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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die internationale Sprache

eine Vermittlungssprache ist, die beiden Teilen in gleicher Weise eine fremde ist,
dem ist sie nur ein Werkzeug, das dem Gedankenaustausch dienen soll, und das
jedem um so lieber sein wird, je bequemer und sicherer es zu handhaben ist.

Wäre unsere Begriffswelt so klein, daß wir zum gegenseitigen Verständnis
mit wenigen Zeichen auskämen, so würde kein Mensch auf den Gedanken kommen,
das System dieser Zeichen als einen Organismus zu betrachten, so wenig wie
man etwa in einem Spiel Karten mit den dazu gehörigen Spielregeln oder in
der internationalen Flaggensignalsprache einen Organismus sieht. Es ist also
gar nichts so Ungeheuerliches, statt einer in Jahrhunderten zufällig entstandenen
Sprache als Mittel der Verständigung mit Angehörigen anderer Völker ein nach
dem Muster der uns vertrauten Sprachen planmäßig geschaffenes und durch
übereinstimmenden Gebrauch zur Sprache verlebendigtes System zu wählen.

Würde zum Beispiel einem japanischen Sprachforscher, der keine Kenntnis
von europäischen Sprachen und ihrer Geschichte hätte, ein Lehrbuch der Esperanto¬
sprache mit einer Auswahl aus der Esperantoliteratur neben demselben Material
aus anderen europäischen Sprachen vorgelegt werden, so würde er in allem,
was das Wesen einer Sprache ausmacht, keinen Unterschied finden. Er könnte
nie den Beweis führen, daß Esperanto keine Sprache sei, daß es unmöglich sei,
daß sich Menschen derselben Kulturgemeinschaft in ihr fo verständigen könnten,
wie es die Bedürfnisse des Lebens verlangen. Was er schon nach kurzem
Studium finden würde, wäre die ihn wahrscheinlich selber überraschende Fest¬
stellung, daß Esperanto die anderen Sprachen an Einfachheit, Regelmäßigkeit
und Reichtum der Ausdrucksmöglichkeiten weit übertrifft, so daß er das
"Esperanto-Volk" für das praktischste, klarste und logisch begabteste Volk Europas
halten würde.

Zugegeben, daß eine künstliche Sprache wie Esperanto möglich ist, ist sie
notwendig oder auch nur nützlich, und verdient sie es, daß man sich mit ihr
beschäftige, aus persönlichem oder allgemeinem Kulturinteresse? Der Begriff des
notwendigen oder Nützlichen richtet sich nach dem Zwecke, den man damit
erreichen will oder kann. Will man den Verkehr unter den Völkern erleichtern,
will man den Austausch materieller und ideeller Güter vereinfachen und ver¬
billigen, will man alle die Kulturinteressen, die über die staatlichen Grenzen
hinausreichen, fördern, will man die Menschen von einem ungeheuren Ballast
befreien, der ihnen Zeit und Kraft raubt, die sie für wertvollere Dinge ver¬
wenden könnten, dann allerdings ist eine internationale Hilfssprache nicht nur
ein nützliches, sondern ein notwendiges Mittel.

Die Vorteile im einzelnen hier darzustellen, würde zu weit führen. In
vollem Maße können sie nur erreicht werden, wenn die Hilfssprache in allen
Schulen gelehrt wird. Schon deshalb kann man nicht daran denken, eine der
am meisten verbreiteten nationalen Sprachen, etwa Englisch, Französisch oder
Deutsch, international als zweite Sprache für jedermann einzuführen. Abgesehen
davon, daß kein Volk dulden könnte, daß eine andere als seine eigene Sprache


Die internationale Sprache

eine Vermittlungssprache ist, die beiden Teilen in gleicher Weise eine fremde ist,
dem ist sie nur ein Werkzeug, das dem Gedankenaustausch dienen soll, und das
jedem um so lieber sein wird, je bequemer und sicherer es zu handhaben ist.

Wäre unsere Begriffswelt so klein, daß wir zum gegenseitigen Verständnis
mit wenigen Zeichen auskämen, so würde kein Mensch auf den Gedanken kommen,
das System dieser Zeichen als einen Organismus zu betrachten, so wenig wie
man etwa in einem Spiel Karten mit den dazu gehörigen Spielregeln oder in
der internationalen Flaggensignalsprache einen Organismus sieht. Es ist also
gar nichts so Ungeheuerliches, statt einer in Jahrhunderten zufällig entstandenen
Sprache als Mittel der Verständigung mit Angehörigen anderer Völker ein nach
dem Muster der uns vertrauten Sprachen planmäßig geschaffenes und durch
übereinstimmenden Gebrauch zur Sprache verlebendigtes System zu wählen.

Würde zum Beispiel einem japanischen Sprachforscher, der keine Kenntnis
von europäischen Sprachen und ihrer Geschichte hätte, ein Lehrbuch der Esperanto¬
sprache mit einer Auswahl aus der Esperantoliteratur neben demselben Material
aus anderen europäischen Sprachen vorgelegt werden, so würde er in allem,
was das Wesen einer Sprache ausmacht, keinen Unterschied finden. Er könnte
nie den Beweis führen, daß Esperanto keine Sprache sei, daß es unmöglich sei,
daß sich Menschen derselben Kulturgemeinschaft in ihr fo verständigen könnten,
wie es die Bedürfnisse des Lebens verlangen. Was er schon nach kurzem
Studium finden würde, wäre die ihn wahrscheinlich selber überraschende Fest¬
stellung, daß Esperanto die anderen Sprachen an Einfachheit, Regelmäßigkeit
und Reichtum der Ausdrucksmöglichkeiten weit übertrifft, so daß er das
„Esperanto-Volk" für das praktischste, klarste und logisch begabteste Volk Europas
halten würde.

