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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Lreihcmdelsxolitik

im Zollverein durchzusetzen und dadurch Österreichs Anschluß an denselben zu
verhindern. Solange aber Österreich in richtiger Erkenntnis der Bismarckschen
Wsichten mit einem Protest gegen den Vertrag den Eintritt in den Zollverein
verlangte, verhielten sich auch die meisten Zollvereinsstaaten ablehnend. Bismarck,
der niemals an eine ernste Absicht der Mittelstaaten, den Zollverein zu sprengen,
glauben wollte, der diesen vielmehr schon in Frankfurt grundsätzlich, wenn auch
nicht tatsächlich für unzerreißbar angesehen hatte -- drohte jetzt, daß er in dieser
Haltung der Mitglieder den Ausdruck des Willens sähe, den Zollverein mit
Preußen nicht fortzusetzen. Aber erst die internationalen Schwierigkeiten, die
Österreich im Jahre 1863 (S. 154) nötigten, sich Preußen zu nähern, recht¬
fertigten seine Berechnung. Wirklich waren nun Sonderverhandlungen Österreichs
mit Frankreich glücklich vereitelt und die Mittelstaaten des Rückgrats für ihre
Opposition beraubt: sie 'mußten jetzt den Handelsvertrag mit Frankreich an¬
nehmen, eine Forderung, die Bismarck standhaft als erste Bedingung für eine
Erneuerung des Zollvereins gestellt hatte.

Als diese gelungen war, betrieb Bismarck, den gebesserter Beziehungen
entsprechend, sofort Vertragsverhandlungen mit Österreich. Delbrück aber, der
eine Zolleinigung fürchtete und verhindern wollte, durchkreuzte sie mit seinen
Fachministern, auf deren Seite auch König Wilhelm stand, indem er vor Bis¬
marcks politischen Plänen warnte. Nun verlangte aber Österreich offen sür
seine Schwenkung den Eintritt in den Zollverein. Bismarck bemühte sich eifrig,
ihm diese Konzession zu erwirken; denn er hielt sie sür ein leeres Versprechen,
an dessen Verwirklichung in der Zukunft er wegen der Verschiedenartigkeit der
Interessen beider Kontrahenten niemals glaubte, mit dessen Abgabe er aber den
Sturz Rechbergs verhindern zu können glaubte: eine Tendenz, die er im Interesse
des guten Einvernehmens mit Österreich (das er von Rechberg gern durch die
preußische Garantie für Venedig gegen Schleswig erkauft hätte) ehrlich erstrebte.
Auch wollte er Österreich nach dem Mißerfolg in Schleswig den Scheinerfolg
in der Zolleinigungsfrage gewähren, obwohl er statt dieses "Irrlichts" der
Zolleinigung persönlich stets nur "die praktische Wohltat" des Handelsvertrages
für die Zukunft begehrte. Denn er war gewillt, hier scheinbar nachzugeben,
um Bundestreue zu heucheln und so zu verhindern, daß Österreich zum Zwecke
wirksamer Opposition gegen Preußen mit den Westmächten und Mittelstaaten in
der Schleswig-holsteinschen Frage Verständigung suchte. Schließlich gelang es
Bismarck doch noch, auch nach Rechbergs Sturz, in einer Konferenz vom
7. November 1864 durch Ausschaltung Delbrücks die Fachminister zur Nach¬
giebigkeit zu zwingen, so daß schon am 9. in Wien die deutsche Zolleinigung
als künftiges Ziel in Aussicht gestellt werden konnte.

Die übrige preußisch-deutsche Handelspolitik Bismarcks in diesen Jahren ist
schnell erzählt. Wieder nur griff er auch hier ein, wenn mit wirtschaftlichen Mitteln
politische Zwecke zu erreichen waren, sei es, daß er durch Handelsverträge den
Zollverein im europäischen Konzert günstig stellen, sei es, daß er dadurch seine


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im Zollverein durchzusetzen und dadurch Österreichs Anschluß an denselben zu
verhindern. Solange aber Österreich in richtiger Erkenntnis der Bismarckschen
Wsichten mit einem Protest gegen den Vertrag den Eintritt in den Zollverein
verlangte, verhielten sich auch die meisten Zollvereinsstaaten ablehnend. Bismarck,
der niemals an eine ernste Absicht der Mittelstaaten, den Zollverein zu sprengen,
glauben wollte, der diesen vielmehr schon in Frankfurt grundsätzlich, wenn auch
nicht tatsächlich für unzerreißbar angesehen hatte — drohte jetzt, daß er in dieser
Haltung der Mitglieder den Ausdruck des Willens sähe, den Zollverein mit
Preußen nicht fortzusetzen. Aber erst die internationalen Schwierigkeiten, die
Österreich im Jahre 1863 (S. 154) nötigten, sich Preußen zu nähern, recht¬
fertigten seine Berechnung. Wirklich waren nun Sonderverhandlungen Österreichs
mit Frankreich glücklich vereitelt und die Mittelstaaten des Rückgrats für ihre
Opposition beraubt: sie 'mußten jetzt den Handelsvertrag mit Frankreich an¬
nehmen, eine Forderung, die Bismarck standhaft als erste Bedingung für eine
Erneuerung des Zollvereins gestellt hatte.

