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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspicgel

Man darf nicht vergessen, daß der Grundgedanke dieser kapitalistischen Zusammen¬
fassungen an sich ein gesunder ist, nämlich der erleichterter Kapitalbeschaffung
zum Zwecke möglichst großer technischer Vollendung und Wirtschaftlichkeit in der
Produktion sowohl als im Vertriebe. Diese sür die moderne Volkswirtschaft
so außerordentlich charakteristischen Gebilde bedeuten zweifellos von diesem
Gesichtspunkte aus einen wirtschaftlichen Fortschritt und stellen eine neue, höhere
Stufe der Gütererzeugung dar. Sie sind auch keineswegs notwendigerweise mit
den Mißbräuchen verbunden, welche den Namen der Trusts in einen so üblen
Ruf gebracht haben. Bei den amerikanischen Trustgesellschaften treten freilich
die schlechten Seiten: Mißbrauch der wirtschaftlichen Übermacht zum Schaden
der Konkurrenz und der Verbraucher, politische Korruption, Überkapitalisation,
Börsenspekulation derart in den Vordergrund, daß das Urteil über ihre Wirksamkeit
vernichtend ausfallen muß. Dies gilt von keiner dieser Organisationen mehr
als von der Standard Oil, die aus kleinen Anfängen sich zum kapitalgewaltigsten
Unternehmen, freilich mit Hilfe der verwerflichsten Mittel, unter Hintansetzung
aller kaufmännischen Moral, emporgeschwungen hat und heute nicht nur als
unumschränkter Herrscher der Welt auf dein Petroleummarkt gebietet, sondern
ebenso Eisenbahnen, Banken, industrielle und Versicherungsgesellschaften sich
Untertan gemacht hat und durch die Vielfältigkeit ihrer Interessen und ihre
ungeheuren Geldmittel die Börse nach ihrem Willen zu leiten vermag. Die
Standard Oil verfügt über ein eigenes Kapital von über 200 Millionen Dollar;
die Interessen von mehr als hundertfünfzig Einzelgesellschaften sind in ihr
zusammengefaßt. Ihre Entwicklungsgeschichte bietet ein trübes Bild; die
rücksichtslose Vernichtung der Konkurrenten, unter Zuhilfenahme betrügerischer
Mittel namentlich geheimer Vorzugsvereinbarungen mit den Eisenbahnen
(Praktiken, die ihr seinerzeit die vielbesprochene, aber wieder aufgehobene Geld¬
strafe von 29 Millionen Dollar eintrugen), Übervorteilung des Publikums bei
der Unterbringung von Wertpapieren, gewissenlose Beeinflussung der Börse durch
Herbeiführung von Kurssteigerungen oder plötzlichen Zusammenbrüchen, stellen
die hauptsächlichsten Züge in demselben dar. Der finanzielle Erfolg war aber
glänzend: die Gesellschaft hat seit dein Jahre 1882 nicht weniger als
!>00 Millionen Dollar Reingewinn erzielt, und Rockefeller darf sich mit Recht
als den reichsten Mann der Welt bezeichnen. Die amerikanische Regierung hat
gewiß die Sympathien aller redlich Denkenden auf ihrer Seite, wenn sie versucht,
so ungeheuerlichen Mißbräuchen zu steuern. Leider aber ist durch die politische
Macht der Trusts ihr Borgehen gehemmt. Hat doch selbst Noosevelt vor dieser
kapitulieren müssen. Vor allen: aber find auch die gewählten Mittel falsch.
