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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

Man hat schon Bacon, Milton und Lord Temple zu ersten Verkündern des
natürlichen Gartens erheben wollen, doch waren sie in Wahrheit Anhänger des
alten regelmäßig umgrenzten, dreigeteilten Hausgartens, und erst Pope und
Addison wurden in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Führer
der neuen Generation. Pope freilich, der mehr mit Witz und Satire als mit
Feld und Wald vertraut war, gehört seinem formalen Wesen nach noch ganz
dem Rokoko an, und sein Kampf gegen das Alte ist mehr als die Heraufführung
eines Neuen, noch die Umbildung der barocken Großartigkeit in das Feine und
Geschliffene, und nach unserer obigen Erläuterung wird seine Stellung deutlich
durch das Merkmal seiner Dichterschule gekennzeichnet, daß sie nämlich eine
ängstliche Scheu vor allem Heroischen und Tragischen gehabt habe. Addison
steht dagegen durch seine Betonung des Phantasiemäßigen dem aufbrechenden
Gefühlsrealismus schon näher, und er verkündet in der Tat schon laut die
Mangelhaftigkeit der Werke der Kunst gegenüber den kühnen und meisterhaften
der sichtbaren Natur. Er sah in dieser das vollkommene Muster aller Künste
und glaubte den edelsten Genuß je besser verbürgt, je mehr sich die Werke der
Kunst nachahmend diesem Muster näherten. Den schönsten Garten sah er darum
in der Landschaft selbst: wenn der Mensch nur durch kleine Hilfen und Zusätze
einige nötige und nützliche Änderungen schaffe, ein Wiesenland etwa mit
Weiden bepflanze, einen Hügel mit Eschen beschatte, die Kornfelder durch Hecken
und Gänge verbinde, so ließe sich aus jedem Gute eine schöne "Landschaft"
machen. Die Beschreibung seines eigenen Gartens, der freilich nichts weiter war
als ein wildes Durcheinander von Blumen, Nutzpflanzen und Bäumen, "eine
schöne Wildnis der Natur", begeisterte das englische Publikum, und während
ein Mann wie Kent die neuen Ideen schon in größerem Maße in die Praxis
übertrug, suchten Home und Whately sie philosophisch zu begründen, Chambers
sie durch seine chinesischen Analogien zu bestärken, Mason ihren Ruhm in einen:
Lehrgedichte zu singen.

Die Schriften dieser Männer fallen meist schon in die zweite Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts, also in die Zeit, wo England auf politischen: Gebiete
durch Montesquieu und Rousseau, auf wirtschaftlichen! durch die Physiokraten,
auf künstlerischem durch die Maler und Architekten auf dem ganzen Festland
"Mode" wurde und die "Anglomanie", wie man diese Mode schon damals
benannte, alle gebildeten Geister ergriff. Die Gedanken über die neue Garten¬
kunst wurden daher begeistert weitergetragen, und der große Verkünder des Natur¬
gefühles, Rousseau, begann in Frankreich gegen den alten Garten zu eifern, und
bald suchte man, wie in England, sein festes Gefüge so gründlich zu durch¬
brechen, daß damals ein großer Teil der schönsten Baumbestände Frankreichs
vernichtet wurde, um landschaftlichen "Aussichten" und "Durchblicken" Raum
zu machen.

In Deutschland traten zunächst Geßner, Sulzer und Hirschfeld für den
ländlichen Garten ein und suchten der "neuen Kunst", die der Natur am nächsten


Die neue Gartenkunst

Man hat schon Bacon, Milton und Lord Temple zu ersten Verkündern des
natürlichen Gartens erheben wollen, doch waren sie in Wahrheit Anhänger des
alten regelmäßig umgrenzten, dreigeteilten Hausgartens, und erst Pope und
Addison wurden in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Führer
der neuen Generation. Pope freilich, der mehr mit Witz und Satire als mit
Feld und Wald vertraut war, gehört seinem formalen Wesen nach noch ganz
dem Rokoko an, und sein Kampf gegen das Alte ist mehr als die Heraufführung
eines Neuen, noch die Umbildung der barocken Großartigkeit in das Feine und
Geschliffene, und nach unserer obigen Erläuterung wird seine Stellung deutlich
durch das Merkmal seiner Dichterschule gekennzeichnet, daß sie nämlich eine
ängstliche Scheu vor allem Heroischen und Tragischen gehabt habe. Addison
steht dagegen durch seine Betonung des Phantasiemäßigen dem aufbrechenden
Gefühlsrealismus schon näher, und er verkündet in der Tat schon laut die
Mangelhaftigkeit der Werke der Kunst gegenüber den kühnen und meisterhaften
der sichtbaren Natur. Er sah in dieser das vollkommene Muster aller Künste
und glaubte den edelsten Genuß je besser verbürgt, je mehr sich die Werke der
Kunst nachahmend diesem Muster näherten. Den schönsten Garten sah er darum
in der Landschaft selbst: wenn der Mensch nur durch kleine Hilfen und Zusätze
einige nötige und nützliche Änderungen schaffe, ein Wiesenland etwa mit
Weiden bepflanze, einen Hügel mit Eschen beschatte, die Kornfelder durch Hecken
und Gänge verbinde, so ließe sich aus jedem Gute eine schöne „Landschaft"
machen. Die Beschreibung seines eigenen Gartens, der freilich nichts weiter war
als ein wildes Durcheinander von Blumen, Nutzpflanzen und Bäumen, „eine
schöne Wildnis der Natur", begeisterte das englische Publikum, und während
ein Mann wie Kent die neuen Ideen schon in größerem Maße in die Praxis
übertrug, suchten Home und Whately sie philosophisch zu begründen, Chambers
sie durch seine chinesischen Analogien zu bestärken, Mason ihren Ruhm in einen:
Lehrgedichte zu singen.

Die Schriften dieser Männer fallen meist schon in die zweite Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts, also in die Zeit, wo England auf politischen: Gebiete
durch Montesquieu und Rousseau, auf wirtschaftlichen! durch die Physiokraten,
auf künstlerischem durch die Maler und Architekten auf dem ganzen Festland
„Mode" wurde und die „Anglomanie", wie man diese Mode schon damals
benannte, alle gebildeten Geister ergriff. Die Gedanken über die neue Garten¬
kunst wurden daher begeistert weitergetragen, und der große Verkünder des Natur¬
gefühles, Rousseau, begann in Frankreich gegen den alten Garten zu eifern, und
bald suchte man, wie in England, sein festes Gefüge so gründlich zu durch¬
brechen, daß damals ein großer Teil der schönsten Baumbestände Frankreichs
vernichtet wurde, um landschaftlichen „Aussichten" und „Durchblicken" Raum
zu machen.

In Deutschland traten zunächst Geßner, Sulzer und Hirschfeld für den
ländlichen Garten ein und suchten der „neuen Kunst", die der Natur am nächsten


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[0123] Die neue Gartenkunst Man hat schon Bacon, Milton und Lord Temple zu ersten Verkündern des natürlichen Gartens erheben wollen, doch waren sie in Wahrheit Anhänger des alten regelmäßig umgrenzten, dreigeteilten Hausgartens, und erst Pope und Addison wurden in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Führer der neuen Generation. Pope freilich, der mehr mit Witz und Satire als mit Feld und Wald vertraut war, gehört seinem formalen Wesen nach noch ganz dem Rokoko an, und sein Kampf gegen das Alte ist mehr als die Heraufführung eines Neuen, noch die Umbildung der barocken Großartigkeit in das Feine und Geschliffene, und nach unserer obigen Erläuterung wird seine Stellung deutlich durch das Merkmal seiner Dichterschule gekennzeichnet, daß sie nämlich eine ängstliche Scheu vor allem Heroischen und Tragischen gehabt habe. Addison steht dagegen durch seine Betonung des Phantasiemäßigen dem aufbrechenden Gefühlsrealismus schon näher, und er verkündet in der Tat schon laut die Mangelhaftigkeit der Werke der Kunst gegenüber den kühnen und meisterhaften der sichtbaren Natur. Er sah in dieser das vollkommene Muster aller Künste und glaubte den edelsten Genuß je besser verbürgt, je mehr sich die Werke der Kunst nachahmend diesem Muster näherten. Den schönsten Garten sah er darum in der Landschaft selbst: wenn der Mensch nur durch kleine Hilfen und Zusätze einige nötige und nützliche Änderungen schaffe, ein Wiesenland etwa mit Weiden bepflanze, einen Hügel mit Eschen beschatte, die Kornfelder durch Hecken und Gänge verbinde, so ließe sich aus jedem Gute eine schöne „Landschaft" machen. Die Beschreibung seines eigenen Gartens, der freilich nichts weiter war als ein wildes Durcheinander von Blumen, Nutzpflanzen und Bäumen, „eine schöne Wildnis der Natur", begeisterte das englische Publikum, und während ein Mann wie Kent die neuen Ideen schon in größerem Maße in die Praxis übertrug, suchten Home und Whately sie philosophisch zu begründen, Chambers sie durch seine chinesischen Analogien zu bestärken, Mason ihren Ruhm in einen: Lehrgedichte zu singen. Die Schriften dieser Männer fallen meist schon in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, also in die Zeit, wo England auf politischen: Gebiete durch Montesquieu und Rousseau, auf wirtschaftlichen! durch die Physiokraten, auf künstlerischem durch die Maler und Architekten auf dem ganzen Festland „Mode" wurde und die „Anglomanie", wie man diese Mode schon damals benannte, alle gebildeten Geister ergriff. Die Gedanken über die neue Garten¬ kunst wurden daher begeistert weitergetragen, und der große Verkünder des Natur¬ gefühles, Rousseau, begann in Frankreich gegen den alten Garten zu eifern, und bald suchte man, wie in England, sein festes Gefüge so gründlich zu durch¬ brechen, daß damals ein großer Teil der schönsten Baumbestände Frankreichs vernichtet wurde, um landschaftlichen „Aussichten" und „Durchblicken" Raum zu machen. In Deutschland traten zunächst Geßner, Sulzer und Hirschfeld für den ländlichen Garten ein und suchten der „neuen Kunst", die der Natur am nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/123>, abgerufen am 03.07.2024.