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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Höhere Schule und kommunale Selbstverwaltung

zur Durchführung brachte, daß er die bestehenden Zustände so wenig als möglich
veränderte. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war somit auch die rechtliche
Lage durchaus einfach. Daß in Ausführung des Allgemeinen Landrechts die höheren
Schulen nicht sofort alle "verstaatlicht" wurden, liegt, abgesehen von politischen
und finanziellen Gründen, auch darin, daß nach der preußischen Rechtsauffassung
der Stiftswille sich verselbständigt, auch dann, wenn er ursprünglich Staatswille
war. Die Stiftung gewinnt eigenes Leben, und der Staat ist "nur stell¬
vertretender Verwalter eines fremden Willens". In diesen: Sinne unterscheide"
sich aber nach den Motiven zum Landrecht die Staatsangestellten nicht von
den sogenannten städtischen Schulen, beide sind danach "wohltätige Stiftungen".

Die Frage verwickelte sich erst, als die städtischen Selbstverwaltungskörper,
die erst nach dem Allgemeinen Landrecht ins Leben traten, sich veranlaßt sahen,
höhere Schulen zu gründen, denn auch das Recht der Schulgründung hat das
Landrecht nicht beschnitten. So wurde die Kommune, ein von den alten Patro¬
naten völlig verschiedenes Gebilde, der normale Schulpatron, neben dem die
alten Stifte der Zahl nach völlig verschwinden. Aus den: eigentümlichen Wesen
der Kommune aber ergeben sich auch für die Patronate wichtige Folgerungen.
Schon der Gesetzgeber der Verfassungsurkunde von 1850 hat erkannt, daß
die so geänderten Verhältnisse eine neue Regelung des Unterrichtswesens
erheischen. Gerade auf dem Gebiet des höheren Unterrichtswesens ist aber bisher
gar nichts in dieser Richtung geschehen, und es scheint heute mehr denn je eine
große Unsicherheit, sogar bei der Staatsbehörde selbst, zu herrschen. Wir wollen
jedoch untersuchen, ob nicht doch allen bisher ergangenen Verfügungen, wenigstens
denen, welche durch entsprechende Publikation Gesetzeskraft erlangt haben, ein
einheitliches Prinzip, ein einheitlicher gesetzgeberischer Wille zugrunde liegt.

Zunächst erhebt sich die Frage: "Was ist ein städtisches Patronat? Welche
Änderungen der Stiftspatronate sind notwendig, um dem besonderen Charakter
des Selbstverwaltungskörpers gegenüber das Prinzip des Allgemeinen Landrechts
zur Durchführmig zu bringen?" Schon die äußere Form der Patronate gestaltete
sich verschieden. Vielfach wurde ein besonderes Kollegium gegründet, welches
etwa den Patronen der Stiftungsanstalten entsprach, in Städten mit Magistrats¬
verfassung dagegen übernahm meist der Magistrat selbst die Aufgabe der Patrone.
Doch in beiden Fällen ergaben sich aus den rechtlichen Verhältnissen der Kommunen
Schwierigkeiten. Die "städtischen" Schulen hatten kein besonderes Vermögen
mehr; die Unterhaltung der Schule würde also von dem Gutdünken der Kommune,
d. h. der Stadtverordneten, abhängen. Das kann der Staat nicht zulassen,
weil rechtlich die Schule Veranstaltung des Staates ist. So entstand die erste
wichtigste Beschränkung der Rechte der Kuratorien. Im Ministerialverordnungs-
blatt vom 31. Januar 1335 wird bestimmt, daß natürlich niemand verpflichtet
ist zur Errichtung einer "in ihrem Zweck über die gewöhnliche Elementarbildung
hinausgehenden Schulanstalt". "Ist aber namentlich von einer Kommune (hier
ist das Motiv zu erblicken) eine solche höhere Schule aus freiwilligem Entschlüsse


Höhere Schule und kommunale Selbstverwaltung

zur Durchführung brachte, daß er die bestehenden Zustände so wenig als möglich
veränderte. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war somit auch die rechtliche
Lage durchaus einfach. Daß in Ausführung des Allgemeinen Landrechts die höheren
Schulen nicht sofort alle „verstaatlicht" wurden, liegt, abgesehen von politischen
und finanziellen Gründen, auch darin, daß nach der preußischen Rechtsauffassung
der Stiftswille sich verselbständigt, auch dann, wenn er ursprünglich Staatswille
war. Die Stiftung gewinnt eigenes Leben, und der Staat ist „nur stell¬
vertretender Verwalter eines fremden Willens". In diesen: Sinne unterscheide»
sich aber nach den Motiven zum Landrecht die Staatsangestellten nicht von
den sogenannten städtischen Schulen, beide sind danach „wohltätige Stiftungen".

Die Frage verwickelte sich erst, als die städtischen Selbstverwaltungskörper,
die erst nach dem Allgemeinen Landrecht ins Leben traten, sich veranlaßt sahen,
höhere Schulen zu gründen, denn auch das Recht der Schulgründung hat das
Landrecht nicht beschnitten. So wurde die Kommune, ein von den alten Patro¬
naten völlig verschiedenes Gebilde, der normale Schulpatron, neben dem die
alten Stifte der Zahl nach völlig verschwinden. Aus den: eigentümlichen Wesen
der Kommune aber ergeben sich auch für die Patronate wichtige Folgerungen.
Schon der Gesetzgeber der Verfassungsurkunde von 1850 hat erkannt, daß
die so geänderten Verhältnisse eine neue Regelung des Unterrichtswesens
erheischen. Gerade auf dem Gebiet des höheren Unterrichtswesens ist aber bisher
gar nichts in dieser Richtung geschehen, und es scheint heute mehr denn je eine
große Unsicherheit, sogar bei der Staatsbehörde selbst, zu herrschen. Wir wollen
jedoch untersuchen, ob nicht doch allen bisher ergangenen Verfügungen, wenigstens
denen, welche durch entsprechende Publikation Gesetzeskraft erlangt haben, ein
einheitliches Prinzip, ein einheitlicher gesetzgeberischer Wille zugrunde liegt.

