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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Grillparzers Vsterreichertum

Es kounte aber etwas hinzu, was vielleicht über den heißesten Patriotismus
noch hinailsgreift, ihn zum mindesten wesentlich verstärkt. Für Grillparzer
birgt der Staatsgedanke schlechthin, nicht bloß der österreichische, etwas Ehrsurcht-
gebietendes, etwas Religiöses. Der unkirchliche Mann, der im Himmel nicht
Bescheid weiß und sich doch nach göttlicher Ordnung, nach Harmonie sehnt,
steht ihren Abglanz, ihr irdisches Bild in: Staatsbäu. Im einzelnen Menschen,
und selbst im stärksten und besten, ist so viel Schwankendes, Zerrissenes, Un-
gefestetes, Ungeordnetes -- im Staat, im idealen wenigstens, ist Ordnung,
Stetigkeit, Harmonie. So muß sich der strebende Einzelne, seiner Schwäche
und Kleinheit bewußt, an das Höhere, an das Ganze des Staates hingeben,
um welchen Preis es auch immer sei. Ein Angehöriger des Herrscherhauses
treibt Bancbcms Frau in den Tod; der treue Diener seines Herrn unterdrückt
die privaten Rachegefühle, wendet sich gegen seine Freunde, die ihn rächen
wollen, tritt für die Vernichter seines privaten Glückes ein -- denn so heischt
es ein Höheres, die Ordnung des Staates, über die er während der Abwesenheit
des Königs zu wachen versprochen hat. Und in dem winzigen Hannibal-
Fragment schält Grillparzer dieses Abwägen des Einzelnen gegen das Staats¬
ganze so ungeheuer nackt heraus, daß man von reiner Philosophie reden könnte,
hätte der Dichter nicht hier wie immer dem Denker ganz die Wage gehalten.
Es ist nur eine Szene von hundertsechsundstebzig Versen, aber eine der schönsten
und eigentümlichsten, die Grillparzer geschrieben hat (und in der Heraushebung
dieses Fragmentes sehe ich einen besonderen Vorzug der eingangs erwähnten
Biographie): Hannibal und Scipio auf dem Schlachtfeld vor Zama, vor dem
letzten Schlag noch zögernd, nach friedlichem Vergleich suchend. Hannibal hat
diese Unterredung erbeten; er ist noch nicht verzweifelt, aber er fühlt seine
Schwäche, denn kein festes Staatswesen steht hinter ihm, und von Scipio
befragt, ob er Karthagos Meinung ausspreche, erwidert er, "auf die Brust
schlagend: hier ist Karthago". Hannibal überragt seinen Gegner in jeder
individuellen Beziehung, als Mensch und Feldherr, an Geist und Glut; und
doch wird er ihn: bestimmt unterliegen, denn Scipio steht nicht sür sich da,
nicht als Einzelner, sondern als Vertreter, als Glied einer größeren, einer
stetigeren Macht, eines Unsterblichen: des Staatsgedankens. Er ist nicht
das Individuum Scipio, sondern nur ein Römer, ein Werkzeug römischer
Größe.


Als einen solchen siehst du mich; ein solcher
Bin ich des Siegs für morgen so gewiß,
Als diese Hand gewiß ist meinem Arm.
Und wär's, daß ich erläge -- sieh', ich glaub's nicht;
Wenn ich auch wollte, kann ich es nicht denken --
Wenn ich erläge, wird ein andrer Römer
Vollenden, was der erstere begann.
Wenn Hannibal erliegt, erliegt Karthago --
Wenn Scipio fällt, doch triumphieret Rom!

Grillparzers Vsterreichertum

Es kounte aber etwas hinzu, was vielleicht über den heißesten Patriotismus
noch hinailsgreift, ihn zum mindesten wesentlich verstärkt. Für Grillparzer
birgt der Staatsgedanke schlechthin, nicht bloß der österreichische, etwas Ehrsurcht-
gebietendes, etwas Religiöses. Der unkirchliche Mann, der im Himmel nicht
Bescheid weiß und sich doch nach göttlicher Ordnung, nach Harmonie sehnt,
steht ihren Abglanz, ihr irdisches Bild in: Staatsbäu. Im einzelnen Menschen,
und selbst im stärksten und besten, ist so viel Schwankendes, Zerrissenes, Un-
gefestetes, Ungeordnetes — im Staat, im idealen wenigstens, ist Ordnung,
Stetigkeit, Harmonie. So muß sich der strebende Einzelne, seiner Schwäche
und Kleinheit bewußt, an das Höhere, an das Ganze des Staates hingeben,
um welchen Preis es auch immer sei. Ein Angehöriger des Herrscherhauses
treibt Bancbcms Frau in den Tod; der treue Diener seines Herrn unterdrückt
die privaten Rachegefühle, wendet sich gegen seine Freunde, die ihn rächen
wollen, tritt für die Vernichter seines privaten Glückes ein — denn so heischt
es ein Höheres, die Ordnung des Staates, über die er während der Abwesenheit
des Königs zu wachen versprochen hat. Und in dem winzigen Hannibal-
Fragment schält Grillparzer dieses Abwägen des Einzelnen gegen das Staats¬
ganze so ungeheuer nackt heraus, daß man von reiner Philosophie reden könnte,
hätte der Dichter nicht hier wie immer dem Denker ganz die Wage gehalten.
Es ist nur eine Szene von hundertsechsundstebzig Versen, aber eine der schönsten
und eigentümlichsten, die Grillparzer geschrieben hat (und in der Heraushebung
dieses Fragmentes sehe ich einen besonderen Vorzug der eingangs erwähnten
Biographie): Hannibal und Scipio auf dem Schlachtfeld vor Zama, vor dem
letzten Schlag noch zögernd, nach friedlichem Vergleich suchend. Hannibal hat
diese Unterredung erbeten; er ist noch nicht verzweifelt, aber er fühlt seine
Schwäche, denn kein festes Staatswesen steht hinter ihm, und von Scipio
befragt, ob er Karthagos Meinung ausspreche, erwidert er, „auf die Brust
schlagend: hier ist Karthago". Hannibal überragt seinen Gegner in jeder
individuellen Beziehung, als Mensch und Feldherr, an Geist und Glut; und
doch wird er ihn: bestimmt unterliegen, denn Scipio steht nicht sür sich da,
nicht als Einzelner, sondern als Vertreter, als Glied einer größeren, einer
stetigeren Macht, eines Unsterblichen: des Staatsgedankens. Er ist nicht
das Individuum Scipio, sondern nur ein Römer, ein Werkzeug römischer
Größe.


