Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit -- staatsbürgerliche Bildung -- Gefahren der Negierungspolitik für die Jugend -- Vertrauen und Achtung -- Die elsaß-lothringische Verfassungsfrage -- Zentrum und Reichskanzler -- Erpresserpolitik -- Kardinal Graf Ledochowski -- Administrative Aufteilung Posens Die Osterpause ist beendet. Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier, Jour¬ Bei unseren monarchischen, durch die Parlamente nur wenig beeinflußten Der derzeitige Leiter der deutschen Politik hat den guten Willen gezeigt, die Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit — staatsbürgerliche Bildung — Gefahren der Negierungspolitik für die Jugend — Vertrauen und Achtung — Die elsaß-lothringische Verfassungsfrage — Zentrum und Reichskanzler — Erpresserpolitik — Kardinal Graf Ledochowski — Administrative Aufteilung Posens Die Osterpause ist beendet. Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier, Jour¬ Bei unseren monarchischen, durch die Parlamente nur wenig beeinflußten Der derzeitige Leiter der deutschen Politik hat den guten Willen gezeigt, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318527"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Innere Politik</head><lb/> <note type="argument"> Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit — staatsbürgerliche Bildung — Gefahren der<lb/> Negierungspolitik für die Jugend — Vertrauen und Achtung — Die elsaß-lothringische<lb/> Verfassungsfrage — Zentrum und Reichskanzler — Erpresserpolitik — Kardinal Graf<lb/> Ledochowski — Administrative Aufteilung Posens</note><lb/> <p xml:id="ID_1236"> Die Osterpause ist beendet. Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier, Jour¬<lb/> nalisten strömen wieder aus allen Gauen nach Deutschlands politischem Mittel¬<lb/> punkt. Am 2.Mai nehmen die Parlamente wieder das Wort, und die<lb/> Presse geht ihrer kurzen Selbständigkeit für lange Zeit verlustig. Wieder treten<lb/> die Äußerungen der Nicht-Zünftigen hinter denen der Zünftigen zurück, wieder<lb/> schiebt sich die innere Politik in den Vordergrund, während die auswärtige sich<lb/> auf die Nachrichtenvermittlung beschränken muß. Damit werden denn wohl auch<lb/> die Angriffe gegen Herrn v. Kiderlen verstummen, die hier und da mangels<lb/> anderen Stoffes in der Presse erschienen. So ist's immer gewesen und wird es<lb/> immer bleiben, solange Parlamente, Ferien und Tageszeitungen bestehen. Leiderl<lb/> Denn im alltäglichen Kampf, in dem jeder Schritt voran heiß erstritten werden<lb/> muß, verwischen sich leicht die großen Richtlinien, die den politischen Streit leiten<lb/> sollten. Mancher Hieb und Stich muß in der entgegengesetzten Richtung der Lage<lb/> des allgemeinen Zieles geführt werden; mancher Bundesgenosse im Großen muß<lb/> sich Püffe und Stoße aus kleinlichen Gründen gefallen lassen. Der Freund will<lb/> zunächst einmal selbst zur Geltung kommen. Man denke an enge Quartiere in<lb/> Feindesland mit ihrem Durcheinander und man wird verstehen, warum auch<lb/> politische Freunde einander in den Haaren liegen können. Der Kampf um die<lb/> politischenKochlöcherund Tränkstellen braucht nicht allzu tragisch genommen zu werden,<lb/> solange eine gemeinsame Aufgabe, ein großes Ziel vorhanden sind. Anders ist es,<lb/> wenn diese Ziele fehlen oder doch zu fehlen scheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237"> Bei unseren monarchischen, durch die Parlamente nur wenig beeinflußten<lb/> Regierungsgebräuchen sind wir gewohnt, die Losung vom Leiter der Reichsregierung<lb/> zu erhalten. Darum spielt auch die Persönlichkeit dieses Leiters in Deutschland-<lb/> Preußen eine weit größere Rolle als in rein parlamentarisch regierten Ländern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1238"> Der derzeitige Leiter der deutschen Politik hat den guten Willen gezeigt, die<lb/> Parlamente vor solche Aufgaben zu stellen, daß die Parteien zusammenwirken<lb/> könnten. Mit der Fürsorge für die schulentlassene Jugend hat er auch in Preußen<lb/> einen Erfolg zu verzeichnen gehabt. Wie erinnerlich, ist dem preußischen Kultus¬<lb/> minister eine Million