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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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halb der bürgerlichen Parteien wenigstens äußerlich zu übertünchen, und weil
ihnen dabei Bassermann im Wege ist, diesen aus dem Parlament zu beseitigen.
Herr Bassermann ist für den kommenden Reichstag in Saarbrücken aufgestellt.
Die Verhältnisse liegen in jenem Wahlkreise nicht sonderlich günstig, da höchst¬
wahrscheinlich eine Stichwahl notwendig wird, bei der die Stimmen der Sozial¬
demokraten den Ausschlag geben.

Was den nationalen Parteien das Zusammengehen mit der Regierung am
meisten erschwert, ist deren Mangel an Initiative. Am augenfälligsten tritt die
Gefahr eines solchen Mangels in der Ostmark zutage. Wir haben darauf an
dieser Stelle schon wiederholt hingewiesen. Heute sei nur notiert, daß nach den
bisher unbeanstandet gebliebenen Gerüchten der Oberpräsident von Posen,
Exzellenz v. Waldow, der sich die größten Verdienste um die Förderung des
Deutschtums in Posen erworben hat, um Enthebung von seinem Amte gebeten
hat, um den Verfall feines Werks nicht mit eigenen Augen sehen zu müssen.
Die Ostmarkenpolitik wird nach Ostern im preußischen Landtage eine
Besprechung finden. Die Leser der Grenzboten sollen bis dahin noch eingehend
über die bisherige Entwicklung und den jetzigen Stand des Ansiedlungswerks
unterrichtet werden.

In der abgelaufenen Woche haben die Verhandlungen des Herren¬
hauses die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Abgesehen von der Erörterung
über wirtschaftliche Fragen, deren weiter unten gedacht wird, gab es auch eine
interessante Kulturdebatte. Gelegentlich einer Aussprache über die Zweckmäßigkeit
der Schaffung der Universität zu Frankfurt a. M. kam es zu einem -- sagen
wir Augriff gegen den Rostocker Professor Ehrenberg, der zeigt, mit welcher
Zähigkeit die derzeitig die preußische Nationalökonomie beherrschende Richtung ihr
unbequeme Forscher vom Katheder fernhält. Graf Mirbach forderte im Auftrage
der "Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer" die Begründung
eines Lehrstuhles für exakte Wirtschaftsforschung. Der Zweck dieses
Lehrstuhles soll in erster Linie sein, die Wirtschaftsprinzipien der Großbetriebe
kennen zu lernen. Die Großindustriellen Krupp, Stiunes, Kirdorf und andere
unterstützen die Idee auch materiell, aber sie fordern, daß für die Forschung
nur ihnen vertrauenswürdig scheinende Persönlichkeiten gewählt werden. Bisher
ist die Forderung an dem Widerstande der Fakultäten gescheitert. Adolf Wagner
bekämpfte die Forderung mit dem Hinweis, im Leben seien nicht soziale, sondern
psychologische Momente entscheidend, und diese Momente seien zu wechselvoll,
als daß man darauf mathematisch sichere Resultate gründen könnte; in das
Geheimnis der großen Betriebe wie Krupp einzudringen, würde sehr einfach fein,
wenn diese Betriebe ihre Wirtschaftsprinzipien offen legen wollten.... Exzellenz
Wagner ist erfüllt von der Besorgnis, daß durch die Einmischung der Gro߬
unternehmer die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung gefährdet werden
könnte, und mag darin recht haben. Aber sein ablehnender Standpunkt erscheint
auch nicht ganz frei von Animosität gegen seinen Kollegen Ehrenberg. Nun


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halb der bürgerlichen Parteien wenigstens äußerlich zu übertünchen, und weil
ihnen dabei Bassermann im Wege ist, diesen aus dem Parlament zu beseitigen.
Herr Bassermann ist für den kommenden Reichstag in Saarbrücken aufgestellt.
Die Verhältnisse liegen in jenem Wahlkreise nicht sonderlich günstig, da höchst¬
wahrscheinlich eine Stichwahl notwendig wird, bei der die Stimmen der Sozial¬
demokraten den Ausschlag geben.

Was den nationalen Parteien das Zusammengehen mit der Regierung am
meisten erschwert, ist deren Mangel an Initiative. Am augenfälligsten tritt die
Gefahr eines solchen Mangels in der Ostmark zutage. Wir haben darauf an
dieser Stelle schon wiederholt hingewiesen. Heute sei nur notiert, daß nach den
bisher unbeanstandet gebliebenen Gerüchten der Oberpräsident von Posen,
Exzellenz v. Waldow, der sich die größten Verdienste um die Förderung des
Deutschtums in Posen erworben hat, um Enthebung von seinem Amte gebeten
hat, um den Verfall feines Werks nicht mit eigenen Augen sehen zu müssen.
Die Ostmarkenpolitik wird nach Ostern im preußischen Landtage eine
Besprechung finden. Die Leser der Grenzboten sollen bis dahin noch eingehend
über die bisherige Entwicklung und den jetzigen Stand des Ansiedlungswerks
unterrichtet werden.

In der abgelaufenen Woche haben die Verhandlungen des Herren¬
hauses die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Abgesehen von der Erörterung
über wirtschaftliche Fragen, deren weiter unten gedacht wird, gab es auch eine
interessante Kulturdebatte. Gelegentlich einer Aussprache über die Zweckmäßigkeit
der Schaffung der Universität zu Frankfurt a. M. kam es zu einem — sagen
wir Augriff gegen den Rostocker Professor Ehrenberg, der zeigt, mit welcher
Zähigkeit die derzeitig die preußische Nationalökonomie beherrschende Richtung ihr
unbequeme Forscher vom Katheder fernhält. Graf Mirbach forderte im Auftrage
der „Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer" die Begründung
eines Lehrstuhles für exakte Wirtschaftsforschung. Der Zweck dieses
Lehrstuhles soll in erster Linie sein, die Wirtschaftsprinzipien der Großbetriebe
kennen zu lernen. Die Großindustriellen Krupp, Stiunes, Kirdorf und andere
unterstützen die Idee auch materiell, aber sie fordern, daß für die Forschung
nur ihnen vertrauenswürdig scheinende Persönlichkeiten gewählt werden. Bisher
ist die Forderung an dem Widerstande der Fakultäten gescheitert. Adolf Wagner
bekämpfte die Forderung mit dem Hinweis, im Leben seien nicht soziale, sondern
psychologische Momente entscheidend, und diese Momente seien zu wechselvoll,
als daß man darauf mathematisch sichere Resultate gründen könnte; in das
Geheimnis der großen Betriebe wie Krupp einzudringen, würde sehr einfach fein,
wenn diese Betriebe ihre Wirtschaftsprinzipien offen legen wollten.... Exzellenz
Wagner ist erfüllt von der Besorgnis, daß durch die Einmischung der Gro߬
unternehmer die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung gefährdet werden
könnte, und mag darin recht haben. Aber sein ablehnender Standpunkt erscheint
auch nicht ganz frei von Animosität gegen seinen Kollegen Ehrenberg. Nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/102>, abgerufen am 01.10.2024.