Zugegeben, daß eine künstliche Sprache wie Esperanto möglich ist, ist sie
notwendig oder auch nur nützlich, und verdient sie es, daß man sich mit ihr
beschäftige, aus persönlichem oder allgemeinem Kulturinteresse? Der Begriff des
notwendigen oder Nützlichen richtet sich nach dem Zwecke, den man damit
erreichen will oder kann. Will man den Verkehr unter den Völkern erleichtern,
will man den Austausch materieller und ideeller Güter vereinfachen und ver¬
billigen, will man alle die Kulturinteressen, die über die staatlichen Grenzen
hinausreichen, fördern, will man die Menschen von einem ungeheuren Ballast
befreien, der ihnen Zeit und Kraft raubt, die sie für wertvollere Dinge ver¬
wenden könnten, dann allerdings ist eine internationale Hilfssprache nicht nur
ein nützliches, sondern ein notwendiges Mittel.

Die Vorteile im einzelnen hier darzustellen, würde zu weit führen. In
vollem Maße können sie nur erreicht werden, wenn die Hilfssprache in allen
Schulen gelehrt wird. Schon deshalb kann man nicht daran denken, eine der
am meisten verbreiteten nationalen Sprachen, etwa Englisch, Französisch oder
Deutsch, international als zweite Sprache für jedermann einzuführen. Abgesehen
davon, daß kein Volk dulden könnte, daß eine andere als seine eigene Sprache


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[0214] Die internationale Sprache eine Vermittlungssprache ist, die beiden Teilen in gleicher Weise eine fremde ist, dem ist sie nur ein Werkzeug, das dem Gedankenaustausch dienen soll, und das jedem um so lieber sein wird, je bequemer und sicherer es zu handhaben ist. Wäre unsere Begriffswelt so klein, daß wir zum gegenseitigen Verständnis mit wenigen Zeichen auskämen, so würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, das System dieser Zeichen als einen Organismus zu betrachten, so wenig wie man etwa in einem Spiel Karten mit den dazu gehörigen Spielregeln oder in der internationalen Flaggensignalsprache einen Organismus sieht. Es ist also gar nichts so Ungeheuerliches, statt einer in Jahrhunderten zufällig entstandenen Sprache als Mittel der Verständigung mit Angehörigen anderer Völker ein nach dem Muster der uns vertrauten Sprachen planmäßig geschaffenes und durch übereinstimmenden Gebrauch zur Sprache verlebendigtes System zu wählen. Würde zum Beispiel einem japanischen Sprachforscher, der keine Kenntnis von europäischen Sprachen und ihrer Geschichte hätte, ein Lehrbuch der Esperanto¬ sprache mit einer Auswahl aus der Esperantoliteratur neben demselben Material aus anderen europäischen Sprachen vorgelegt werden, so würde er in allem, was das Wesen einer Sprache ausmacht, keinen Unterschied finden. Er könnte nie den Beweis führen, daß Esperanto keine Sprache sei, daß es unmöglich sei, daß sich Menschen derselben Kulturgemeinschaft in ihr fo verständigen könnten, wie es die Bedürfnisse des Lebens verlangen. Was er schon nach kurzem Studium finden würde, wäre die ihn wahrscheinlich selber überraschende Fest¬ stellung, daß Esperanto die anderen Sprachen an Einfachheit, Regelmäßigkeit und Reichtum der Ausdrucksmöglichkeiten weit übertrifft, so daß er das „Esperanto-Volk" für das praktischste, klarste und logisch begabteste Volk Europas halten würde. Zugegeben, daß eine künstliche Sprache wie Esperanto möglich ist, ist sie notwendig oder auch nur nützlich, und verdient sie es, daß man sich mit ihr beschäftige, aus persönlichem oder allgemeinem Kulturinteresse? Der Begriff des notwendigen oder Nützlichen richtet sich nach dem Zwecke, den man damit erreichen will oder kann. Will man den Verkehr unter den Völkern erleichtern, will man den Austausch materieller und ideeller Güter vereinfachen und ver¬ billigen, will man alle die Kulturinteressen, die über die staatlichen Grenzen hinausreichen, fördern, will man die Menschen von einem ungeheuren Ballast befreien, der ihnen Zeit und Kraft raubt, die sie für wertvollere Dinge ver¬ wenden könnten, dann allerdings ist eine internationale Hilfssprache nicht nur ein nützliches, sondern ein notwendiges Mittel. Die Vorteile im einzelnen hier darzustellen, würde zu weit führen. In vollem Maße können sie nur erreicht werden, wenn die Hilfssprache in allen Schulen gelehrt wird. Schon deshalb kann man nicht daran denken, eine der am meisten verbreiteten nationalen Sprachen, etwa Englisch, Französisch oder Deutsch, international als zweite Sprache für jedermann einzuführen. Abgesehen davon, daß kein Volk dulden könnte, daß eine andere als seine eigene Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/214>, abgerufen am 03.07.2024.