Mark zur Verfügung gestellt, um den dringendsten Ansprüchen<lb/> in dieser Beziehung gerecht werden zu können. Unter anderem soll auch die<lb/> Kenntnis des Staates und seiner Aufgaben, sowie der Pflichten und Rechte<lb/> der Staatsbürger in der heranwachsenden Jugend verbreitet werden. Doch<lb/> was bedeutet selbst eine so große Summe Geldes, was die aufopferndste Tätigkeit<lb/> national gesinnter Männer, wenn die Regierungspolitik unstätig von einem Extrem<lb/> ins andere fällt, wenn der Negierungsleiter sich von erst kürzlich mit großem<lb/> Aufwand von Autorität verbreiteten Auffassungen abwendet und die eben bekämpften<lb/> Anschauungen als höchste Regierungsweisheit und staatsbürgerliche Pflicht hinstellt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0244]
Reichsspiegel
Reichsspiegel
Innere Politik
Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit — staatsbürgerliche Bildung — Gefahren der
Negierungspolitik für die Jugend — Vertrauen und Achtung — Die elsaß-lothringische
Verfassungsfrage — Zentrum und Reichskanzler — Erpresserpolitik — Kardinal Graf
Ledochowski — Administrative Aufteilung Posens
Die Osterpause ist beendet. Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier, Jour¬
nalisten strömen wieder aus allen Gauen nach Deutschlands politischem Mittel¬
punkt. Am 2.Mai nehmen die Parlamente wieder das Wort, und die
Presse geht ihrer kurzen Selbständigkeit für lange Zeit verlustig. Wieder treten
die Äußerungen der Nicht-Zünftigen hinter denen der Zünftigen zurück, wieder
schiebt sich die innere Politik in den Vordergrund, während die auswärtige sich
auf die Nachrichtenvermittlung beschränken muß. Damit werden denn wohl auch
die Angriffe gegen Herrn v. Kiderlen verstummen, die hier und da mangels
anderen Stoffes in der Presse erschienen. So ist's immer gewesen und wird es
immer bleiben, solange Parlamente, Ferien und Tageszeitungen bestehen. Leiderl
Denn im alltäglichen Kampf, in dem jeder Schritt voran heiß erstritten werden
muß, verwischen sich leicht die großen Richtlinien, die den politischen Streit leiten
sollten. Mancher Hieb und Stich muß in der entgegengesetzten Richtung der Lage
des allgemeinen Zieles geführt werden; mancher Bundesgenosse im Großen muß
sich Püffe und Stoße aus kleinlichen Gründen gefallen lassen. Der Freund will
zunächst einmal selbst zur Geltung kommen. Man denke an enge Quartiere in
Feindesland mit ihrem Durcheinander und man wird verstehen, warum auch
politische Freunde einander in den Haaren liegen können. Der Kampf um die
politischenKochlöcherund Tränkstellen braucht nicht allzu tragisch genommen zu werden,
solange eine gemeinsame Aufgabe, ein großes Ziel vorhanden sind. Anders ist es,
wenn diese Ziele fehlen oder doch zu fehlen scheinen.
Bei unseren monarchischen, durch die Parlamente nur wenig beeinflußten
Regierungsgebräuchen sind wir gewohnt, die Losung vom Leiter der Reichsregierung
zu erhalten. Darum spielt auch die Persönlichkeit dieses Leiters in Deutschland-
Preußen eine weit größere Rolle als in rein parlamentarisch regierten Ländern.
Der derzeitige Leiter der deutschen Politik hat den guten Willen gezeigt, die
Parlamente vor solche Aufgaben zu stellen, daß die Parteien zusammenwirken
könnten. Mit der Fürsorge für die schulentlassene Jugend hat er auch in Preußen
einen Erfolg zu verzeichnen gehabt. Wie erinnerlich, ist dem preußischen Kultus¬
minister eine Million Mark zur Verfügung gestellt, um den dringendsten Ansprüchen
in dieser Beziehung gerecht werden zu können. Unter anderem soll auch die
Kenntnis des Staates und seiner Aufgaben, sowie der Pflichten und Rechte
der Staatsbürger in der heranwachsenden Jugend verbreitet werden. Doch
was bedeutet selbst eine so große Summe Geldes, was die aufopferndste Tätigkeit
national gesinnter Männer, wenn die Regierungspolitik unstätig von einem Extrem
ins andere fällt, wenn der Negierungsleiter sich von erst kürzlich mit großem
Aufwand von Autorität verbreiteten Auffassungen abwendet und die eben bekämpften
Anschauungen als höchste Regierungsweisheit und staatsbürgerliche Pflicht hinstellt.
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