Zunächst erhebt sich die Frage: „Was ist ein städtisches Patronat? Welche
Änderungen der Stiftspatronate sind notwendig, um dem besonderen Charakter
des Selbstverwaltungskörpers gegenüber das Prinzip des Allgemeinen Landrechts
zur Durchführmig zu bringen?" Schon die äußere Form der Patronate gestaltete
sich verschieden. Vielfach wurde ein besonderes Kollegium gegründet, welches
etwa den Patronen der Stiftungsanstalten entsprach, in Städten mit Magistrats¬
verfassung dagegen übernahm meist der Magistrat selbst die Aufgabe der Patrone.
Doch in beiden Fällen ergaben sich aus den rechtlichen Verhältnissen der Kommunen
Schwierigkeiten. Die „städtischen" Schulen hatten kein besonderes Vermögen
mehr; die Unterhaltung der Schule würde also von dem Gutdünken der Kommune,
d. h. der Stadtverordneten, abhängen. Das kann der Staat nicht zulassen,
weil rechtlich die Schule Veranstaltung des Staates ist. So entstand die erste
wichtigste Beschränkung der Rechte der Kuratorien. Im Ministerialverordnungs-
blatt vom 31. Januar 1335 wird bestimmt, daß natürlich niemand verpflichtet
ist zur Errichtung einer „in ihrem Zweck über die gewöhnliche Elementarbildung
hinausgehenden Schulanstalt". „Ist aber namentlich von einer Kommune (hier
ist das Motiv zu erblicken) eine solche höhere Schule aus freiwilligem Entschlüsse


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[0088] Höhere Schule und kommunale Selbstverwaltung zur Durchführung brachte, daß er die bestehenden Zustände so wenig als möglich veränderte. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war somit auch die rechtliche Lage durchaus einfach. Daß in Ausführung des Allgemeinen Landrechts die höheren Schulen nicht sofort alle „verstaatlicht" wurden, liegt, abgesehen von politischen und finanziellen Gründen, auch darin, daß nach der preußischen Rechtsauffassung der Stiftswille sich verselbständigt, auch dann, wenn er ursprünglich Staatswille war. Die Stiftung gewinnt eigenes Leben, und der Staat ist „nur stell¬ vertretender Verwalter eines fremden Willens". In diesen: Sinne unterscheide» sich aber nach den Motiven zum Landrecht die Staatsangestellten nicht von den sogenannten städtischen Schulen, beide sind danach „wohltätige Stiftungen". Die Frage verwickelte sich erst, als die städtischen Selbstverwaltungskörper, die erst nach dem Allgemeinen Landrecht ins Leben traten, sich veranlaßt sahen, höhere Schulen zu gründen, denn auch das Recht der Schulgründung hat das Landrecht nicht beschnitten. So wurde die Kommune, ein von den alten Patro¬ naten völlig verschiedenes Gebilde, der normale Schulpatron, neben dem die alten Stifte der Zahl nach völlig verschwinden. Aus den: eigentümlichen Wesen der Kommune aber ergeben sich auch für die Patronate wichtige Folgerungen. Schon der Gesetzgeber der Verfassungsurkunde von 1850 hat erkannt, daß die so geänderten Verhältnisse eine neue Regelung des Unterrichtswesens erheischen. Gerade auf dem Gebiet des höheren Unterrichtswesens ist aber bisher gar nichts in dieser Richtung geschehen, und es scheint heute mehr denn je eine große Unsicherheit, sogar bei der Staatsbehörde selbst, zu herrschen. Wir wollen jedoch untersuchen, ob nicht doch allen bisher ergangenen Verfügungen, wenigstens denen, welche durch entsprechende Publikation Gesetzeskraft erlangt haben, ein einheitliches Prinzip, ein einheitlicher gesetzgeberischer Wille zugrunde liegt. Zunächst erhebt sich die Frage: „Was ist ein städtisches Patronat? Welche Änderungen der Stiftspatronate sind notwendig, um dem besonderen Charakter des Selbstverwaltungskörpers gegenüber das Prinzip des Allgemeinen Landrechts zur Durchführmig zu bringen?" Schon die äußere Form der Patronate gestaltete sich verschieden. Vielfach wurde ein besonderes Kollegium gegründet, welches etwa den Patronen der Stiftungsanstalten entsprach, in Städten mit Magistrats¬ verfassung dagegen übernahm meist der Magistrat selbst die Aufgabe der Patrone. Doch in beiden Fällen ergaben sich aus den rechtlichen Verhältnissen der Kommunen Schwierigkeiten. Die „städtischen" Schulen hatten kein besonderes Vermögen mehr; die Unterhaltung der Schule würde also von dem Gutdünken der Kommune, d. h. der Stadtverordneten, abhängen. Das kann der Staat nicht zulassen, weil rechtlich die Schule Veranstaltung des Staates ist. So entstand die erste wichtigste Beschränkung der Rechte der Kuratorien. Im Ministerialverordnungs- blatt vom 31. Januar 1335 wird bestimmt, daß natürlich niemand verpflichtet ist zur Errichtung einer „in ihrem Zweck über die gewöhnliche Elementarbildung hinausgehenden Schulanstalt". „Ist aber namentlich von einer Kommune (hier ist das Motiv zu erblicken) eine solche höhere Schule aus freiwilligem Entschlüsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/88>, abgerufen am 24.07.2024.