Nicht das ist die Aufgabe, durch zwecklose Verbotsgesetze diese Organisationen
zu beseitigen, sondern deren lebensfähigen Kern unter Entfernung der Aus¬
wüchse weiter zu entwickeln. Hierzu wäre aber eine grundlegende Änderung
in der wirtschaftlichen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten vonnöten. Ein
gutes Miengcsetz nach dem Muster des deutschen, eine Reform des Geldwesens


Reichsspicgel

Man darf nicht vergessen, daß der Grundgedanke dieser kapitalistischen Zusammen¬
fassungen an sich ein gesunder ist, nämlich der erleichterter Kapitalbeschaffung
zum Zwecke möglichst großer technischer Vollendung und Wirtschaftlichkeit in der
Produktion sowohl als im Vertriebe. Diese sür die moderne Volkswirtschaft
so außerordentlich charakteristischen Gebilde bedeuten zweifellos von diesem
Gesichtspunkte aus einen wirtschaftlichen Fortschritt und stellen eine neue, höhere
Stufe der Gütererzeugung dar. Sie sind auch keineswegs notwendigerweise mit
den Mißbräuchen verbunden, welche den Namen der Trusts in einen so üblen
Ruf gebracht haben. Bei den amerikanischen Trustgesellschaften treten freilich
die schlechten Seiten: Mißbrauch der wirtschaftlichen Übermacht zum Schaden
der Konkurrenz und der Verbraucher, politische Korruption, Überkapitalisation,
Börsenspekulation derart in den Vordergrund, daß das Urteil über ihre Wirksamkeit
vernichtend ausfallen muß. Dies gilt von keiner dieser Organisationen mehr
als von der Standard Oil, die aus kleinen Anfängen sich zum kapitalgewaltigsten
Unternehmen, freilich mit Hilfe der verwerflichsten Mittel, unter Hintansetzung
aller kaufmännischen Moral, emporgeschwungen hat und heute nicht nur als
unumschränkter Herrscher der Welt auf dein Petroleummarkt gebietet, sondern
ebenso Eisenbahnen, Banken, industrielle und Versicherungsgesellschaften sich
Untertan gemacht hat und durch die Vielfältigkeit ihrer Interessen und ihre
ungeheuren Geldmittel die Börse nach ihrem Willen zu leiten vermag. Die
Standard Oil verfügt über ein eigenes Kapital von über 200 Millionen Dollar;
die Interessen von mehr als hundertfünfzig Einzelgesellschaften sind in ihr
zusammengefaßt. Ihre Entwicklungsgeschichte bietet ein trübes Bild; die
rücksichtslose Vernichtung der Konkurrenten, unter Zuhilfenahme betrügerischer
Mittel namentlich geheimer Vorzugsvereinbarungen mit den Eisenbahnen
(Praktiken, die ihr seinerzeit die vielbesprochene, aber wieder aufgehobene Geld¬
strafe von 29 Millionen Dollar eintrugen), Übervorteilung des Publikums bei
der Unterbringung von Wertpapieren, gewissenlose Beeinflussung der Börse durch
Herbeiführung von Kurssteigerungen oder plötzlichen Zusammenbrüchen, stellen
die hauptsächlichsten Züge in demselben dar. Der finanzielle Erfolg war aber
glänzend: die Gesellschaft hat seit dein Jahre 1882 nicht weniger als
!>00 Millionen Dollar Reingewinn erzielt, und Rockefeller darf sich mit Recht
als den reichsten Mann der Welt bezeichnen. Die amerikanische Regierung hat
gewiß die Sympathien aller redlich Denkenden auf ihrer Seite, wenn sie versucht,
so ungeheuerlichen Mißbräuchen zu steuern. Leider aber ist durch die politische
Macht der Trusts ihr Borgehen gehemmt. Hat doch selbst Noosevelt vor dieser
kapitulieren müssen. Vor allen: aber find auch die gewählten Mittel falsch.
Nicht das ist die Aufgabe, durch zwecklose Verbotsgesetze diese Organisationen
zu beseitigen, sondern deren lebensfähigen Kern unter Entfernung der Aus¬
wüchse weiter zu entwickeln. Hierzu wäre aber eine grundlegende Änderung
in der wirtschaftlichen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten vonnöten. Ein
gutes Miengcsetz nach dem Muster des deutschen, eine Reform des Geldwesens


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[0393] Reichsspicgel Man darf nicht vergessen, daß der Grundgedanke dieser kapitalistischen Zusammen¬ fassungen an sich ein gesunder ist, nämlich der erleichterter Kapitalbeschaffung zum Zwecke möglichst großer technischer Vollendung und Wirtschaftlichkeit in der Produktion sowohl als im Vertriebe. Diese sür die moderne Volkswirtschaft so außerordentlich charakteristischen Gebilde bedeuten zweifellos von diesem Gesichtspunkte aus einen wirtschaftlichen Fortschritt und stellen eine neue, höhere Stufe der Gütererzeugung dar. Sie sind auch keineswegs notwendigerweise mit den Mißbräuchen verbunden, welche den Namen der Trusts in einen so üblen Ruf gebracht haben. Bei den amerikanischen Trustgesellschaften treten freilich die schlechten Seiten: Mißbrauch der wirtschaftlichen Übermacht zum Schaden der Konkurrenz und der Verbraucher, politische Korruption, Überkapitalisation, Börsenspekulation derart in den Vordergrund, daß das Urteil über ihre Wirksamkeit vernichtend ausfallen muß. Dies gilt von keiner dieser Organisationen mehr als von der Standard Oil, die aus kleinen Anfängen sich zum kapitalgewaltigsten Unternehmen, freilich mit Hilfe der verwerflichsten Mittel, unter Hintansetzung aller kaufmännischen Moral, emporgeschwungen hat und heute nicht nur als unumschränkter Herrscher der Welt auf dein Petroleummarkt gebietet, sondern ebenso Eisenbahnen, Banken, industrielle und Versicherungsgesellschaften sich Untertan gemacht hat und durch die Vielfältigkeit ihrer Interessen und ihre ungeheuren Geldmittel die Börse nach ihrem Willen zu leiten vermag. Die Standard Oil verfügt über ein eigenes Kapital von über 200 Millionen Dollar; die Interessen von mehr als hundertfünfzig Einzelgesellschaften sind in ihr zusammengefaßt. Ihre Entwicklungsgeschichte bietet ein trübes Bild; die rücksichtslose Vernichtung der Konkurrenten, unter Zuhilfenahme betrügerischer Mittel namentlich geheimer Vorzugsvereinbarungen mit den Eisenbahnen (Praktiken, die ihr seinerzeit die vielbesprochene, aber wieder aufgehobene Geld¬ strafe von 29 Millionen Dollar eintrugen), Übervorteilung des Publikums bei der Unterbringung von Wertpapieren, gewissenlose Beeinflussung der Börse durch Herbeiführung von Kurssteigerungen oder plötzlichen Zusammenbrüchen, stellen die hauptsächlichsten Züge in demselben dar. Der finanzielle Erfolg war aber glänzend: die Gesellschaft hat seit dein Jahre 1882 nicht weniger als !>00 Millionen Dollar Reingewinn erzielt, und Rockefeller darf sich mit Recht als den reichsten Mann der Welt bezeichnen. Die amerikanische Regierung hat gewiß die Sympathien aller redlich Denkenden auf ihrer Seite, wenn sie versucht, so ungeheuerlichen Mißbräuchen zu steuern. Leider aber ist durch die politische Macht der Trusts ihr Borgehen gehemmt. Hat doch selbst Noosevelt vor dieser kapitulieren müssen. Vor allen: aber find auch die gewählten Mittel falsch. Nicht das ist die Aufgabe, durch zwecklose Verbotsgesetze diese Organisationen zu beseitigen, sondern deren lebensfähigen Kern unter Entfernung der Aus¬ wüchse weiter zu entwickeln. Hierzu wäre aber eine grundlegende Änderung in der wirtschaftlichen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten vonnöten. Ein gutes Miengcsetz nach dem Muster des deutschen, eine Reform des Geldwesens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/393>, abgerufen am 22.07.2024.