Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die internationale Sprache

die fremden Sprachen entweder ganz entnommen oder, was oft schlimmer
ist, barbarische Zusammensetzungen aus Stämmen mehrerer fremden Sprachen
mit deutschen Endungen sind, und wir haben diese Wörter sogar in einer
Schreibweise und einer Aussprache, die sich in keiner Weise mit den Gesetzen
der deutschen Sprache vereinigen lassen.

Ein "homosexueller" Mensch besteht aus Griechisch, Lateinisch und Deutsch:
ein Gendarm wird vom Volke als Schand-Arm verstanden. Das Diplomaten¬
korps paßt zum Renaissancestil; seine Mitglieder halten sich zwar Stenotypistinnen
und lassen sich interviewen, stehen aber einer Budgetkommission als Outsider
gegenüber. Was früher ihre Pagen taten, managen jetzt die Messenger-Boys.

Das geht so weit, daß Sätze wie der folgende täglich in der Zeitung stehen
und von manchem wohlig verschluckt werden, der bei dem Worte "Esperanto"
eine Gänsehaut bekommt: "Unser Korrespondent telegrafiert uns, daß das
Syndikat wenig Chancen auf Realisierung seines Projektes habe. Die als Ballon
d'Essay in die Presse lancierte Nachricht, daß die Konzessionserteilung direkt
bevorstehe, wurde offiziell dementiert." Das ist nicht nur Zeitungsdeutsch. Ein
Dichter wie Theodor Fontane hat in seinem Roman "Stine" (S. 128) folgenden
Satz: "Was half es, wenn Waldemar aus dem Lande ging und sich sür immer
expatriierte? Die Tatsache der .Enccmaillierung' eines Haltern blieb bestehen
und damit der Skandal, die Blanc, das Nidikül." Und ähnlich sehr oft!

Um auch ein Beispiel für internationale Sprachmengerei aus dem Fran¬
zösischen zu geben, möchte ich den Inhalt einer Neklametafel anführen, die ich
in der Nähe von Ostende fand: "l^e Naxim cZ'L>8töriäs auprös ein Kur8a,al,
(Zrilllvom, Dar."

Ja, im Vergleich hierzu ist Esperanto wirklich eine schöne Sprache!

Durch seine Regelmäßigkeit und die eigentümlichen Gesetze der Wortbildung
bekommt das Aussehen von Esperanto einen besonderen Charakter, einen eigenen
Stil, in dem die verschiedensten Einzelheiten zu einer harmonischen Einheit
zusammengefaßt werden. Daß wir in unserer Muttersprache die vielen Stillosig-
keiten und Häßlichkeiten nicht empfinden, liegt, wie gesagt, nur an der Gewohnheit,
die einem im Leben ja alles erträglich, sogar lieb machen kann.

Bei einer künstlichen Sprache ist zu berücksichtigen, daß sie unter bestimmten
Zweckgesetzen steht, und wenn man ein Gebäude schön nennt, bei welchem alle
Teile in ihrem Verhältnis zueinander und zum Ganzen einem einheitlichen Zweck¬
gedanken dienen, so muß man auch Esperanto schön nennen, mag die Schönheit eines
künstlerisch erbauten Warmhauses auch anderer Art sein als die einer Kirche oder
eines Fürstenschlosses. Aber wer sich trotzdem in seinen: ästhetischen Gefühle
mit Esperanto nicht versöhnen könnte, -- dieses Gefühl gehört ja auch zu denen,
die eine eingehendere Beschäftigung, ein Vertrautwerden mit der Sprache ab¬
lehnen, -- der möge bedenken, daß eine internationale Hilfssprache praktischen
Zwecken dienen soll, und daß es bei einem Werkzeug nicht darauf ankommt,
wie schön es aussieht, sondern darauf, wie nützlich es ist.


Die internationale Sprache

die fremden Sprachen entweder ganz entnommen oder, was oft schlimmer
ist, barbarische Zusammensetzungen aus Stämmen mehrerer fremden Sprachen
mit deutschen Endungen sind, und wir haben diese Wörter sogar in einer
Schreibweise und einer Aussprache, die sich in keiner Weise mit den Gesetzen
der deutschen Sprache vereinigen lassen.

Ein „homosexueller" Mensch besteht aus Griechisch, Lateinisch und Deutsch:
ein Gendarm wird vom Volke als Schand-Arm verstanden. Das Diplomaten¬
korps paßt zum Renaissancestil; seine Mitglieder halten sich zwar Stenotypistinnen
und lassen sich interviewen, stehen aber einer Budgetkommission als Outsider
gegenüber. Was früher ihre Pagen taten, managen jetzt die Messenger-Boys.

Das geht so weit, daß Sätze wie der folgende täglich in der Zeitung stehen
und von manchem wohlig verschluckt werden, der bei dem Worte „Esperanto"
eine Gänsehaut bekommt: „Unser Korrespondent telegrafiert uns, daß das
Syndikat wenig Chancen auf Realisierung seines Projektes habe. Die als Ballon
d'Essay in die Presse lancierte Nachricht, daß die Konzessionserteilung direkt
bevorstehe, wurde offiziell dementiert." Das ist nicht nur Zeitungsdeutsch. Ein
Dichter wie Theodor Fontane hat in seinem Roman „Stine" (S. 128) folgenden
Satz: „Was half es, wenn Waldemar aus dem Lande ging und sich sür immer
expatriierte? Die Tatsache der .Enccmaillierung' eines Haltern blieb bestehen
und damit der Skandal, die Blanc, das Nidikül." Und ähnlich sehr oft!

Um auch ein Beispiel für internationale Sprachmengerei aus dem Fran¬
zösischen zu geben, möchte ich den Inhalt einer Neklametafel anführen, die ich
in der Nähe von Ostende fand: „l^e Naxim cZ'L>8töriäs auprös ein Kur8a,al,
(Zrilllvom, Dar."

Ja, im Vergleich hierzu ist Esperanto wirklich eine schöne Sprache!

Durch seine Regelmäßigkeit und die eigentümlichen Gesetze der Wortbildung
bekommt das Aussehen von Esperanto einen besonderen Charakter, einen eigenen
Stil, in dem die verschiedensten Einzelheiten zu einer harmonischen Einheit
zusammengefaßt werden. Daß wir in unserer Muttersprache die vielen Stillosig-
keiten und Häßlichkeiten nicht empfinden, liegt, wie gesagt, nur an der Gewohnheit,
die einem im Leben ja alles erträglich, sogar lieb machen kann.

Bei einer künstlichen Sprache ist zu berücksichtigen, daß sie unter bestimmten
Zweckgesetzen steht, und wenn man ein Gebäude schön nennt, bei welchem alle
Teile in ihrem Verhältnis zueinander und zum Ganzen einem einheitlichen Zweck¬
gedanken dienen, so muß man auch Esperanto schön nennen, mag die Schönheit eines
künstlerisch erbauten Warmhauses auch anderer Art sein als die einer Kirche oder
eines Fürstenschlosses. Aber wer sich trotzdem in seinen: ästhetischen Gefühle
mit Esperanto nicht versöhnen könnte, — dieses Gefühl gehört ja auch zu denen,
die eine eingehendere Beschäftigung, ein Vertrautwerden mit der Sprache ab¬
lehnen, — der möge bedenken, daß eine internationale Hilfssprache praktischen
Zwecken dienen soll, und daß es bei einem Werkzeug nicht darauf ankommt,
wie schön es aussieht, sondern darauf, wie nützlich es ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318499"/>
          <fw type="header" place="top"> Die internationale Sprache</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024"> die fremden Sprachen entweder ganz entnommen oder, was oft schlimmer<lb/>
ist, barbarische Zusammensetzungen aus Stämmen mehrerer fremden Sprachen<lb/>
mit deutschen Endungen sind, und wir haben diese Wörter sogar in einer<lb/>
Schreibweise und einer Aussprache, die sich in keiner Weise mit den Gesetzen<lb/>
der deutschen Sprache vereinigen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1026"> Ein &#x201E;homosexueller" Mensch besteht aus Griechisch, Lateinisch und Deutsch:<lb/>
ein Gendarm wird vom Volke als Schand-Arm verstanden. Das Diplomaten¬<lb/>
korps paßt zum Renaissancestil; seine Mitglieder halten sich zwar Stenotypistinnen<lb/>
und lassen sich interviewen, stehen aber einer Budgetkommission als Outsider<lb/>
gegenüber.  Was früher ihre Pagen taten, managen jetzt die Messenger-Boys.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1027"> Das geht so weit, daß Sätze wie der folgende täglich in der Zeitung stehen<lb/>
und von manchem wohlig verschluckt werden, der bei dem Worte &#x201E;Esperanto"<lb/>
eine Gänsehaut bekommt: &#x201E;Unser Korrespondent telegrafiert uns, daß das<lb/>
Syndikat wenig Chancen auf Realisierung seines Projektes habe. Die als Ballon<lb/>
d'Essay in die Presse lancierte Nachricht, daß die Konzessionserteilung direkt<lb/>
bevorstehe, wurde offiziell dementiert." Das ist nicht nur Zeitungsdeutsch. Ein<lb/>
Dichter wie Theodor Fontane hat in seinem Roman &#x201E;Stine" (S. 128) folgenden<lb/>
Satz: &#x201E;Was half es, wenn Waldemar aus dem Lande ging und sich sür immer<lb/>
expatriierte? Die Tatsache der .Enccmaillierung' eines Haltern blieb bestehen<lb/>
und damit der Skandal, die Blanc, das Nidikül."  Und ähnlich sehr oft!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1028"> Um auch ein Beispiel für internationale Sprachmengerei aus dem Fran¬<lb/>
zösischen zu geben, möchte ich den Inhalt einer Neklametafel anführen, die ich<lb/>
in der Nähe von Ostende fand: &#x201E;l^e Naxim cZ'L&gt;8töriäs auprös ein Kur8a,al,<lb/>
(Zrilllvom, Dar."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1029"> Ja, im Vergleich hierzu ist Esperanto wirklich eine schöne Sprache!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1030"> Durch seine Regelmäßigkeit und die eigentümlichen Gesetze der Wortbildung<lb/>
bekommt das Aussehen von Esperanto einen besonderen Charakter, einen eigenen<lb/>
Stil, in dem die verschiedensten Einzelheiten zu einer harmonischen Einheit<lb/>
zusammengefaßt werden. Daß wir in unserer Muttersprache die vielen Stillosig-<lb/>
keiten und Häßlichkeiten nicht empfinden, liegt, wie gesagt, nur an der Gewohnheit,<lb/>
die einem im Leben ja alles erträglich, sogar lieb machen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1031"> Bei einer künstlichen Sprache ist zu berücksichtigen, daß sie unter bestimmten<lb/>
Zweckgesetzen steht, und wenn man ein Gebäude schön nennt, bei welchem alle<lb/>
Teile in ihrem Verhältnis zueinander und zum Ganzen einem einheitlichen Zweck¬<lb/>
gedanken dienen, so muß man auch Esperanto schön nennen, mag die Schönheit eines<lb/>
künstlerisch erbauten Warmhauses auch anderer Art sein als die einer Kirche oder<lb/>
eines Fürstenschlosses. Aber wer sich trotzdem in seinen: ästhetischen Gefühle<lb/>
mit Esperanto nicht versöhnen könnte, &#x2014; dieses Gefühl gehört ja auch zu denen,<lb/>
die eine eingehendere Beschäftigung, ein Vertrautwerden mit der Sprache ab¬<lb/>
lehnen, &#x2014; der möge bedenken, daß eine internationale Hilfssprache praktischen<lb/>
Zwecken dienen soll, und daß es bei einem Werkzeug nicht darauf ankommt,<lb/>
wie schön es aussieht, sondern darauf, wie nützlich es ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] Die internationale Sprache die fremden Sprachen entweder ganz entnommen oder, was oft schlimmer ist, barbarische Zusammensetzungen aus Stämmen mehrerer fremden Sprachen mit deutschen Endungen sind, und wir haben diese Wörter sogar in einer Schreibweise und einer Aussprache, die sich in keiner Weise mit den Gesetzen der deutschen Sprache vereinigen lassen. Ein „homosexueller" Mensch besteht aus Griechisch, Lateinisch und Deutsch: ein Gendarm wird vom Volke als Schand-Arm verstanden. Das Diplomaten¬ korps paßt zum Renaissancestil; seine Mitglieder halten sich zwar Stenotypistinnen und lassen sich interviewen, stehen aber einer Budgetkommission als Outsider gegenüber. Was früher ihre Pagen taten, managen jetzt die Messenger-Boys. Das geht so weit, daß Sätze wie der folgende täglich in der Zeitung stehen und von manchem wohlig verschluckt werden, der bei dem Worte „Esperanto" eine Gänsehaut bekommt: „Unser Korrespondent telegrafiert uns, daß das Syndikat wenig Chancen auf Realisierung seines Projektes habe. Die als Ballon d'Essay in die Presse lancierte Nachricht, daß die Konzessionserteilung direkt bevorstehe, wurde offiziell dementiert." Das ist nicht nur Zeitungsdeutsch. Ein Dichter wie Theodor Fontane hat in seinem Roman „Stine" (S. 128) folgenden Satz: „Was half es, wenn Waldemar aus dem Lande ging und sich sür immer expatriierte? Die Tatsache der .Enccmaillierung' eines Haltern blieb bestehen und damit der Skandal, die Blanc, das Nidikül." Und ähnlich sehr oft! Um auch ein Beispiel für internationale Sprachmengerei aus dem Fran¬ zösischen zu geben, möchte ich den Inhalt einer Neklametafel anführen, die ich in der Nähe von Ostende fand: „l^e Naxim cZ'L>8töriäs auprös ein Kur8a,al, (Zrilllvom, Dar." Ja, im Vergleich hierzu ist Esperanto wirklich eine schöne Sprache! Durch seine Regelmäßigkeit und die eigentümlichen Gesetze der Wortbildung bekommt das Aussehen von Esperanto einen besonderen Charakter, einen eigenen Stil, in dem die verschiedensten Einzelheiten zu einer harmonischen Einheit zusammengefaßt werden. Daß wir in unserer Muttersprache die vielen Stillosig- keiten und Häßlichkeiten nicht empfinden, liegt, wie gesagt, nur an der Gewohnheit, die einem im Leben ja alles erträglich, sogar lieb machen kann. Bei einer künstlichen Sprache ist zu berücksichtigen, daß sie unter bestimmten Zweckgesetzen steht, und wenn man ein Gebäude schön nennt, bei welchem alle Teile in ihrem Verhältnis zueinander und zum Ganzen einem einheitlichen Zweck¬ gedanken dienen, so muß man auch Esperanto schön nennen, mag die Schönheit eines künstlerisch erbauten Warmhauses auch anderer Art sein als die einer Kirche oder eines Fürstenschlosses. Aber wer sich trotzdem in seinen: ästhetischen Gefühle mit Esperanto nicht versöhnen könnte, — dieses Gefühl gehört ja auch zu denen, die eine eingehendere Beschäftigung, ein Vertrautwerden mit der Sprache ab¬ lehnen, — der möge bedenken, daß eine internationale Hilfssprache praktischen Zwecken dienen soll, und daß es bei einem Werkzeug nicht darauf ankommt, wie schön es aussieht, sondern darauf, wie nützlich es ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/216>, abgerufen am 01.10.2024.