Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Lücher vom tieferen Leben dem Herzpunkt der Empfindung, aus dem tieferen Leben einer großen, lodernden Sollte ich mir eine Frau ausmalen, die mit derselben reinen Liebesfähigkeit Lücher vom tieferen Leben dem Herzpunkt der Empfindung, aus dem tieferen Leben einer großen, lodernden Sollte ich mir eine Frau ausmalen, die mit derselben reinen Liebesfähigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318521"/> <fw type="header" place="top"> Lücher vom tieferen Leben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214"> dem Herzpunkt der Empfindung, aus dem tieferen Leben einer großen, lodernden<lb/> Seele. Das alles ist nicht nur geschrieben, sondern ganz und gar erlebt. Erlebt<lb/> ist die Schilderung der Entwickelung des deutschen Dramas, wie sie da gegeben<lb/> wird, mit allen ihren Einseitigkeiten — Hebbel und Ludwig verschwinden neben<lb/> Richard Wagner namenlos in der Versenkung —, erlebt sind die reizenden Bilder<lb/> aus Alt-Berlin, erlebt die sachlichen und persönlichen Worte über den Schillerpreis.<lb/> Manches davon berührt uns zunächst fremd, weil der Anlaß, aus dem es einst<lb/> geschrieben ward, längst in das Meer vergessener Dinge gesunken ist! und dennoch<lb/> liest man Seite für Seite mit klopfendem Herzen, manchmal mit bebender Lippe,<lb/> weil ein ganzer Mensch hier spricht, dem das Geschick kein gefühlloses Herz auf<lb/> der wankenden Erde, sondern eine gegen jeden Hauch empfindliche Natur gegeben<lb/> hatte. Und am empfindlichsten war Wildenbruch dann, wenn man Deutschland,<lb/> das Deutschland, wie er es liebte und wollte, irgendwo antastete. Auf jedem dieser<lb/> Blätter glüht die selbstverständliche, das eigene Geschick mit dem der Nation gleich¬<lb/> setzende völkische Empfindung, die Heinrich von Treitschkes kostbarster Besitz war.<lb/> Ein solcher Mann kann dann auch seinem Volk so bittere Wahrheiten sagen, wie<lb/> sie Wildenbruch hier etwa in der Studie .Furor teutonicus« ausspricht. Aber<lb/> wie könnte sich zugleich der Dramatiker verleugnen, der sich nie, weder in der<lb/> Erzählung noch in der Ballade Wildenbruchs, verbarg. Jede Persönlichkeit, der<lb/> hier ein Glückwunsch oder ein Nachruf geschrieben wird, steht nach ganz wenigen<lb/> Strichen unverwechselbar da für den, der sie gekannt, wie für den, der sie nicht<lb/> gekannt hat. Der springende Punkt in dem Leben eines jeden wird rasch heraus¬<lb/> empfunden und sicher vergegenwärtigt, der Zauber der Naivität in Frau Hedwig<lb/> v. Olfers so gut wie die leidenschaftliche Kunstsreude der Marie Seebach, Karl<lb/> v. Webers, des Komponistenenkels, überschattete Sehnsucht, ein Dichter zu sein,<lb/> Großherzog Karl Alexanders feine Pietät und bescheidene Menschlichkeit, Björnstjerne<lb/> Björnsons lodernde Leidenschaft der Wahrheit und der Kraft. Daß auch der Humor,<lb/> den Wildenbruch in seinen feinen Humoresken „Lachendes Land" und in den<lb/> „Quitzows" bewährt hat, ihm hier zu Gebote steht, zeigt das köstliche Gespräch<lb/> zwischen dem Qenius loci Berlins und Herrn Feinohr über Herman Grimm.<lb/> Kurz, Reichtum über Reichtum offenbart dieses Buch auf jeder Seite, und es<lb/> schließt mit der eisernen Mahnung: „Landgraf, werde hart", mit einem flammenden<lb/> Aufruf, das lakaienhafte Liebedienern vor den: Ausland zu lassen und der heran¬<lb/> wachsenden deutschen Jugend Stolz, Selbstachtung in die Seele zu pflanzen, daß<lb/> sich nicht die tragische Katastrophe wiederhole, in der ein mit allen Gaben Deutsch¬<lb/> lands genährter hoher Geist wie Friedrich Nietzsche rasend gegen Deutschland<lb/> wütete. Das Buch weckt Sehnsucht, weil es selbst eine Erfüllung, ein zusammen¬<lb/> fassender Abschluß eines groß gelebten und aus der Tiefe gelebten Dichterdaseins ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1216" next="#ID_1217"> Sollte ich mir eine Frau ausmalen, die mit derselben reinen Liebesfähigkeit<lb/> in dem Wirrwarr unserer Tage das Bleibende und Echte über den Trödel des<lb/> Marktes und die feilen Ausgeburten der Sensation hinwegtragen möchte, so könnte<lb/> ich mir sie nicht besser bilden, als sich Lili du Bois-Nehmond selbst gibt in ihrem<lb/> Buch „Die Insel im Sturm" (Berlin. Meyer u. Jessen). Die Insel ist ein deutsches<lb/> Familienhaus in einer kleinen Stadt an See und Wald. Ganz unbegreiflich haben<lb/> die Verwandten in der Großstadt es gefunden, daß sich der tüchtige Arzt mit den<lb/> Seinen hierhin zurückgezogen hat. Das Ehepaar aber erzieht in geistig hoch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Lücher vom tieferen Leben
dem Herzpunkt der Empfindung, aus dem tieferen Leben einer großen, lodernden
Seele. Das alles ist nicht nur geschrieben, sondern ganz und gar erlebt. Erlebt
ist die Schilderung der Entwickelung des deutschen Dramas, wie sie da gegeben
wird, mit allen ihren Einseitigkeiten — Hebbel und Ludwig verschwinden neben
Richard Wagner namenlos in der Versenkung —, erlebt sind die reizenden Bilder
aus Alt-Berlin, erlebt die sachlichen und persönlichen Worte über den Schillerpreis.
