Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegcl

drohender Geldversteifung in der Tat ein volkswirtschaftlicher Fehler sein kann,
und daß das öffentliche Interesse dann erheischt, diesen Abfluß tunlichst zu ver¬
hindern. Nun ist freilich das richtig: Bei der Zulassung der Chicago-Milwaukee-
Mtien standen solche Interessen des Geldmarktes nicht in Frage. Es ist aber
ziemlich klar, daß diese Aktion der Regierung nur ein Wink war, der sich an
die Adresse Amerikas richtete, bestimmt, den Drohungen gegenüber, die von jener
Seite wegen der Kaliverträge ausgesprochen wurden, ein Prävenire zu spielen.

Dernburg behauptet weiter, daß die Zulassung ausländischer Wertpapiere
für Deutschland eine Notwendigkeit sei. Die Weltstellung unseres Handels und
unserer Industrie erfordere, daß Deutschland als Kreditgeber der ausländischen
Staaten auftrete. Rechne die Industrie auf die Erteilung ausländischer Auf¬
träge, so müsse das Mutterland den kreditbedürftigen Staaten die Mittel vor¬
schießen, die zur Bezahlung der industriellen Produkte notwendig seien. Auch
diese Ausführungen enthalten neben vielem Irrtum nur ein Fünkchen Wahrheit.
Es ist zwar denkbar, daß die Übernahme einer ausländischen Anleihe aus
solchen Gründen oder auch aus Gründen der hohen Politik -- wie bei der
vorjährigen ungarischen und türkischen Anleihe -- erfolgt; die Regel ist es jeden¬
falls nicht, und insbesondere haben die kürzlich an unseren Markt gebrachten
ausländischen Anleihen mit solchen Ursachen nichts zu tun. Die deutsche
Industrie hat sich für die Finanzierung der Anlagen, die sie im Aus¬
lande vornimmt, bekanntlich eine eigene Organisation geschaffen. Diese
besteht in den zahlreichen Übernahme- und Finanzierungsgesellschaften, die für
Unternehmungen mannigfachster Art besonders in? Bahnwesen und in der
elektrischen Industrie geschaffen worden sind. Solche Übernahme- und Betriebs¬
gesellschaften sind beispielsweise, um nur einige zu nennen: die Siemers
Elektrischen Betriebe, die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, die
Bank für elektrische Unternehmungen und die Deutsch-Überseeische Elektrizitäts-
Gesellschaft. Alle diese Gesellschaften haben ein sehr bedeutendes Kapital
in Aktien und Obligationen im Inlande aufgebracht und besitzen ihrerseits
Bahnen und Elektrizitätswerke an zahlreichen Plätzen des Auslandes, sei es
in natura, sei es in Form des Aktienkapitals. Der deutsche Geldmarkt
liefert also allerdings die Mittel, um der Industrie die Durchführung
lohnender Aufgaben im Auslande zu ermöglichen; es geschieht dies aber in
Form der direkten Investierung und nicht auf dem Umwege der Kreditgewährung
an mehr oder weniger zweifelhafte Schuldner. Die Dernburgsche Broschüre,
deren Inhalt auch sonst noch zu vielen Einwendungen Anlaß gibt, wird also
kaum geeignet sein, einen Wechsel in der Stellungnahme der Regierung
herbeizuführen.

Die Frage der Kapitalbeschaffung für industrielle Zwecke wird auch durch
den am 21. März d. Is. zum Abschluß gelangten Bagdadbahnvertrag
wieder zu einer akuten werden. Mit diesem Abkommen hat die deutsche
Diplomatie und nicht weniger die geschickte Geschäftsführung der Deutschen Bank,


Reichsspiegcl

drohender Geldversteifung in der Tat ein volkswirtschaftlicher Fehler sein kann,
und daß das öffentliche Interesse dann erheischt, diesen Abfluß tunlichst zu ver¬
hindern. Nun ist freilich das richtig: Bei der Zulassung der Chicago-Milwaukee-
Mtien standen solche Interessen des Geldmarktes nicht in Frage. Es ist aber
ziemlich klar, daß diese Aktion der Regierung nur ein Wink war, der sich an
die Adresse Amerikas richtete, bestimmt, den Drohungen gegenüber, die von jener
Seite wegen der Kaliverträge ausgesprochen wurden, ein Prävenire zu spielen.

Dernburg behauptet weiter, daß die Zulassung ausländischer Wertpapiere
für Deutschland eine Notwendigkeit sei. Die Weltstellung unseres Handels und
unserer Industrie erfordere, daß Deutschland als Kreditgeber der ausländischen
Staaten auftrete. Rechne die Industrie auf die Erteilung ausländischer Auf¬
träge, so müsse das Mutterland den kreditbedürftigen Staaten die Mittel vor¬
schießen, die zur Bezahlung der industriellen Produkte notwendig seien. Auch
diese Ausführungen enthalten neben vielem Irrtum nur ein Fünkchen Wahrheit.
Es ist zwar denkbar, daß die Übernahme einer ausländischen Anleihe aus
solchen Gründen oder auch aus Gründen der hohen Politik — wie bei der
vorjährigen ungarischen und türkischen Anleihe — erfolgt; die Regel ist es jeden¬
falls nicht, und insbesondere haben die kürzlich an unseren Markt gebrachten
ausländischen Anleihen mit solchen Ursachen nichts zu tun. Die deutsche
Industrie hat sich für die Finanzierung der Anlagen, die sie im Aus¬
lande vornimmt, bekanntlich eine eigene Organisation geschaffen. Diese
besteht in den zahlreichen Übernahme- und Finanzierungsgesellschaften, die für
Unternehmungen mannigfachster Art besonders in? Bahnwesen und in der
elektrischen Industrie geschaffen worden sind. Solche Übernahme- und Betriebs¬
gesellschaften sind beispielsweise, um nur einige zu nennen: die Siemers
Elektrischen Betriebe, die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, die
Bank für elektrische Unternehmungen und die Deutsch-Überseeische Elektrizitäts-
Gesellschaft. Alle diese Gesellschaften haben ein sehr bedeutendes Kapital
in Aktien und Obligationen im Inlande aufgebracht und besitzen ihrerseits
Bahnen und Elektrizitätswerke an zahlreichen Plätzen des Auslandes, sei es
in natura, sei es in Form des Aktienkapitals. Der deutsche Geldmarkt
liefert also allerdings die Mittel, um der Industrie die Durchführung
lohnender Aufgaben im Auslande zu ermöglichen; es geschieht dies aber in
Form der direkten Investierung und nicht auf dem Umwege der Kreditgewährung
an mehr oder weniger zweifelhafte Schuldner. Die Dernburgsche Broschüre,
deren Inhalt auch sonst noch zu vielen Einwendungen Anlaß gibt, wird also
kaum geeignet sein, einen Wechsel in der Stellungnahme der Regierung
herbeizuführen.

