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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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jemand Professor der Rechtswissenschaften werden kann, der nur den Referendar
und Dr. jur. gemacht hat, nicht einmal die vierjährige Ausbildung als Referendar
genossen und noch weniger die befruchtende Praxis des selbständigen Arbeiten?,
als Assessor auf sich hat wirken lassen. Es ist auch gar kein Bedürfnis vor¬
handen, daß junge Leute zwischen einundzwanzig und sechsundzwanzig Jahren
die Lehrstühle deutscher Hochschulen besteigen.

Erreichen wir es aber einmal, daß die Lehrstühle der Jurisprudenz an Leute
in dem Alter vergeben werden, in welchem der Leiter einer großen Klinik heute zur
ordentlichen Professur in der Medizin berufen wird, so werden dann vielleicht
ein paar dickleibige Bücher weniger geschrieben werden, aber wir werden durchweg
Lehrer der juristischen Jugend haben, welche auf eine langjährige praktische
Erfahrung zurückblicken, und welchen diese Praxis ganz anders die Augen für
die Zwecke der Nechtsgebilde, für wirtschaftliche und soziale Bedeutung des
Rechts geöffnet haben wird, als es die graue Theorie allein vermag. Das ist
aber die Forderung der Freirechtschule, daß die Studenten nicht bloß durch den
Rechtsunterricht in die Zustände der Vergangenheit eingeführt werden, daß sie
das geltende Recht nicht bloß inhaltlich kennen lernen, sondern daß die Uni¬
versitäten bereits an das praktische Leben anknüpfen und den Sinn für Recht
und Gerechtigkeit wecken dort, wo bisher nur Kenntnisse vom Recht gesammelt
worden sind.

Neben das Studium des Rechts muß als gleich wichtiges und im Examen
zu prüfendes Fach die Volkswirtschaftslehre treten. Wie foll der künftige Richter
Verständnis für alle Erscheinungen unseres vielseitigen wirtschaftlichen Lebens
haben, wie soll er wirtschaftliche Jnteressenwägungeu bei Lücken des Gesetzes
vornehmen können, wenn er nicht dem Studium unseres Wirtschaftslebens
obgelegen hat. Weitere unentbehrliche Hilfsfächer des Juristen sind: Kriminal¬
psychologie, Kriminalistik und Rhetorik.

Auch die bereits in der Praxis stehende Jnristengeneration wird für die
neuen Aufgaben, welche das veränderte Volks- und Wirtschaftsleben an die
Juristen stellt, noch am ausgiebigsten gewonnen werden können, wenn man ihr
Gelegenheit gibt, in Fortbildungskursen sich auf den genannten Gebieten zu
unterrichten und vor allem das Recht, welches sie bisher immer nur gewohnt
waren von der rein juristischen Seite zu sehen, auch in seinem Zusammenhange
mit dem Wirtschaftsleben in seinen wirtschaftlichen Wirkungen kennen zu lernen.
Solche Fortbildungskurse sind seit einigen Jahren bereits auf das glücklichste
von der "Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung" gepflegt worden;
aber die Zahl derer, welche zu Berlin, Köln und Posen an diesen Kursen teil¬
nehmen können, ist bisher noch eine zu beschränkte gewesen. Es wäre sehr
erstrebenswert, wenn diese Unternehmen auf eine breitere Basis gestellt werden
könnten.

All diesen Aufgaben will sich die neue Vereinigung "Recht und Wirtschaft"
widmen. Es sind dies Aufgaben, nach deren Erfüllung unser Zeitalter geradezu


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jemand Professor der Rechtswissenschaften werden kann, der nur den Referendar
und Dr. jur. gemacht hat, nicht einmal die vierjährige Ausbildung als Referendar
genossen und noch weniger die befruchtende Praxis des selbständigen Arbeiten?,
als Assessor auf sich hat wirken lassen. Es ist auch gar kein Bedürfnis vor¬
handen, daß junge Leute zwischen einundzwanzig und sechsundzwanzig Jahren
die Lehrstühle deutscher Hochschulen besteigen.

Erreichen wir es aber einmal, daß die Lehrstühle der Jurisprudenz an Leute
in dem Alter vergeben werden, in welchem der Leiter einer großen Klinik heute zur
ordentlichen Professur in der Medizin berufen wird, so werden dann vielleicht
ein paar dickleibige Bücher weniger geschrieben werden, aber wir werden durchweg
Lehrer der juristischen Jugend haben, welche auf eine langjährige praktische
Erfahrung zurückblicken, und welchen diese Praxis ganz anders die Augen für
die Zwecke der Nechtsgebilde, für wirtschaftliche und soziale Bedeutung des
Rechts geöffnet haben wird, als es die graue Theorie allein vermag. Das ist
aber die Forderung der Freirechtschule, daß die Studenten nicht bloß durch den
Rechtsunterricht in die Zustände der Vergangenheit eingeführt werden, daß sie
das geltende Recht nicht bloß inhaltlich kennen lernen, sondern daß die Uni¬
versitäten bereits an das praktische Leben anknüpfen und den Sinn für Recht
und Gerechtigkeit wecken dort, wo bisher nur Kenntnisse vom Recht gesammelt
worden sind.

Neben das Studium des Rechts muß als gleich wichtiges und im Examen
zu prüfendes Fach die Volkswirtschaftslehre treten. Wie foll der künftige Richter
Verständnis für alle Erscheinungen unseres vielseitigen wirtschaftlichen Lebens
haben, wie soll er wirtschaftliche Jnteressenwägungeu bei Lücken des Gesetzes
vornehmen können, wenn er nicht dem Studium unseres Wirtschaftslebens
obgelegen hat. Weitere unentbehrliche Hilfsfächer des Juristen sind: Kriminal¬
psychologie, Kriminalistik und Rhetorik.

Auch die bereits in der Praxis stehende Jnristengeneration wird für die
neuen Aufgaben, welche das veränderte Volks- und Wirtschaftsleben an die
Juristen stellt, noch am ausgiebigsten gewonnen werden können, wenn man ihr
Gelegenheit gibt, in Fortbildungskursen sich auf den genannten Gebieten zu
unterrichten und vor allem das Recht, welches sie bisher immer nur gewohnt
waren von der rein juristischen Seite zu sehen, auch in seinem Zusammenhange
mit dem Wirtschaftsleben in seinen wirtschaftlichen Wirkungen kennen zu lernen.
Solche Fortbildungskurse sind seit einigen Jahren bereits auf das glücklichste
von der „Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung" gepflegt worden;
aber die Zahl derer, welche zu Berlin, Köln und Posen an diesen Kursen teil¬
nehmen können, ist bisher noch eine zu beschränkte gewesen. Es wäre sehr
erstrebenswert, wenn diese Unternehmen auf eine breitere Basis gestellt werden
könnten.

All diesen Aufgaben will sich die neue Vereinigung „Recht und Wirtschaft"
widmen. Es sind dies Aufgaben, nach deren Erfüllung unser Zeitalter geradezu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/354>, abgerufen am 22.07.2024.