Manches davon berührt uns zunächst fremd, weil der Anlaß, aus dem es einst
geschrieben ward, längst in das Meer vergessener Dinge gesunken ist! und dennoch
liest man Seite für Seite mit klopfendem Herzen, manchmal mit bebender Lippe,
weil ein ganzer Mensch hier spricht, dem das Geschick kein gefühlloses Herz auf
der wankenden Erde, sondern eine gegen jeden Hauch empfindliche Natur gegeben
hatte. Und am empfindlichsten war Wildenbruch dann, wenn man Deutschland,
das Deutschland, wie er es liebte und wollte, irgendwo antastete. Auf jedem dieser
Blätter glüht die selbstverständliche, das eigene Geschick mit dem der Nation gleich¬
setzende völkische Empfindung, die Heinrich von Treitschkes kostbarster Besitz war.
Ein solcher Mann kann dann auch seinem Volk so bittere Wahrheiten sagen, wie
sie Wildenbruch hier etwa in der Studie .Furor teutonicus« ausspricht. Aber
wie könnte sich zugleich der Dramatiker verleugnen, der sich nie, weder in der
Erzählung noch in der Ballade Wildenbruchs, verbarg. Jede Persönlichkeit, der
hier ein Glückwunsch oder ein Nachruf geschrieben wird, steht nach ganz wenigen
Strichen unverwechselbar da für den, der sie gekannt, wie für den, der sie nicht
gekannt hat. Der springende Punkt in dem Leben eines jeden wird rasch heraus¬
empfunden und sicher vergegenwärtigt, der Zauber der Naivität in Frau Hedwig
v. Olfers so gut wie die leidenschaftliche Kunstsreude der Marie Seebach, Karl
v. Webers, des Komponistenenkels, überschattete Sehnsucht, ein Dichter zu sein,
Großherzog Karl Alexanders feine Pietät und bescheidene Menschlichkeit, Björnstjerne
Björnsons lodernde Leidenschaft der Wahrheit und der Kraft. Daß auch der Humor,
den Wildenbruch in seinen feinen Humoresken „Lachendes Land" und in den
„Quitzows" bewährt hat, ihm hier zu Gebote steht, zeigt das köstliche Gespräch
zwischen dem Qenius loci Berlins und Herrn Feinohr über Herman Grimm.
Kurz, Reichtum über Reichtum offenbart dieses Buch auf jeder Seite, und es
schließt mit der eisernen Mahnung: „Landgraf, werde hart", mit einem flammenden
Aufruf, das lakaienhafte Liebedienern vor den: Ausland zu lassen und der heran¬
wachsenden deutschen Jugend Stolz, Selbstachtung in die Seele zu pflanzen, daß
sich nicht die tragische Katastrophe wiederhole, in der ein mit allen Gaben Deutsch¬
lands genährter hoher Geist wie Friedrich Nietzsche rasend gegen Deutschland
wütete. Das Buch weckt Sehnsucht, weil es selbst eine Erfüllung, ein zusammen¬
fassender Abschluß eines groß gelebten und aus der Tiefe gelebten Dichterdaseins ist.
Sollte ich mir eine Frau ausmalen, die mit derselben reinen Liebesfähigkeit
in dem Wirrwarr unserer Tage das Bleibende und Echte über den Trödel des
Marktes und die feilen Ausgeburten der Sensation hinwegtragen möchte, so könnte
ich mir sie nicht besser bilden, als sich Lili du Bois-Nehmond selbst gibt in ihrem
Buch „Die Insel im Sturm" (Berlin. Meyer u. Jessen). Die Insel ist ein deutsches
Familienhaus in einer kleinen Stadt an See und Wald. Ganz unbegreiflich haben
die Verwandten in der Großstadt es gefunden, daß sich der tüchtige Arzt mit den
Seinen hierhin zurückgezogen hat. Das Ehepaar aber erzieht in geistig hoch-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |