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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

schließlich auf die Landschaft beschränkt. Denn schon das Formprinzip gibt den
Pflanzen völlig neue Werte, die ihre Bildwirkung ändern. Dann sind die
Wachstumsbedingungen meist günstiger, eine sorgsame Pflege und die Veredelung
schaffen aus dem Einfachen neue schönere Gestalten, und alle ursprünglichen Ele¬
mente werden gleichsam auf eine höhere klimatische Ebene gehoben. Dadurch
ist die Möglichkeit eröffnet, auch fernere Analogiebildungen aufzunehmen, ja das
Fremde mit dem Heimischen in einer gesteigerten Pracht zu schönem Einklang
zu binden. Denn wer dächte nicht freudig, um ein Beispiel zu nennen, an die
sommerlichen Terrassen von Sanssouci, wo sich im Rahmen der heimischen
Laubbäume mit den spitzen Kegeln des Wacholders und Taxus die Pyramiden
der fremden Nadelhölzer und die Kugeln der Orangenbäume in klaren Umrissen
die Bogen aufwärts reihen, während zwischen ihnen die Beete allen Prunk
inländischer und ausländischer Blumen tragen und unter dem Glaswerk die
edelsten Früchte nördlicher und südlicher Zonen reifen. Diese Verbindung des
Edel-Schönen mit dem Edel-Nützlichen ist übrigens, so seltsam es dem ersten
Blick erscheinen mag, nicht das Merkmal der Zeiten einer "natürlichen", sondern
der einer strengen architektonischen Gartenkunst, und nach der Vermehrung der
Obstkültur durch das späte Rom waren es die Fürsten des Barock, welche der
edlen Gewächs- und Obstzucht den stärksten Anstoß gaben.

Man erkennt leicht, daß dies in der Lebenshaltung solcher Zeiten begriffen liegt,
die alles Dingliche ohne Unterschied lebendig erfassen und, indem sie es dem Gesamt¬
wesen einordnen, nach dessen Gesetzen veredelnd und verschonend wandeln müssen.

Fragen wir an diesem Punkte nach dem geistigen Gesamtwesen unserer
Zeit und müssen sein Dasein verneinen, so stehen wir damit vor dem letzten
und schwersten Problem der neuen Gartenkunst: aus welchem geistigen Zentrum
heraus und um welcher Lebensbedürfnisse willen sie ihr Werk erschaffen soll!

Für den kleinen Hausgarten liegt das Problem freilich einfacher, da er
nur -- und es ist heute Hoffnung vorhanden, daß es bald und überall geschieht --
auf das uralte und immer gültige Erbe des dreigeteilten Blumen-, Gemüse- und
Obstgartens zurückzugreifen braucht, um bald aus den immer gleichen Bedürfnissen des
häuslichen Lebens heraus zu sicheren Formen zurückzukehren. Aber sobald sein Maß
überschritten wird und seine Gestalt mehr als die engsten häuslichen Auswirkungen
des Lebens, also die Bedürfnisse eines weiteren gesellschaftlichen Kreises, etwa
eines Standes, einer Stadt u. a. umgreifen soll, erhebt sich die Frage nach der
geistigen Kraft und Art, ja überhaupt nach dem Vorhandensein solcher Bedürf¬
nisse, aus deren lebendigem Wollen das künstlerische Bild im Wechsel von
Forderung und Befruchtung entstehen soll.

Wenn wir die Gärten der früheren Zeiten betrachten, so finden wir bei
den Babyloniern und Persern den Königspalast, bei den Griechen den Tempel
und die Akademie, bei den Römern und den Renaissancemenschen den Palast
und die vornehme Villa, im Mittelalter das Kloster, im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert das fürstliche Schloß, und noch für den englischen Garten,


Die neue Gartenkunst

schließlich auf die Landschaft beschränkt. Denn schon das Formprinzip gibt den
Pflanzen völlig neue Werte, die ihre Bildwirkung ändern. Dann sind die
Wachstumsbedingungen meist günstiger, eine sorgsame Pflege und die Veredelung
schaffen aus dem Einfachen neue schönere Gestalten, und alle ursprünglichen Ele¬
mente werden gleichsam auf eine höhere klimatische Ebene gehoben. Dadurch
ist die Möglichkeit eröffnet, auch fernere Analogiebildungen aufzunehmen, ja das
Fremde mit dem Heimischen in einer gesteigerten Pracht zu schönem Einklang
zu binden. Denn wer dächte nicht freudig, um ein Beispiel zu nennen, an die
sommerlichen Terrassen von Sanssouci, wo sich im Rahmen der heimischen
Laubbäume mit den spitzen Kegeln des Wacholders und Taxus die Pyramiden
der fremden Nadelhölzer und die Kugeln der Orangenbäume in klaren Umrissen
die Bogen aufwärts reihen, während zwischen ihnen die Beete allen Prunk
inländischer und ausländischer Blumen tragen und unter dem Glaswerk die
edelsten Früchte nördlicher und südlicher Zonen reifen. Diese Verbindung des
Edel-Schönen mit dem Edel-Nützlichen ist übrigens, so seltsam es dem ersten
Blick erscheinen mag, nicht das Merkmal der Zeiten einer „natürlichen", sondern
der einer strengen architektonischen Gartenkunst, und nach der Vermehrung der
Obstkültur durch das späte Rom waren es die Fürsten des Barock, welche der
edlen Gewächs- und Obstzucht den stärksten Anstoß gaben.

Man erkennt leicht, daß dies in der Lebenshaltung solcher Zeiten begriffen liegt,
die alles Dingliche ohne Unterschied lebendig erfassen und, indem sie es dem Gesamt¬
wesen einordnen, nach dessen Gesetzen veredelnd und verschonend wandeln müssen.

Fragen wir an diesem Punkte nach dem geistigen Gesamtwesen unserer
Zeit und müssen sein Dasein verneinen, so stehen wir damit vor dem letzten
und schwersten Problem der neuen Gartenkunst: aus welchem geistigen Zentrum
heraus und um welcher Lebensbedürfnisse willen sie ihr Werk erschaffen soll!

Für den kleinen Hausgarten liegt das Problem freilich einfacher, da er
nur — und es ist heute Hoffnung vorhanden, daß es bald und überall geschieht —
auf das uralte und immer gültige Erbe des dreigeteilten Blumen-, Gemüse- und
Obstgartens zurückzugreifen braucht, um bald aus den immer gleichen Bedürfnissen des
häuslichen Lebens heraus zu sicheren Formen zurückzukehren. Aber sobald sein Maß
überschritten wird und seine Gestalt mehr als die engsten häuslichen Auswirkungen
des Lebens, also die Bedürfnisse eines weiteren gesellschaftlichen Kreises, etwa
eines Standes, einer Stadt u. a. umgreifen soll, erhebt sich die Frage nach der
geistigen Kraft und Art, ja überhaupt nach dem Vorhandensein solcher Bedürf¬
nisse, aus deren lebendigem Wollen das künstlerische Bild im Wechsel von
Forderung und Befruchtung entstehen soll.

Wenn wir die Gärten der früheren Zeiten betrachten, so finden wir bei
den Babyloniern und Persern den Königspalast, bei den Griechen den Tempel
und die Akademie, bei den Römern und den Renaissancemenschen den Palast
und die vornehme Villa, im Mittelalter das Kloster, im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert das fürstliche Schloß, und noch für den englischen Garten,


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[0170] Die neue Gartenkunst schließlich auf die Landschaft beschränkt. Denn schon das Formprinzip gibt den Pflanzen völlig neue Werte, die ihre Bildwirkung ändern. Dann sind die Wachstumsbedingungen meist günstiger, eine sorgsame Pflege und die Veredelung schaffen aus dem Einfachen neue schönere Gestalten, und alle ursprünglichen Ele¬ mente werden gleichsam auf eine höhere klimatische Ebene gehoben. Dadurch ist die Möglichkeit eröffnet, auch fernere Analogiebildungen aufzunehmen, ja das Fremde mit dem Heimischen in einer gesteigerten Pracht zu schönem Einklang zu binden. Denn wer dächte nicht freudig, um ein Beispiel zu nennen, an die sommerlichen Terrassen von Sanssouci, wo sich im Rahmen der heimischen Laubbäume mit den spitzen Kegeln des Wacholders und Taxus die Pyramiden der fremden Nadelhölzer und die Kugeln der Orangenbäume in klaren Umrissen die Bogen aufwärts reihen, während zwischen ihnen die Beete allen Prunk inländischer und ausländischer Blumen tragen und unter dem Glaswerk die edelsten Früchte nördlicher und südlicher Zonen reifen. Diese Verbindung des Edel-Schönen mit dem Edel-Nützlichen ist übrigens, so seltsam es dem ersten Blick erscheinen mag, nicht das Merkmal der Zeiten einer „natürlichen", sondern der einer strengen architektonischen Gartenkunst, und nach der Vermehrung der Obstkültur durch das späte Rom waren es die Fürsten des Barock, welche der edlen Gewächs- und Obstzucht den stärksten Anstoß gaben. Man erkennt leicht, daß dies in der Lebenshaltung solcher Zeiten begriffen liegt, die alles Dingliche ohne Unterschied lebendig erfassen und, indem sie es dem Gesamt¬ wesen einordnen, nach dessen Gesetzen veredelnd und verschonend wandeln müssen. Fragen wir an diesem Punkte nach dem geistigen Gesamtwesen unserer Zeit und müssen sein Dasein verneinen, so stehen wir damit vor dem letzten und schwersten Problem der neuen Gartenkunst: aus welchem geistigen Zentrum heraus und um welcher Lebensbedürfnisse willen sie ihr Werk erschaffen soll! Für den kleinen Hausgarten liegt das Problem freilich einfacher, da er nur — und es ist heute Hoffnung vorhanden, daß es bald und überall geschieht — auf das uralte und immer gültige Erbe des dreigeteilten Blumen-, Gemüse- und Obstgartens zurückzugreifen braucht, um bald aus den immer gleichen Bedürfnissen des häuslichen Lebens heraus zu sicheren Formen zurückzukehren. Aber sobald sein Maß überschritten wird und seine Gestalt mehr als die engsten häuslichen Auswirkungen des Lebens, also die Bedürfnisse eines weiteren gesellschaftlichen Kreises, etwa eines Standes, einer Stadt u. a. umgreifen soll, erhebt sich die Frage nach der geistigen Kraft und Art, ja überhaupt nach dem Vorhandensein solcher Bedürf¬ nisse, aus deren lebendigem Wollen das künstlerische Bild im Wechsel von Forderung und Befruchtung entstehen soll. Wenn wir die Gärten der früheren Zeiten betrachten, so finden wir bei den Babyloniern und Persern den Königspalast, bei den Griechen den Tempel und die Akademie, bei den Römern und den Renaissancemenschen den Palast und die vornehme Villa, im Mittelalter das Kloster, im siebzehnten und acht¬ zehnten Jahrhundert das fürstliche Schloß, und noch für den englischen Garten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/170>, abgerufen am 03.07.2024.