Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Eine Sommerreise durch das Baltenland diese Flügel werden reizvoll abgeschlossen durch Eckpavillons in der Art des Sehr interessant waren mir in dieser Gegend namentlich auch die Ansied- Dreißig Kilometer weiter aufwärts an der Aa, aber nicht unmittelbar am Eine Viertelstunde vor der Stadt, am Rande eines der für ganz Livland Eine Sommerreise durch das Baltenland diese Flügel werden reizvoll abgeschlossen durch Eckpavillons in der Art des Sehr interessant waren mir in dieser Gegend namentlich auch die Ansied- Dreißig Kilometer weiter aufwärts an der Aa, aber nicht unmittelbar am Eine Viertelstunde vor der Stadt, am Rande eines der für ganz Livland <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318614"/> <fw type="header" place="top"> Eine Sommerreise durch das Baltenland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1519" prev="#ID_1518"> diese Flügel werden reizvoll abgeschlossen durch Eckpavillons in der Art des<lb/> Mittelbaues.</p><lb/> <p xml:id="ID_1520"> Sehr interessant waren mir in dieser Gegend namentlich auch die Ansied-<lb/> lungen der Letten, die wie die alten Germanen nicht in Dörfern, sondern in<lb/> Einzelhöfen leben. Nach den üblichen Beschreibungen hatte ich mir elende Hütten<lb/> und entsprechend aussehende Menschen vorgestellt. Beides trifft nicht zu, und<lb/> das prächtige Vieh, das auf der Weide lief, sprach ohne weiteres für die Richtigkeit<lb/> der Mitteilung meines landeskundigen Führers, wonach ein großer Teil der<lb/> „dänischen" Butter, die durch die ganze Welt geht — man kann davon nicht<lb/> bloß in Sizilien, sondern auch in der Schweiz bekommen — in Livland gewonnen<lb/> wird. Angenehm aufgefallen sind mir vor den Lettenhäusern fast überall kleine<lb/> Gärtchen, in denen neben herrlich gedeihenden Arzneipflanzen (^rcnanZelica,<lb/> ^Vlalva u. a.) auch gut gepflegte Zierpflanzen zu sehen waren. Wiederholt habe<lb/> ich beobachtet, daß die Giebelbalken der Häuser über dem First sich kreuzen<lb/> und daß ihre Enden in geschnitzte Tierköpfe auslaufen wie in Niedersachsen,<lb/> nur sind es bei den Letten Vogelkopfe, bei den Westfalen bekanntlich Pferde¬<lb/> köpfe. Diese kleinen Züge seien erwähnt, weil die Völkerkunde die Letten zwischen<lb/> die eigentlichen Slawen und die Germanen stellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1521"> Dreißig Kilometer weiter aufwärts an der Aa, aber nicht unmittelbar am<lb/> Fluß, liegt das Städtchen Wenden mit der ausgedehnten Ruine der ersten Burg<lb/> des Schwertritterordens, die gegen Ende der Ordenszeit wieder die eigentliche<lb/> Residenz des Meisters des Deutschen Ordens, der die Schwertritter in sich auf¬<lb/> genommen hat, gewesen ist. Der ehemalige Palas ist bis ans Dach erhalten,<lb/> aber die gewölbte Decke ist eingestürzt, und nur die reichen Konsolen zeugen<lb/> von verschwundener Pracht; vollständig erhalten ist dagegen in eineni der<lb/> anstoßenden Türme das hohe Gemach des Ordensmeisters mit einem schönen<lb/> Sterngewölbe. Die vorher jungfräuliche Feste ist kurz nach dem Ende des<lb/> Ordens in die Hände des Zaren Iwan des Schrecklichen gefallen, aber nur als<lb/> Trümmerhaufen, nachdem der Rest der Besatzung sich in die Luft gesprengt<lb/> hatte. Neben der Ruine steht die Kirche mit zahlreichen Grabmälern der Ordens¬<lb/> meister. Eines der einfachsten, leider fast zur Hälfte zerstört, ist die Grabplatte<lb/> Walters von Plettenberg, der, ein Zeitgenosse Luthers, in vierzigjähriger Regierung<lb/> zum letztenmal die Kraft des Ordens machtvoll zusammengefaßt hat. Ein anderes<lb/> Grabmal, das des Bischofs Patricius, erinnert an die vergeblichen Versuche der<lb/> Vertragsbrüchigen Polenkönige, die Gegenreformation im Lande durchzuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1522" next="#ID_1523"> Eine Viertelstunde vor der Stadt, am Rande eines der für ganz Livland<lb/> so charakteristischen Birkenwäldchen, liegt das stattliche ritterschastliche Gymnasium<lb/> und Internat Birkenruh? das die Ritterschaft im Jahre 1892 eingehen ließ,<lb/> als von der Regierung die Forderung erhoben wurde, die russische Unterrichts¬<lb/> sprache einzuführen. 1896 wurde die Anstalt wieder eröffnet, da der Zar nach<lb/> dem Kriege gegen Japan und nach der Revolution den kaisertreuen Deutschen<lb/> die deutsche Unterrichtssprache wieder einräumte. Obgleich die Schüler in den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Eine Sommerreise durch das Baltenland
diese Flügel werden reizvoll abgeschlossen durch Eckpavillons in der Art des
Mittelbaues.
Sehr interessant waren mir in dieser Gegend namentlich auch die Ansied-
lungen der Letten, die wie die alten Germanen nicht in Dörfern, sondern in
Einzelhöfen leben. Nach den üblichen Beschreibungen hatte ich mir elende Hütten
und entsprechend aussehende Menschen vorgestellt. Beides trifft nicht zu, und
das prächtige Vieh, das auf der Weide lief, sprach ohne weiteres für die Richtigkeit
der Mitteilung meines landeskundigen Führers, wonach ein großer Teil der
„dänischen" Butter, die durch die ganze Welt geht — man kann davon nicht
bloß in Sizilien, sondern auch in der Schweiz bekommen — in Livland gewonnen
wird. Angenehm aufgefallen sind mir vor den Lettenhäusern fast überall kleine
Gärtchen, in denen neben herrlich gedeihenden Arzneipflanzen (^rcnanZelica,
^Vlalva u. a.) auch gut gepflegte Zierpflanzen zu sehen waren. Wiederholt habe
ich beobachtet, daß die Giebelbalken der Häuser über dem First sich kreuzen
und daß ihre Enden in geschnitzte Tierköpfe auslaufen wie in Niedersachsen,
nur sind es bei den Letten Vogelkopfe, bei den Westfalen bekanntlich Pferde¬
köpfe. Diese kleinen Züge seien erwähnt, weil die Völkerkunde die Letten zwischen
die eigentlichen Slawen und die Germanen stellt.
Dreißig Kilometer weiter aufwärts an der Aa, aber nicht unmittelbar am
Fluß, liegt das Städtchen Wenden mit der ausgedehnten Ruine der ersten Burg
des Schwertritterordens, die gegen Ende der Ordenszeit wieder die eigentliche
Residenz des Meisters des Deutschen Ordens, der die Schwertritter in sich auf¬
genommen hat, gewesen ist. Der ehemalige Palas ist bis ans Dach erhalten,
aber die gewölbte Decke ist eingestürzt, und nur die reichen Konsolen zeugen
von verschwundener Pracht; vollständig erhalten ist dagegen in eineni der
anstoßenden Türme das hohe Gemach des Ordensmeisters mit einem schönen
Sterngewölbe. Die vorher jungfräuliche Feste ist kurz nach dem Ende des
Ordens in die Hände des Zaren Iwan des Schrecklichen gefallen, aber nur als
Trümmerhaufen, nachdem der Rest der Besatzung sich in die Luft gesprengt
hatte. Neben der Ruine steht die Kirche mit zahlreichen Grabmälern der Ordens¬
meister. Eines der einfachsten, leider fast zur Hälfte zerstört, ist die Grabplatte
Walters von Plettenberg, der, ein Zeitgenosse Luthers, in vierzigjähriger Regierung
zum letztenmal die Kraft des Ordens machtvoll zusammengefaßt hat. Ein anderes
Grabmal, das des Bischofs Patricius, erinnert an die vergeblichen Versuche der
Vertragsbrüchigen Polenkönige, die Gegenreformation im Lande durchzuführen.
Eine Viertelstunde vor der Stadt, am Rande eines der für ganz Livland
so charakteristischen Birkenwäldchen, liegt das stattliche ritterschastliche Gymnasium
und Internat Birkenruh? das die Ritterschaft im Jahre 1892 eingehen ließ,
als von der Regierung die Forderung erhoben wurde, die russische Unterrichts¬
sprache einzuführen. 1896 wurde die Anstalt wieder eröffnet, da der Zar nach
dem Kriege gegen Japan und nach der Revolution den kaisertreuen Deutschen
die deutsche Unterrichtssprache wieder einräumte. Obgleich die Schüler in den
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |