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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Beleidigung durch die Presse

Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit zu erfüllen, er habe gemeint, mit ihr dem
öffentlichen Interesse zu dienen? Kommt es doch auch bei Wahrnehmung
berechtigter Interessen, wie allgemein anerkannt wird, nicht darauf an. ob die
Aufstellung einer Behauptung zur Wahrnehmung der Interessen notwendig und
geeignet ist, sondern darauf, ob sie vom Täter dafür gehalten wurde. Der
Regierungsentwurf aber -- und ebenso der Vorentwurf zum neuen Strafgesetz¬
buch, der die gleiche Norm enthält -- steht auf anderem Standpunkte. Der
Richter soll entscheiden. Sieht er ein öffentliches Interesse als gegeben an, so
erhebt er den vom Beleidiger beantragten Wahrheitsbeweis und spricht frei,
wenn er gelingt. Nimmt er kein öffentliches Interesse an, so verurteilt er ohne
jede Prüfung, ob die Behauptung wahr ist oder nicht. Gericht und Presse
aber haben von den Aufgaben dieser doch recht häufig eine ganz verschiedene
Ansicht. So muß es kommen, daß die Presse häufig wichtige Mitteilungen zum
Schaden der Allgemeinheit ängstlich unterdrücken wird, weil ihr jede Gewähr
dafür fehlt, daß der Strafrichter ihre Auffassung vom Interesse der Allgemeinheit
teilen werde. Und dies wird vor allem die anständige Presse als schwere Fessel
empfinden. Es würde sie aufs schwerste in der Ausübung ihres vornehmsten
Berufes gefährden, der da ist die unerschrockene Aufdeckung von Mißständen,
deren Beseitigung sie fordern zu müssen meint. Und die Leidtragenden werden
die Leser sein und die große Allgemeinheit.

Der Ausschluß des Wahrheitsbeweises kann aber auch dein Beleidigten
höchst unbequem sein. Er verlangt oft mehr nach Wiederherstellung seines Rufes
als nach Bestrafung des Verleumders und scheut gar nicht die öffentliche Erörterung
seiner privaten Angelegenheiten. Was nützt ihm eine Verurteilung des Gegners,
wenn er doch kein Mittel hat. ihn der Unwahrheit zu zeihen, und jedermann
den Bestraften für einen Märtyrer seines journalistischen Berufes halten und
den Beleidigten mit Verachtung strafen darf? In richtiger Erkenntnis dessen
schreibt der Regierungsentwurf vor, daß die Führung des Wahrheitsbeweises
wenigstens dann erlaubt sein soll, wenn der Beleidigte ihr zustimmt. Auf den
ersten Blick gewiß recht schön und gut. Und dennoch, dies ist geradezu ein
Nonsens. Zum ersten ist sicher, daß dann auf jedem, der seine Zustimmung
zur Erhebung des Wahrheitsbeweises versagt, das Odium lasten würde, als habe
er diesen Beweis zu scheuen. Vor allem aber ist wohl zu merken: Auch der
mit Zustimmung des Beleidigten erhobene und erbrachte Wahrheitsbeweis soll
nach dem Entwürfe den Beleidiger keineswegs von der Bestrafung befreien!
Ja er wird ihm nicht einmal bei der Strafausmessung nützen. Denn es liegt
auf der Hand, daß ohne jede Beweisaufnahme die Strafe auch nur so bemessen
werden kann, wie sie unter der Unterstellung, daß die Behauptung wahr sei,
angemessen wäre. Die Beweiserhebung würde also sowohl für die Schuld- als
für die Straffrage, damit aber für das Urteil überhaupt, ohne jede Bedeutung
sein. Wie aber darf man dann dem Gerichte eine solche Beweiserhebung zu¬
muten? Seine Aufgabe ist doch unter allen Umständen mit der Erledigung


Beleidigung durch die Presse

Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit zu erfüllen, er habe gemeint, mit ihr dem
öffentlichen Interesse zu dienen? Kommt es doch auch bei Wahrnehmung
berechtigter Interessen, wie allgemein anerkannt wird, nicht darauf an. ob die
Aufstellung einer Behauptung zur Wahrnehmung der Interessen notwendig und
geeignet ist, sondern darauf, ob sie vom Täter dafür gehalten wurde. Der
Regierungsentwurf aber — und ebenso der Vorentwurf zum neuen Strafgesetz¬
buch, der die gleiche Norm enthält — steht auf anderem Standpunkte. Der
Richter soll entscheiden. Sieht er ein öffentliches Interesse als gegeben an, so
erhebt er den vom Beleidiger beantragten Wahrheitsbeweis und spricht frei,
wenn er gelingt. Nimmt er kein öffentliches Interesse an, so verurteilt er ohne
jede Prüfung, ob die Behauptung wahr ist oder nicht. Gericht und Presse
aber haben von den Aufgaben dieser doch recht häufig eine ganz verschiedene
Ansicht. So muß es kommen, daß die Presse häufig wichtige Mitteilungen zum
Schaden der Allgemeinheit ängstlich unterdrücken wird, weil ihr jede Gewähr
dafür fehlt, daß der Strafrichter ihre Auffassung vom Interesse der Allgemeinheit
teilen werde. Und dies wird vor allem die anständige Presse als schwere Fessel
empfinden. Es würde sie aufs schwerste in der Ausübung ihres vornehmsten
Berufes gefährden, der da ist die unerschrockene Aufdeckung von Mißständen,
deren Beseitigung sie fordern zu müssen meint. Und die Leidtragenden werden
die Leser sein und die große Allgemeinheit.

Der Ausschluß des Wahrheitsbeweises kann aber auch dein Beleidigten
höchst unbequem sein. Er verlangt oft mehr nach Wiederherstellung seines Rufes
als nach Bestrafung des Verleumders und scheut gar nicht die öffentliche Erörterung
seiner privaten Angelegenheiten. Was nützt ihm eine Verurteilung des Gegners,
wenn er doch kein Mittel hat. ihn der Unwahrheit zu zeihen, und jedermann
den Bestraften für einen Märtyrer seines journalistischen Berufes halten und
den Beleidigten mit Verachtung strafen darf? In richtiger Erkenntnis dessen
schreibt der Regierungsentwurf vor, daß die Führung des Wahrheitsbeweises
wenigstens dann erlaubt sein soll, wenn der Beleidigte ihr zustimmt. Auf den
ersten Blick gewiß recht schön und gut. Und dennoch, dies ist geradezu ein
Nonsens. Zum ersten ist sicher, daß dann auf jedem, der seine Zustimmung
zur Erhebung des Wahrheitsbeweises versagt, das Odium lasten würde, als habe
er diesen Beweis zu scheuen. Vor allem aber ist wohl zu merken: Auch der
mit Zustimmung des Beleidigten erhobene und erbrachte Wahrheitsbeweis soll
nach dem Entwürfe den Beleidiger keineswegs von der Bestrafung befreien!
Ja er wird ihm nicht einmal bei der Strafausmessung nützen. Denn es liegt
auf der Hand, daß ohne jede Beweisaufnahme die Strafe auch nur so bemessen
werden kann, wie sie unter der Unterstellung, daß die Behauptung wahr sei,
angemessen wäre. Die Beweiserhebung würde also sowohl für die Schuld- als
für die Straffrage, damit aber für das Urteil überhaupt, ohne jede Bedeutung
sein. Wie aber darf man dann dem Gerichte eine solche Beweiserhebung zu¬
muten? Seine Aufgabe ist doch unter allen Umständen mit der Erledigung


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[0321] Beleidigung durch die Presse Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit zu erfüllen, er habe gemeint, mit ihr dem öffentlichen Interesse zu dienen? Kommt es doch auch bei Wahrnehmung berechtigter Interessen, wie allgemein anerkannt wird, nicht darauf an. ob die Aufstellung einer Behauptung zur Wahrnehmung der Interessen notwendig und geeignet ist, sondern darauf, ob sie vom Täter dafür gehalten wurde. Der Regierungsentwurf aber — und ebenso der Vorentwurf zum neuen Strafgesetz¬ buch, der die gleiche Norm enthält — steht auf anderem Standpunkte. Der Richter soll entscheiden. Sieht er ein öffentliches Interesse als gegeben an, so erhebt er den vom Beleidiger beantragten Wahrheitsbeweis und spricht frei, wenn er gelingt. Nimmt er kein öffentliches Interesse an, so verurteilt er ohne jede Prüfung, ob die Behauptung wahr ist oder nicht. Gericht und Presse aber haben von den Aufgaben dieser doch recht häufig eine ganz verschiedene Ansicht. So muß es kommen, daß die Presse häufig wichtige Mitteilungen zum Schaden der Allgemeinheit ängstlich unterdrücken wird, weil ihr jede Gewähr dafür fehlt, daß der Strafrichter ihre Auffassung vom Interesse der Allgemeinheit teilen werde. Und dies wird vor allem die anständige Presse als schwere Fessel empfinden. Es würde sie aufs schwerste in der Ausübung ihres vornehmsten Berufes gefährden, der da ist die unerschrockene Aufdeckung von Mißständen, deren Beseitigung sie fordern zu müssen meint. Und die Leidtragenden werden die Leser sein und die große Allgemeinheit. Der Ausschluß des Wahrheitsbeweises kann aber auch dein Beleidigten höchst unbequem sein. Er verlangt oft mehr nach Wiederherstellung seines Rufes als nach Bestrafung des Verleumders und scheut gar nicht die öffentliche Erörterung seiner privaten Angelegenheiten. Was nützt ihm eine Verurteilung des Gegners, wenn er doch kein Mittel hat. ihn der Unwahrheit zu zeihen, und jedermann den Bestraften für einen Märtyrer seines journalistischen Berufes halten und den Beleidigten mit Verachtung strafen darf? In richtiger Erkenntnis dessen schreibt der Regierungsentwurf vor, daß die Führung des Wahrheitsbeweises wenigstens dann erlaubt sein soll, wenn der Beleidigte ihr zustimmt. Auf den ersten Blick gewiß recht schön und gut. Und dennoch, dies ist geradezu ein Nonsens. Zum ersten ist sicher, daß dann auf jedem, der seine Zustimmung zur Erhebung des Wahrheitsbeweises versagt, das Odium lasten würde, als habe er diesen Beweis zu scheuen. Vor allem aber ist wohl zu merken: Auch der mit Zustimmung des Beleidigten erhobene und erbrachte Wahrheitsbeweis soll nach dem Entwürfe den Beleidiger keineswegs von der Bestrafung befreien! Ja er wird ihm nicht einmal bei der Strafausmessung nützen. Denn es liegt auf der Hand, daß ohne jede Beweisaufnahme die Strafe auch nur so bemessen werden kann, wie sie unter der Unterstellung, daß die Behauptung wahr sei, angemessen wäre. Die Beweiserhebung würde also sowohl für die Schuld- als für die Straffrage, damit aber für das Urteil überhaupt, ohne jede Bedeutung sein. Wie aber darf man dann dem Gerichte eine solche Beweiserhebung zu¬ muten? Seine Aufgabe ist doch unter allen Umständen mit der Erledigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/321>, abgerufen am 25.08.2024.