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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Grillparzers Gsterreichertum

wer innerlich und äußerlich idyllisch lebt, das heißt wer sich in schlichter Stellung
befindet und keine Unruhe in sich fühlt, von ihr fortzustreben. Der beruhigte
Landmann Massud im "Traum ein Leben" ist solch ein Glücklicher, seine
Tochter Mirza wird nur durch ihre Liebessehnsucht im gleichen Glück gehemmt;
sein Neffe Rustan ist unglücklich, weil ihn sein Tatendrang, gewiß kein ganz
altruistischer, aber doch auch kein unedler, nur eben der stürmische Ehrgeiz der
Jugend, aus dem Idyll hinaustreibt. Erbarmungslos enthüllt das atemlose
Jagen der Handlung (die kein im Kern Erschlafster, kein im üblichen Sinn
"gemütlicher Österreicher" so vorwärts peitschen könnte!) die zerstörende Schuld,
die Rustan im Aufwärtsklimmen anhäuft: Lüge ist der Anfang, indem der
Ehrgeizige den Erfolg einer Tat, die nicht er vollbracht, an sich rafft, Totschlag
am eigentlichen Täter, gemeinster Meuchelmord am väterlichen Freund und
König, Tyrannei und schließlicher Untergang in Verzweiflung sind die Folgen.
Gibt es hier noch ein Versöhnliches außerhalb der Tragödie, da dieses ganze
Verschulden nur das Schreckbild eines heilsamen Traumes ist, aus dem erwacht
Rustan sich zur idyllischen Lebensauffassung des Oheims und der besorgten Braut
bekehrt, so malt Grillparzer öfter das aus dem Handeln entspringende Unrecht
und Unglück geradezu. Die Kleinen, die nach Größe streben, die Großen, die
ihren Kreis erweitern wollen, jeder, der aus der ihm einmal bestimmten Lage,
es sei wohin auch immer, hinaufstrebt, geht qualvoll zugrunde. Der Böhmen¬
könig in "Ottokars Glück und Ende" ist niemand anders als ein Rustan, der
wirklich lebt, statt zu träumen, aus seinen: Tatendrang, aus seiner Unrast ergibt
sich blutiges Verschulden an den Nächsten und am ganzen Volke, danach ein
traurig gewaltsames Enden. Libussa zerstört sich, da sie aus ihrem halbgött¬
lichen Naturzustand ins Getriebe des werdenden Staates hinüberschreitet; Esther,
die reinen Herzens aus ihrer Hütte an den Königshof geht, wäre im Verlauf
des unvollendeten Dramas der Lüge und Schuld verfallen; Jason im "Goldenen
Vließ" erliegt den Folgen des kolchischen Abenteuers, das ihn ans hellenischer
Ordnung in barbarische Wildheit führte; aber auch Medea, der wiederum jene
Barbarei der gegebene Kreis war, zahlt mit Zerbrechen, daß sie zum griechischen
Wesen hinstrebte, und im Grunde ähnlich büßt auch Sappho mit einer zum
Tode führenden Trübung ihrer Harmonie, daß sie zur Buntheit dichterischen
Schaffens noch das bescheiden einfarbige Liebesglück des schlichten Menschen
hinzugewinnen will. Ob einer hinauf oder hinab, ins Reine oder Dunkle, ins
Weite oder Enge strebe -- er strebt aus dein ihm gesetzten Zustand hinaus,
er handelt und macht sich schuldig. Das ist die äußerste Folgerung jenes
Goethescher Spruches und ist die denkbar tragischste Lebensauffassung. Denn
wer das "Handle nicht!" als so unerbittliche, so gar keine Ausnahme zulassende
Forderung ausstellt, der muß sich selber sagen, was Conrad Ferdinand Meyers
Hütten dem ihm Ruhe verordnenden Arzt entgegenhält:


Freund, was du mir verschreibst, ist wundervoll:
Nicht leben soll ich, weil ich leben soll.

