Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Beleidigung durch die Presse

vor*). Stadthagen wünscht ausgesprochen, daß die Wahrnehmung berechtigter,
den Täter oder Dritte angehender Interessen auf politischem, religiösem oder
anderem Gebiete oder solcher Interessen, die zur Ausübung eines berechtigten
Berufes gemacht werden, die Beleidigungsstrafe ausschließt. Und er wünscht noch
einen Zusatz dahin:


"Wird einem Beamten die Genehmigung zur Aussage als Zeuge nicht
erteilt, oder lehnt er selbst die Aussage über eine in bezug auf ihn ver¬
breitete oder behauptete Tatsache ab, so ist die Behauptung oder Verbreitung
einer den Beamten oder eine Behörde beleidigenden Tatsache nur dann straf¬
bar, wenn sie erweislich unwahr und wider besseres Wissen aufgestellt ist."

Der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei will straffrei sehen die Äußerungen
"zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, insbesondere auch öffentlicher Interessen
auf politischem oder religiösem Gebiete", und ferner auch "wahrheitsgetreue
Berichte über öffentliche Gerichtsverhandlungen, an deren Wiedergabe der
Mitteilende ein berechtigtes Interesse hat". Für den Fall der Ablehnung dieses
Antrags wünscht man einen Zusatz zu § 193 des Inhalts, daß eine öffentliche
Beleidigung straffrei sei, "wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt und wenn
der Täter bei sorgfältiger Prüfung der Tatsachen hinreichenden Grund hatte,
sie für wahr zu halten".

Der sozialdemokratische Antrag geht zu weit. Nicht jedes beliebigen Dritten
Interesse darf zu übler Nachrede berechtigen. Aber auch der freisinnige Haupt¬
antrag gefällt mir nicht recht. Er ist zu eng, wenn er nur solche öffentlichen
Interessen beachten will, die auf politischem oder religiösem Gebiete liegen,- auch
die Warnung des Publikums vor einem Halsabschneider, einem Bauernfänger,
einem lüsternen Dienstherrn usw. muß zweifellos erlaubt sein. Anderseits jedoch
möchte doch wohl eine Käutel dafür erwünscht sein, daß unter dem Schutze
einer solchen Bestimmung ehrenrührige Behauptungen nicht leichtfertig in die
Welt gesetzt werden. Im allgemeinen ist bekanntlich auch die leichtfertige üble
Nachrede straflos, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt.
De.r Presse darf aber nicht das Recht zugestanden werden, jedes ihr zugetragene
Gerücht ohne nähere Prüfung bekannt zu geben. Darum würde sich der Eventual-
antrag mehr empfehlen, jedoch mit folgenden Abänderungen:

1. Die Bestimmung hat nicht nur für die öffentlichen, insbesondere für
Preßbeleidigungen, sondern für jede auch nicht öffentliche Beleidigung zu gelten,
sofern der Täter mit ihr öffentliche Interessen wahrnehmen will. Ich denke
besonders an den Fall, daß jemand behördliche Mißgriffe, die ihn selbst nicht
betreffen, ohne Auftrag des Betroffenen bei der Aufsichtsbehörde meldet.
"

2. Der Ausdruck "wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt, trifft nicht
das Rechte. Damit würde der Richter zu entscheiden haben, ob ein öffentliches



") Antrag Stadthagen, Sitzungsprotokoll der 105. Sitzung vom 13. Jnnunr 1911 (Seen.
Bericht 12. Legislaturperiode, II. Session 1909 bis 1911, S. 383g); Antrag Müller (Mei¬
ningen) und Genossen Ur. "47 der Drucksachen a. c>. O.
Beleidigung durch die Presse

vor*). Stadthagen wünscht ausgesprochen, daß die Wahrnehmung berechtigter,
den Täter oder Dritte angehender Interessen auf politischem, religiösem oder
anderem Gebiete oder solcher Interessen, die zur Ausübung eines berechtigten
Berufes gemacht werden, die Beleidigungsstrafe ausschließt. Und er wünscht noch
einen Zusatz dahin:


„Wird einem Beamten die Genehmigung zur Aussage als Zeuge nicht
erteilt, oder lehnt er selbst die Aussage über eine in bezug auf ihn ver¬
breitete oder behauptete Tatsache ab, so ist die Behauptung oder Verbreitung
einer den Beamten oder eine Behörde beleidigenden Tatsache nur dann straf¬
bar, wenn sie erweislich unwahr und wider besseres Wissen aufgestellt ist."

Der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei will straffrei sehen die Äußerungen
„zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, insbesondere auch öffentlicher Interessen
auf politischem oder religiösem Gebiete", und ferner auch „wahrheitsgetreue
Berichte über öffentliche Gerichtsverhandlungen, an deren Wiedergabe der
Mitteilende ein berechtigtes Interesse hat". Für den Fall der Ablehnung dieses
Antrags wünscht man einen Zusatz zu § 193 des Inhalts, daß eine öffentliche
Beleidigung straffrei sei, „wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt und wenn
der Täter bei sorgfältiger Prüfung der Tatsachen hinreichenden Grund hatte,
sie für wahr zu halten".

Der sozialdemokratische Antrag geht zu weit. Nicht jedes beliebigen Dritten
Interesse darf zu übler Nachrede berechtigen. Aber auch der freisinnige Haupt¬
antrag gefällt mir nicht recht. Er ist zu eng, wenn er nur solche öffentlichen
Interessen beachten will, die auf politischem oder religiösem Gebiete liegen,- auch
die Warnung des Publikums vor einem Halsabschneider, einem Bauernfänger,
einem lüsternen Dienstherrn usw. muß zweifellos erlaubt sein. Anderseits jedoch
möchte doch wohl eine Käutel dafür erwünscht sein, daß unter dem Schutze
einer solchen Bestimmung ehrenrührige Behauptungen nicht leichtfertig in die
Welt gesetzt werden. Im allgemeinen ist bekanntlich auch die leichtfertige üble
Nachrede straflos, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt.
De.r Presse darf aber nicht das Recht zugestanden werden, jedes ihr zugetragene
Gerücht ohne nähere Prüfung bekannt zu geben. Darum würde sich der Eventual-
antrag mehr empfehlen, jedoch mit folgenden Abänderungen:

1. Die Bestimmung hat nicht nur für die öffentlichen, insbesondere für
Preßbeleidigungen, sondern für jede auch nicht öffentliche Beleidigung zu gelten,
sofern der Täter mit ihr öffentliche Interessen wahrnehmen will. Ich denke
besonders an den Fall, daß jemand behördliche Mißgriffe, die ihn selbst nicht
betreffen, ohne Auftrag des Betroffenen bei der Aufsichtsbehörde meldet.
"

2. Der Ausdruck „wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt, trifft nicht
das Rechte. Damit würde der Richter zu entscheiden haben, ob ein öffentliches



") Antrag Stadthagen, Sitzungsprotokoll der 105. Sitzung vom 13. Jnnunr 1911 (Seen.
Bericht 12. Legislaturperiode, II. Session 1909 bis 1911, S. 383g); Antrag Müller (Mei¬
ningen) und Genossen Ur. «47 der Drucksachen a. c>. O.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318606"/>
          <fw type="header" place="top"> Beleidigung durch die Presse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1485" prev="#ID_1484"> vor*). Stadthagen wünscht ausgesprochen, daß die Wahrnehmung berechtigter,<lb/>
den Täter oder Dritte angehender Interessen auf politischem, religiösem oder<lb/>
anderem Gebiete oder solcher Interessen, die zur Ausübung eines berechtigten<lb/>
Berufes gemacht werden, die Beleidigungsstrafe ausschließt. Und er wünscht noch<lb/>
einen Zusatz dahin:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Wird einem Beamten die Genehmigung zur Aussage als Zeuge nicht<lb/>
erteilt, oder lehnt er selbst die Aussage über eine in bezug auf ihn ver¬<lb/>
breitete oder behauptete Tatsache ab, so ist die Behauptung oder Verbreitung<lb/>
einer den Beamten oder eine Behörde beleidigenden Tatsache nur dann straf¬<lb/>
bar, wenn sie erweislich unwahr und wider besseres Wissen aufgestellt ist."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1486"> Der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei will straffrei sehen die Äußerungen<lb/>
&#x201E;zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, insbesondere auch öffentlicher Interessen<lb/>
auf politischem oder religiösem Gebiete", und ferner auch &#x201E;wahrheitsgetreue<lb/>
Berichte über öffentliche Gerichtsverhandlungen, an deren Wiedergabe der<lb/>
Mitteilende ein berechtigtes Interesse hat". Für den Fall der Ablehnung dieses<lb/>
Antrags wünscht man einen Zusatz zu § 193 des Inhalts, daß eine öffentliche<lb/>
Beleidigung straffrei sei, &#x201E;wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt und wenn<lb/>
der Täter bei sorgfältiger Prüfung der Tatsachen hinreichenden Grund hatte,<lb/>
sie für wahr zu halten".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1487"> Der sozialdemokratische Antrag geht zu weit. Nicht jedes beliebigen Dritten<lb/>
Interesse darf zu übler Nachrede berechtigen. Aber auch der freisinnige Haupt¬<lb/>
antrag gefällt mir nicht recht. Er ist zu eng, wenn er nur solche öffentlichen<lb/>
Interessen beachten will, die auf politischem oder religiösem Gebiete liegen,- auch<lb/>
die Warnung des Publikums vor einem Halsabschneider, einem Bauernfänger,<lb/>
einem lüsternen Dienstherrn usw. muß zweifellos erlaubt sein. Anderseits jedoch<lb/>
möchte doch wohl eine Käutel dafür erwünscht sein, daß unter dem Schutze<lb/>
einer solchen Bestimmung ehrenrührige Behauptungen nicht leichtfertig in die<lb/>
Welt gesetzt werden. Im allgemeinen ist bekanntlich auch die leichtfertige üble<lb/>
Nachrede straflos, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt.<lb/>
De.r Presse darf aber nicht das Recht zugestanden werden, jedes ihr zugetragene<lb/>
Gerücht ohne nähere Prüfung bekannt zu geben. Darum würde sich der Eventual-<lb/>
antrag mehr empfehlen, jedoch mit folgenden Abänderungen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1488"> 1. Die Bestimmung hat nicht nur für die öffentlichen, insbesondere für<lb/>
Preßbeleidigungen, sondern für jede auch nicht öffentliche Beleidigung zu gelten,<lb/>
sofern der Täter mit ihr öffentliche Interessen wahrnehmen will. Ich denke<lb/>
besonders an den Fall, daß jemand behördliche Mißgriffe, die ihn selbst nicht<lb/>
betreffen, ohne Auftrag des Betroffenen bei der Aufsichtsbehörde meldet.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1489" next="#ID_1490"> 2. Der Ausdruck &#x201E;wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt, trifft nicht<lb/>
das Rechte.  Damit würde der Richter zu entscheiden haben, ob ein öffentliches</p><lb/>
          <note xml:id="FID_12" place="foot"> ") Antrag Stadthagen, Sitzungsprotokoll der 105. Sitzung vom 13. Jnnunr 1911 (Seen.<lb/>
Bericht 12. Legislaturperiode, II. Session 1909 bis 1911, S. 383g); Antrag Müller (Mei¬<lb/>
ningen) und Genossen Ur. «47 der Drucksachen a. c&gt;. O.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] Beleidigung durch die Presse vor*). Stadthagen wünscht ausgesprochen, daß die Wahrnehmung berechtigter, den Täter oder Dritte angehender Interessen auf politischem, religiösem oder anderem Gebiete oder solcher Interessen, die zur Ausübung eines berechtigten Berufes gemacht werden, die Beleidigungsstrafe ausschließt. Und er wünscht noch einen Zusatz dahin: „Wird einem Beamten die Genehmigung zur Aussage als Zeuge nicht erteilt, oder lehnt er selbst die Aussage über eine in bezug auf ihn ver¬ breitete oder behauptete Tatsache ab, so ist die Behauptung oder Verbreitung einer den Beamten oder eine Behörde beleidigenden Tatsache nur dann straf¬ bar, wenn sie erweislich unwahr und wider besseres Wissen aufgestellt ist." Der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei will straffrei sehen die Äußerungen „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, insbesondere auch öffentlicher Interessen auf politischem oder religiösem Gebiete", und ferner auch „wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Gerichtsverhandlungen, an deren Wiedergabe der Mitteilende ein berechtigtes Interesse hat". Für den Fall der Ablehnung dieses Antrags wünscht man einen Zusatz zu § 193 des Inhalts, daß eine öffentliche Beleidigung straffrei sei, „wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt und wenn der Täter bei sorgfältiger Prüfung der Tatsachen hinreichenden Grund hatte, sie für wahr zu halten". Der sozialdemokratische Antrag geht zu weit. Nicht jedes beliebigen Dritten Interesse darf zu übler Nachrede berechtigen. Aber auch der freisinnige Haupt¬ antrag gefällt mir nicht recht. Er ist zu eng, wenn er nur solche öffentlichen Interessen beachten will, die auf politischem oder religiösem Gebiete liegen,- auch die Warnung des Publikums vor einem Halsabschneider, einem Bauernfänger, einem lüsternen Dienstherrn usw. muß zweifellos erlaubt sein. Anderseits jedoch möchte doch wohl eine Käutel dafür erwünscht sein, daß unter dem Schutze einer solchen Bestimmung ehrenrührige Behauptungen nicht leichtfertig in die Welt gesetzt werden. Im allgemeinen ist bekanntlich auch die leichtfertige üble Nachrede straflos, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt. De.r Presse darf aber nicht das Recht zugestanden werden, jedes ihr zugetragene Gerücht ohne nähere Prüfung bekannt zu geben. Darum würde sich der Eventual- antrag mehr empfehlen, jedoch mit folgenden Abänderungen: 1. Die Bestimmung hat nicht nur für die öffentlichen, insbesondere für Preßbeleidigungen, sondern für jede auch nicht öffentliche Beleidigung zu gelten, sofern der Täter mit ihr öffentliche Interessen wahrnehmen will. Ich denke besonders an den Fall, daß jemand behördliche Mißgriffe, die ihn selbst nicht betreffen, ohne Auftrag des Betroffenen bei der Aufsichtsbehörde meldet. " 2. Der Ausdruck „wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt, trifft nicht das Rechte. Damit würde der Richter zu entscheiden haben, ob ein öffentliches ") Antrag Stadthagen, Sitzungsprotokoll der 105. Sitzung vom 13. Jnnunr 1911 (Seen. Bericht 12. Legislaturperiode, II. Session 1909 bis 1911, S. 383g); Antrag Müller (Mei¬ ningen) und Genossen Ur. «47 der Drucksachen a. c>. O.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/323>, abgerufen am 25.08.2024.