Als einen solchen siehst du mich; ein solcher
Bin ich des Siegs für morgen so gewiß,
Als diese Hand gewiß ist meinem Arm.
Und wär's, daß ich erläge — sieh', ich glaub's nicht;
Wenn ich auch wollte, kann ich es nicht denken —
Wenn ich erläge, wird ein andrer Römer
Vollenden, was der erstere begann.
Wenn Hannibal erliegt, erliegt Karthago —
Wenn Scipio fällt, doch triumphieret Rom!

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[0314] Grillparzers Vsterreichertum Es kounte aber etwas hinzu, was vielleicht über den heißesten Patriotismus noch hinailsgreift, ihn zum mindesten wesentlich verstärkt. Für Grillparzer birgt der Staatsgedanke schlechthin, nicht bloß der österreichische, etwas Ehrsurcht- gebietendes, etwas Religiöses. Der unkirchliche Mann, der im Himmel nicht Bescheid weiß und sich doch nach göttlicher Ordnung, nach Harmonie sehnt, steht ihren Abglanz, ihr irdisches Bild in: Staatsbäu. Im einzelnen Menschen, und selbst im stärksten und besten, ist so viel Schwankendes, Zerrissenes, Un- gefestetes, Ungeordnetes — im Staat, im idealen wenigstens, ist Ordnung, Stetigkeit, Harmonie. So muß sich der strebende Einzelne, seiner Schwäche und Kleinheit bewußt, an das Höhere, an das Ganze des Staates hingeben, um welchen Preis es auch immer sei. Ein Angehöriger des Herrscherhauses treibt Bancbcms Frau in den Tod; der treue Diener seines Herrn unterdrückt die privaten Rachegefühle, wendet sich gegen seine Freunde, die ihn rächen wollen, tritt für die Vernichter seines privaten Glückes ein — denn so heischt es ein Höheres, die Ordnung des Staates, über die er während der Abwesenheit des Königs zu wachen versprochen hat. Und in dem winzigen Hannibal- Fragment schält Grillparzer dieses Abwägen des Einzelnen gegen das Staats¬ ganze so ungeheuer nackt heraus, daß man von reiner Philosophie reden könnte, hätte der Dichter nicht hier wie immer dem Denker ganz die Wage gehalten. Es ist nur eine Szene von hundertsechsundstebzig Versen, aber eine der schönsten und eigentümlichsten, die Grillparzer geschrieben hat (und in der Heraushebung dieses Fragmentes sehe ich einen besonderen Vorzug der eingangs erwähnten Biographie): Hannibal und Scipio auf dem Schlachtfeld vor Zama, vor dem letzten Schlag noch zögernd, nach friedlichem Vergleich suchend. Hannibal hat diese Unterredung erbeten; er ist noch nicht verzweifelt, aber er fühlt seine Schwäche, denn kein festes Staatswesen steht hinter ihm, und von Scipio befragt, ob er Karthagos Meinung ausspreche, erwidert er, „auf die Brust schlagend: hier ist Karthago". Hannibal überragt seinen Gegner in jeder individuellen Beziehung, als Mensch und Feldherr, an Geist und Glut; und doch wird er ihn: bestimmt unterliegen, denn Scipio steht nicht sür sich da, nicht als Einzelner, sondern als Vertreter, als Glied einer größeren, einer stetigeren Macht, eines Unsterblichen: des Staatsgedankens. Er ist nicht das Individuum Scipio, sondern nur ein Römer, ein Werkzeug römischer Größe. Als einen solchen siehst du mich; ein solcher Bin ich des Siegs für morgen so gewiß, Als diese Hand gewiß ist meinem Arm. Und wär's, daß ich erläge — sieh', ich glaub's nicht; Wenn ich auch wollte, kann ich es nicht denken — Wenn ich erläge, wird ein andrer Römer Vollenden, was der erstere begann. Wenn Hannibal erliegt, erliegt Karthago — Wenn Scipio fällt, doch triumphieret Rom!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/314>, abgerufen am 25.08.2024.