Grillparzers Gsterreichertum

wer innerlich und äußerlich idyllisch lebt, das heißt wer sich in schlichter Stellung
befindet und keine Unruhe in sich fühlt, von ihr fortzustreben. Der beruhigte
Landmann Massud im „Traum ein Leben" ist solch ein Glücklicher, seine
Tochter Mirza wird nur durch ihre Liebessehnsucht im gleichen Glück gehemmt;
sein Neffe Rustan ist unglücklich, weil ihn sein Tatendrang, gewiß kein ganz
altruistischer, aber doch auch kein unedler, nur eben der stürmische Ehrgeiz der
Jugend, aus dem Idyll hinaustreibt. Erbarmungslos enthüllt das atemlose
Jagen der Handlung (die kein im Kern Erschlafster, kein im üblichen Sinn
„gemütlicher Österreicher" so vorwärts peitschen könnte!) die zerstörende Schuld,
die Rustan im Aufwärtsklimmen anhäuft: Lüge ist der Anfang, indem der
Ehrgeizige den Erfolg einer Tat, die nicht er vollbracht, an sich rafft, Totschlag
am eigentlichen Täter, gemeinster Meuchelmord am väterlichen Freund und
König, Tyrannei und schließlicher Untergang in Verzweiflung sind die Folgen.
Gibt es hier noch ein Versöhnliches außerhalb der Tragödie, da dieses ganze
Verschulden nur das Schreckbild eines heilsamen Traumes ist, aus dem erwacht
Rustan sich zur idyllischen Lebensauffassung des Oheims und der besorgten Braut
bekehrt, so malt Grillparzer öfter das aus dem Handeln entspringende Unrecht
und Unglück geradezu. Die Kleinen, die nach Größe streben, die Großen, die
ihren Kreis erweitern wollen, jeder, der aus der ihm einmal bestimmten Lage,
es sei wohin auch immer, hinaufstrebt, geht qualvoll zugrunde. Der Böhmen¬
könig in „Ottokars Glück und Ende" ist niemand anders als ein Rustan, der
wirklich lebt, statt zu träumen, aus seinen: Tatendrang, aus seiner Unrast ergibt
sich blutiges Verschulden an den Nächsten und am ganzen Volke, danach ein
traurig gewaltsames Enden. Libussa zerstört sich, da sie aus ihrem halbgött¬
lichen Naturzustand ins Getriebe des werdenden Staates hinüberschreitet; Esther,
die reinen Herzens aus ihrer Hütte an den Königshof geht, wäre im Verlauf
des unvollendeten Dramas der Lüge und Schuld verfallen; Jason im „Goldenen
Vließ" erliegt den Folgen des kolchischen Abenteuers, das ihn ans hellenischer
Ordnung in barbarische Wildheit führte; aber auch Medea, der wiederum jene
Barbarei der gegebene Kreis war, zahlt mit Zerbrechen, daß sie zum griechischen
Wesen hinstrebte, und im Grunde ähnlich büßt auch Sappho mit einer zum
Tode führenden Trübung ihrer Harmonie, daß sie zur Buntheit dichterischen
Schaffens noch das bescheiden einfarbige Liebesglück des schlichten Menschen
hinzugewinnen will. Ob einer hinauf oder hinab, ins Reine oder Dunkle, ins
Weite oder Enge strebe — er strebt aus dein ihm gesetzten Zustand hinaus,
er handelt und macht sich schuldig. Das ist die äußerste Folgerung jenes
Goethescher Spruches und ist die denkbar tragischste Lebensauffassung. Denn
wer das „Handle nicht!" als so unerbittliche, so gar keine Ausnahme zulassende
Forderung ausstellt, der muß sich selber sagen, was Conrad Ferdinand Meyers
Hütten dem ihm Ruhe verordnenden Arzt entgegenhält:


Freund, was du mir verschreibst, ist wundervoll:
Nicht leben soll ich, weil ich leben soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/310>, abgerufen am 25.08.2024.