ursprünglichen, inzwischen aber veralteten Konvention eine Durchsicht und Verbesserung der nicht mehr lebensfähigen Bestimmungen aus früheren Zeiten vorzuschlagen und zu diesem Zweck Vertreter dieser Staaten zu einer Beratung nach Genf einzuladen, die im Juni 1906 stattfand. Aus den Beratungen der Teilnehmer ging dann ein vollständig neues Werk hervor, das den Bedürfnissen des Tages Rechnung trägt und die unklaren, lückenhaften und schwankenden Satzungen des alten Vertrages teils ganz beseitigt, teils ergänzt, vervollständigt und verdeutlicht. Den Boden für die Beratungen gab eine Verständigung über die Frage, inwieweit der Humanität im Kriege ein Feld eingeräumt werden dürfe. Man einigte sich über diese Frage in der Anerkennung des Grundsatzes, daß von Ansprüchen der Humanität im Kriege nur so weit die Rede sein könne, als Natur und Zweck des Kampfes dies gestatten, d. h. jede Einrichtung für Menschenwohl muß sich der Kriegführung anschließen, jedes im Dienst der Humanität arbeitende Organ muß sich der Kriegführung unterordnen. Anderseits muß, soweit das Vorrecht des Krieges es gestattet, die Humanität zugelassen werden. Alle unnötigen Beschränkungen der Humanität, die von den Zwecken des Krieges nicht gefordert werden, fallen unbedingt fort, denn Recht wie Nutzen der Menschenfreundlichkeit sind so groß, so segensreich, daß sie zugelassen werden müssen, soweit es irgend angeht. Ebenso wie über diese Sache herrschte auch darüber erfreulicherweise Über¬ einstimmung der Anschauungen, daß das rauhe Kriegsrecht diesseits der gezogenen Grenze noch Raum läßt für das Walten der Nächstenliebe. Als falsch, weil im Widerspruch zur Moral unseres Zeitalters stehend, wurde die Forderung angesehen, daß jede Berücksichtigung der Humanität mit den Zwecken des Krieges unvereinbar sei, und dabei hervorgehoben, wie es den Grund¬ begriffen des modernen Völkerrechts entspreche, daß auch die entschiedenste Aner¬ kennung der Unbeschränktheit der Kriegszwecke ein völliges Zurücktreten der Humanität durchaus nicht erfordere. Dem in diesem Geist gehaltenen neuen Abkommen entspricht der Vertrag des Jahres 1906, an dessen Spitze der Grundsatz gestellt ist, daß fortan der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/417>, abgerufen am 22.07.2024.