Die Frage der Kapitalbeschaffung für industrielle Zwecke wird auch durch
den am 21. März d. Is. zum Abschluß gelangten Bagdadbahnvertrag
wieder zu einer akuten werden. Mit diesem Abkommen hat die deutsche
Diplomatie und nicht weniger die geschickte Geschäftsführung der Deutschen Bank,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0659" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318272"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegcl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2971" prev="#ID_2970"> drohender Geldversteifung in der Tat ein volkswirtschaftlicher Fehler sein kann,<lb/>
und daß das öffentliche Interesse dann erheischt, diesen Abfluß tunlichst zu ver¬<lb/>
hindern. Nun ist freilich das richtig: Bei der Zulassung der Chicago-Milwaukee-<lb/>
Mtien standen solche Interessen des Geldmarktes nicht in Frage. Es ist aber<lb/>
ziemlich klar, daß diese Aktion der Regierung nur ein Wink war, der sich an<lb/>
die Adresse Amerikas richtete, bestimmt, den Drohungen gegenüber, die von jener<lb/>
Seite wegen der Kaliverträge ausgesprochen wurden, ein Prävenire zu spielen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2972"> Dernburg behauptet weiter, daß die Zulassung ausländischer Wertpapiere<lb/>
für Deutschland eine Notwendigkeit sei. Die Weltstellung unseres Handels und<lb/>
unserer Industrie erfordere, daß Deutschland als Kreditgeber der ausländischen<lb/>
Staaten auftrete. Rechne die Industrie auf die Erteilung ausländischer Auf¬<lb/>
träge, so müsse das Mutterland den kreditbedürftigen Staaten die Mittel vor¬<lb/>
schießen, die zur Bezahlung der industriellen Produkte notwendig seien. Auch<lb/>
diese Ausführungen enthalten neben vielem Irrtum nur ein Fünkchen Wahrheit.<lb/>
Es ist zwar denkbar, daß die Übernahme einer ausländischen Anleihe aus<lb/>
solchen Gründen oder auch aus Gründen der hohen Politik &#x2014; wie bei der<lb/>
vorjährigen ungarischen und türkischen Anleihe &#x2014; erfolgt; die Regel ist es jeden¬<lb/>
falls nicht, und insbesondere haben die kürzlich an unseren Markt gebrachten<lb/>
ausländischen Anleihen mit solchen Ursachen nichts zu tun. Die deutsche<lb/>
Industrie hat sich für die Finanzierung der Anlagen, die sie im Aus¬<lb/>
lande vornimmt, bekanntlich eine eigene Organisation geschaffen. Diese<lb/>
besteht in den zahlreichen Übernahme- und Finanzierungsgesellschaften, die für<lb/>
Unternehmungen mannigfachster Art besonders in? Bahnwesen und in der<lb/>
elektrischen Industrie geschaffen worden sind. Solche Übernahme- und Betriebs¬<lb/>
gesellschaften sind beispielsweise, um nur einige zu nennen: die Siemers<lb/>
Elektrischen Betriebe, die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, die<lb/>
Bank für elektrische Unternehmungen und die Deutsch-Überseeische Elektrizitäts-<lb/>
Gesellschaft. Alle diese Gesellschaften haben ein sehr bedeutendes Kapital<lb/>
in Aktien und Obligationen im Inlande aufgebracht und besitzen ihrerseits<lb/>
Bahnen und Elektrizitätswerke an zahlreichen Plätzen des Auslandes, sei es<lb/>
in natura, sei es in Form des Aktienkapitals. Der deutsche Geldmarkt<lb/>
liefert also allerdings die Mittel, um der Industrie die Durchführung<lb/>
lohnender Aufgaben im Auslande zu ermöglichen; es geschieht dies aber in<lb/>
Form der direkten Investierung und nicht auf dem Umwege der Kreditgewährung<lb/>
an mehr oder weniger zweifelhafte Schuldner. Die Dernburgsche Broschüre,<lb/>
deren Inhalt auch sonst noch zu vielen Einwendungen Anlaß gibt, wird also<lb/>
kaum geeignet sein, einen Wechsel in der Stellungnahme der Regierung<lb/>
herbeizuführen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2973" next="#ID_2974"> Die Frage der Kapitalbeschaffung für industrielle Zwecke wird auch durch<lb/>
den am 21. März d. Is. zum Abschluß gelangten Bagdadbahnvertrag<lb/>
wieder zu einer akuten werden. Mit diesem Abkommen hat die deutsche<lb/>
Diplomatie und nicht weniger die geschickte Geschäftsführung der Deutschen Bank,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0659] Reichsspiegcl drohender Geldversteifung in der Tat ein volkswirtschaftlicher Fehler sein kann, und daß das öffentliche Interesse dann erheischt, diesen Abfluß tunlichst zu ver¬ hindern. Nun ist freilich das richtig: Bei der Zulassung der Chicago-Milwaukee- Mtien standen solche Interessen des Geldmarktes nicht in Frage. Es ist aber ziemlich klar, daß diese Aktion der Regierung nur ein Wink war, der sich an die Adresse Amerikas richtete, bestimmt, den Drohungen gegenüber, die von jener Seite wegen der Kaliverträge ausgesprochen wurden, ein Prävenire zu spielen. Dernburg behauptet weiter, daß die Zulassung ausländischer Wertpapiere für Deutschland eine Notwendigkeit sei. Die Weltstellung unseres Handels und unserer Industrie erfordere, daß Deutschland als Kreditgeber der ausländischen Staaten auftrete. Rechne die Industrie auf die Erteilung ausländischer Auf¬ träge, so müsse das Mutterland den kreditbedürftigen Staaten die Mittel vor¬ schießen, die zur Bezahlung der industriellen Produkte notwendig seien. Auch diese Ausführungen enthalten neben vielem Irrtum nur ein Fünkchen Wahrheit. Es ist zwar denkbar, daß die Übernahme einer ausländischen Anleihe aus solchen Gründen oder auch aus Gründen der hohen Politik — wie bei der vorjährigen ungarischen und türkischen Anleihe — erfolgt; die Regel ist es jeden¬ falls nicht, und insbesondere haben die kürzlich an unseren Markt gebrachten ausländischen Anleihen mit solchen Ursachen nichts zu tun. Die deutsche Industrie hat sich für die Finanzierung der Anlagen, die sie im Aus¬ lande vornimmt, bekanntlich eine eigene Organisation geschaffen. Diese besteht in den zahlreichen Übernahme- und Finanzierungsgesellschaften, die für Unternehmungen mannigfachster Art besonders in? Bahnwesen und in der elektrischen Industrie geschaffen worden sind. Solche Übernahme- und Betriebs¬ gesellschaften sind beispielsweise, um nur einige zu nennen: die Siemers Elektrischen Betriebe, die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, die Bank für elektrische Unternehmungen und die Deutsch-Überseeische Elektrizitäts- Gesellschaft. Alle diese Gesellschaften haben ein sehr bedeutendes Kapital in Aktien und Obligationen im Inlande aufgebracht und besitzen ihrerseits Bahnen und Elektrizitätswerke an zahlreichen Plätzen des Auslandes, sei es in natura, sei es in Form des Aktienkapitals. Der deutsche Geldmarkt liefert also allerdings die Mittel, um der Industrie die Durchführung lohnender Aufgaben im Auslande zu ermöglichen; es geschieht dies aber in Form der direkten Investierung und nicht auf dem Umwege der Kreditgewährung an mehr oder weniger zweifelhafte Schuldner. Die Dernburgsche Broschüre, deren Inhalt auch sonst noch zu vielen Einwendungen Anlaß gibt, wird also kaum geeignet sein, einen Wechsel in der Stellungnahme der Regierung herbeizuführen. Die Frage der Kapitalbeschaffung für industrielle Zwecke wird auch durch den am 21. März d. Is. zum Abschluß gelangten Bagdadbahnvertrag wieder zu einer akuten werden. Mit diesem Abkommen hat die deutsche Diplomatie und nicht weniger die geschickte Geschäftsführung der Deutschen Bank,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/659
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/659>, abgerufen am 24.07.2024.