Als diese gelungen war, betrieb Bismarck, den gebesserter Beziehungen
entsprechend, sofort Vertragsverhandlungen mit Österreich. Delbrück aber, der
eine Zolleinigung fürchtete und verhindern wollte, durchkreuzte sie mit seinen
Fachministern, auf deren Seite auch König Wilhelm stand, indem er vor Bis¬
marcks politischen Plänen warnte. Nun verlangte aber Österreich offen sür
seine Schwenkung den Eintritt in den Zollverein. Bismarck bemühte sich eifrig,
ihm diese Konzession zu erwirken; denn er hielt sie sür ein leeres Versprechen,
an dessen Verwirklichung in der Zukunft er wegen der Verschiedenartigkeit der
Interessen beider Kontrahenten niemals glaubte, mit dessen Abgabe er aber den
Sturz Rechbergs verhindern zu können glaubte: eine Tendenz, die er im Interesse
des guten Einvernehmens mit Österreich (das er von Rechberg gern durch die
preußische Garantie für Venedig gegen Schleswig erkauft hätte) ehrlich erstrebte.
Auch wollte er Österreich nach dem Mißerfolg in Schleswig den Scheinerfolg
in der Zolleinigungsfrage gewähren, obwohl er statt dieses „Irrlichts" der
Zolleinigung persönlich stets nur „die praktische Wohltat" des Handelsvertrages
für die Zukunft begehrte. Denn er war gewillt, hier scheinbar nachzugeben,
um Bundestreue zu heucheln und so zu verhindern, daß Österreich zum Zwecke
wirksamer Opposition gegen Preußen mit den Westmächten und Mittelstaaten in
der Schleswig-holsteinschen Frage Verständigung suchte. Schließlich gelang es
Bismarck doch noch, auch nach Rechbergs Sturz, in einer Konferenz vom
7. November 1864 durch Ausschaltung Delbrücks die Fachminister zur Nach¬
giebigkeit zu zwingen, so daß schon am 9. in Wien die deutsche Zolleinigung
als künftiges Ziel in Aussicht gestellt werden konnte.

Die übrige preußisch-deutsche Handelspolitik Bismarcks in diesen Jahren ist
schnell erzählt. Wieder nur griff er auch hier ein, wenn mit wirtschaftlichen Mitteln
politische Zwecke zu erreichen waren, sei es, daß er durch Handelsverträge den
Zollverein im europäischen Konzert günstig stellen, sei es, daß er dadurch seine


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[0074] Bismarcks Lreihcmdelsxolitik im Zollverein durchzusetzen und dadurch Österreichs Anschluß an denselben zu verhindern. Solange aber Österreich in richtiger Erkenntnis der Bismarckschen Wsichten mit einem Protest gegen den Vertrag den Eintritt in den Zollverein verlangte, verhielten sich auch die meisten Zollvereinsstaaten ablehnend. Bismarck, der niemals an eine ernste Absicht der Mittelstaaten, den Zollverein zu sprengen, glauben wollte, der diesen vielmehr schon in Frankfurt grundsätzlich, wenn auch nicht tatsächlich für unzerreißbar angesehen hatte — drohte jetzt, daß er in dieser Haltung der Mitglieder den Ausdruck des Willens sähe, den Zollverein mit Preußen nicht fortzusetzen. Aber erst die internationalen Schwierigkeiten, die Österreich im Jahre 1863 (S. 154) nötigten, sich Preußen zu nähern, recht¬ fertigten seine Berechnung. Wirklich waren nun Sonderverhandlungen Österreichs mit Frankreich glücklich vereitelt und die Mittelstaaten des Rückgrats für ihre Opposition beraubt: sie 'mußten jetzt den Handelsvertrag mit Frankreich an¬ nehmen, eine Forderung, die Bismarck standhaft als erste Bedingung für eine Erneuerung des Zollvereins gestellt hatte. Als diese gelungen war, betrieb Bismarck, den gebesserter Beziehungen entsprechend, sofort Vertragsverhandlungen mit Österreich. Delbrück aber, der eine Zolleinigung fürchtete und verhindern wollte, durchkreuzte sie mit seinen Fachministern, auf deren Seite auch König Wilhelm stand, indem er vor Bis¬ marcks politischen Plänen warnte. Nun verlangte aber Österreich offen sür seine Schwenkung den Eintritt in den Zollverein. Bismarck bemühte sich eifrig, ihm diese Konzession zu erwirken; denn er hielt sie sür ein leeres Versprechen, an dessen Verwirklichung in der Zukunft er wegen der Verschiedenartigkeit der Interessen beider Kontrahenten niemals glaubte, mit dessen Abgabe er aber den Sturz Rechbergs verhindern zu können glaubte: eine Tendenz, die er im Interesse des guten Einvernehmens mit Österreich (das er von Rechberg gern durch die preußische Garantie für Venedig gegen Schleswig erkauft hätte) ehrlich erstrebte. Auch wollte er Österreich nach dem Mißerfolg in Schleswig den Scheinerfolg in der Zolleinigungsfrage gewähren, obwohl er statt dieses „Irrlichts" der Zolleinigung persönlich stets nur „die praktische Wohltat" des Handelsvertrages für die Zukunft begehrte. Denn er war gewillt, hier scheinbar nachzugeben, um Bundestreue zu heucheln und so zu verhindern, daß Österreich zum Zwecke wirksamer Opposition gegen Preußen mit den Westmächten und Mittelstaaten in der Schleswig-holsteinschen Frage Verständigung suchte. Schließlich gelang es Bismarck doch noch, auch nach Rechbergs Sturz, in einer Konferenz vom 7. November 1864 durch Ausschaltung Delbrücks die Fachminister zur Nach¬ giebigkeit zu zwingen, so daß schon am 9. in Wien die deutsche Zolleinigung als künftiges Ziel in Aussicht gestellt werden konnte. Die übrige preußisch-deutsche Handelspolitik Bismarcks in diesen Jahren ist schnell erzählt. Wieder nur griff er auch hier ein, wenn mit wirtschaftlichen Mitteln politische Zwecke zu erreichen waren, sei es, daß er durch Handelsverträge den Zollverein im europäischen Konzert günstig stellen, sei es, daß er dadurch seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/74>, abgerufen am 24.07.2024.