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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Line Sommerreise durch das Baltenland

Wenn von den zahlreichen Monumentalbauten, die deutsch e Arbeit und deutsche
Kunst im fernen Kolonialland an der Dura hervorgebracht haben, auch keiner
an die allerersten Werke in der Heimat heranreicht, so darf Riga doch mit Stolz
auf eine ganze Reihe stattlicher, ja großartiger Schöpfungen hinweisen. Vor
allem zu nennen ist der gotische Mariendom, die Kirche des Erzbischofs und
seines Kapitels, sowie die Petrikirche, wo der Rat und die Bürgerschaft zum
Gottesdienst und zur letzten Ruhestätte sich einfanden. Beide erinnern in ihrer
Weiträumigkeit an die großen Kirchen Lübecks, mit denen sie auch die oft geradezu
riesigen steinernen Epitaphien teilen, welche fast Platte an Platte ebenso viele
Grüfte in Kirche und Chor bedecken.

Der großen Zeit Rigas entstammt ferner der prächtige Saalbau der Großen
Gilde (Kaufmannschaft), ein Werk des dreizehnten Jahrhunderts, und das
"Schwarzhäupterhaus". Das alte hochragende Haus, das am Rathausplatz
steht, ist einer gutgemeinten Restaurierung nicht entgangen, wirkt aber auch so
mit seinem Staffelgiebel prächtig und beherrschend. Im Innern enthält es neben
vielen anderen Altertümern den berühmten Silberschatz, den die Schwarzhäupter,
wenn auch wiederholt geschmälert, durch die Jahrhunderte zu retten gewußt
haben. Die Schwarzhäupter bilden einen seit 1413 nachweisbaren Klub der
ledigen patrizischen Kaufleute und haben ihren Namen von ihrem Schutzpatron,
dem heiligen Mauritius, dessen Mohrenkopf wir als Wappen nicht bloß an und
in dem Hause, sondern auch an den Kirchenbauten der Schwarzhäupter im Dom
und in der Petrikirche immer wieder antreffen.

Wie der erzbischöfliche Stuhl und die Bürgerschaft, so hat auch der dritte
und stärkste Machtfaktor im Lande, der Deutsche Orden, ein mächtiges Bau¬
denkmal hinterlassen, die große Burg des Ordensgebietigers (Konturs), welche,
leider stark verunstaltet, jetzt als kaiserliches Schloß und Sitz von Behörden dient.

Die Geschichte Altlivlands ist ein fortwährender Kampf zwischen diesen drei
Gewalten; wiederholt ist die Hansestadt Riga von dem in ihr residierenden Erz-
bischof niedergeworfen worden (wie das verbündete Köln von dem seinigen),
wiederholt auch vom Orden; aber gegen den äußeren Feind haben sich die
Bürger länger gehalten als die weltlichen und geistlichen Herren. In: Jahre 1562
mußte sich der Ordensmeister nach nicht unrühmlicher Gegenwehr wider die
Russen in den "Schutz", d. h. unter die Herrschaft des Jagellonen Sigismund
August, des Großfürsten von Litauen und Königs von Polen, stellen, aber die
Rigaer Bürgerschaft erwehrte sich noch zwanzig Jahre lang der freundnachbar¬
lichen polnischen Umklammerung. Vierzig Jahre später gelang es Gustav Adolf,
die Stadt den Polen wieder abzunehmen. Im siebzehnten Jahrhundert trotzte
sie einer russischen Belagerung und wurde dafür zur zweiten Stadt des schwedische"
Reiches erklärt, das damals die ganze Osthälfte der Ostsee umfaßte. 1710 fiel
Riga aber doch in die Hände des russischen Nachbars, als wiederum ein Kriegs¬
mann ersten Ranges, Peter der Große, in neunmonatlichen Ringen, unterstützt
von Pest und Hunger, ihren Widerstand gebrochen hatte.


Line Sommerreise durch das Baltenland

Wenn von den zahlreichen Monumentalbauten, die deutsch e Arbeit und deutsche
Kunst im fernen Kolonialland an der Dura hervorgebracht haben, auch keiner
an die allerersten Werke in der Heimat heranreicht, so darf Riga doch mit Stolz
auf eine ganze Reihe stattlicher, ja großartiger Schöpfungen hinweisen. Vor
allem zu nennen ist der gotische Mariendom, die Kirche des Erzbischofs und
seines Kapitels, sowie die Petrikirche, wo der Rat und die Bürgerschaft zum
Gottesdienst und zur letzten Ruhestätte sich einfanden. Beide erinnern in ihrer
Weiträumigkeit an die großen Kirchen Lübecks, mit denen sie auch die oft geradezu
riesigen steinernen Epitaphien teilen, welche fast Platte an Platte ebenso viele
Grüfte in Kirche und Chor bedecken.

Der großen Zeit Rigas entstammt ferner der prächtige Saalbau der Großen
Gilde (Kaufmannschaft), ein Werk des dreizehnten Jahrhunderts, und das
„Schwarzhäupterhaus". Das alte hochragende Haus, das am Rathausplatz
steht, ist einer gutgemeinten Restaurierung nicht entgangen, wirkt aber auch so
mit seinem Staffelgiebel prächtig und beherrschend. Im Innern enthält es neben
vielen anderen Altertümern den berühmten Silberschatz, den die Schwarzhäupter,
wenn auch wiederholt geschmälert, durch die Jahrhunderte zu retten gewußt
haben. Die Schwarzhäupter bilden einen seit 1413 nachweisbaren Klub der
ledigen patrizischen Kaufleute und haben ihren Namen von ihrem Schutzpatron,
dem heiligen Mauritius, dessen Mohrenkopf wir als Wappen nicht bloß an und
in dem Hause, sondern auch an den Kirchenbauten der Schwarzhäupter im Dom
und in der Petrikirche immer wieder antreffen.

Wie der erzbischöfliche Stuhl und die Bürgerschaft, so hat auch der dritte
und stärkste Machtfaktor im Lande, der Deutsche Orden, ein mächtiges Bau¬
denkmal hinterlassen, die große Burg des Ordensgebietigers (Konturs), welche,
leider stark verunstaltet, jetzt als kaiserliches Schloß und Sitz von Behörden dient.

Die Geschichte Altlivlands ist ein fortwährender Kampf zwischen diesen drei
Gewalten; wiederholt ist die Hansestadt Riga von dem in ihr residierenden Erz-
bischof niedergeworfen worden (wie das verbündete Köln von dem seinigen),
wiederholt auch vom Orden; aber gegen den äußeren Feind haben sich die
Bürger länger gehalten als die weltlichen und geistlichen Herren. In: Jahre 1562
mußte sich der Ordensmeister nach nicht unrühmlicher Gegenwehr wider die
Russen in den „Schutz", d. h. unter die Herrschaft des Jagellonen Sigismund
August, des Großfürsten von Litauen und Königs von Polen, stellen, aber die
Rigaer Bürgerschaft erwehrte sich noch zwanzig Jahre lang der freundnachbar¬
lichen polnischen Umklammerung. Vierzig Jahre später gelang es Gustav Adolf,
die Stadt den Polen wieder abzunehmen. Im siebzehnten Jahrhundert trotzte
sie einer russischen Belagerung und wurde dafür zur zweiten Stadt des schwedische»
Reiches erklärt, das damals die ganze Osthälfte der Ostsee umfaßte. 1710 fiel
Riga aber doch in die Hände des russischen Nachbars, als wiederum ein Kriegs¬
mann ersten Ranges, Peter der Große, in neunmonatlichen Ringen, unterstützt
von Pest und Hunger, ihren Widerstand gebrochen hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/327>, abgerufen am 23.07.2024.