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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Schöne Literatur
Adolf Sterns Nachlaß.

Als Adolf Stern
am 14. April 1907 gestorben war, habe ich
ihm, der ja auch ein alter Mitarbeiter der
Grenzboten war, hier (66. Jahrgang Ur. 49
und 50) einen eingehenden Nachruf gewidmet
und gesagt, daß über seinen literarischen Nach¬
laß nach seinem Hervortreten noch zu sprechen
sein würde. Die inzwischen herausgekommenen
Theaterkritiken Sterns habe ich (68. Jahr¬
gang Ur. 23) gewürdigt; heute kann ich dar¬
auf hinweisen, daß der nachgelassene Roman
des Dichters "Die Ausgestoßenen" zu Ostern
(im Xenien-Verlage zu Leipzig) in die Welt
gehen wird. Dieser Roman war Sterns
Lieblings- und, wie das so oft geht, zugleich
sein Schmerzenskind. 1890 begonnen, war
das Buch bei seinem Tode mit Ausnahme
von zwei längeren Stellen endlich fertig ge¬
worden, ein zweibändiges Werk, das in seinem
Grundgefühl an Sterns älteren Roman "Ohne
Ideale" cmknüpf.t aber den Rahmen weiter und
größer spannt. Der letztwilligen Bestimmung
gemäß ist nun von Professor Karl Reuschel
in Dresden das Buch herausgegeben, dem
jeder Verehrer Adolf Sterns mit lebendigem
Interesse entgegensieht. Reuschel hat auch ge¬
meinsam mit Professor Heinrich Lochner in
Danzig Adolf Sterns Fortsetzung zu Vilmars
bekannter Literaturgeschichte (bei N. G. Elwert
in Marburg) nebst Vilmars Werk selbst soeben
mit vielfachen Verbesserungen und der Fort¬
führung bis auf die Gegenwart herausgebracht.
Insbesondere ist der ganze Apparat zum
Vilmar gründlich durchgesehen und sehr stark
umgearbeitet worden.

Dr. Heinrich Spiero

Die moderne Literatur ist überreich an
Kinderbildern. ES handelt sich da meist um
feine und manchmal überfeine Seelenschilde-
rungcn von vornherein unkindlicher Kinder,
in denen schon das ganz unnaive, zerrissene
Wesen des späteren reifen Menschen zutage
tritt. Als Kontrnstvild hierzu ist eigentlich

[Spaltenumbruch]

nur das oft kopierte Rangengemalde der Max
und Moritz zu nennen. Das Kind, wie es
im Leben von jedem tausendmal zu finden ist,
mit seinen natürlichen robusten Regungen,
empfindend gewiß, aber noch nicht empfindlich
und empfindsam, bestimmt der Freude und
dem Schmerz zugänglich, aber doch nicht mit
solcher Dauer und Intensität an jeden Ein¬
druck hingegeben und ihn zu Ende denkend
wie die neuesten Seelenzerfascrer, die ihr
eigenes unkindliches Wesen auf die dargestellten
Kinder übertragen und das Nnnnive wirkt
dann am nnnaivsten, wenn es sich für naiv
ausgeben will! -- das ganz normale Kind
also scheint mir in der modernen Dichtung
selten geworden. Der "Anatol" - Ausspruch:
"Man muß immer genau so gesund wie die
anderen, man kann aber ganz anders krank
sein als jeder andere!" enthält vielleicht das
ganze Geheimnis der modernen Literatur.
Ihr Vorzug und ihre Schwäche liegen darin;
und wo es sich um Kindcrbildnisse handelt,
überwiegt doch vielleicht die Schwäche . . .

Da ist es denn eine angenehme Über¬
raschung, in R. I. Schmieds anspruchslosen
Buch so einem in der Dichtung langentbehrten
normalen gesunden Jnngenpaar zu begegnen.
Der Dichter hat dies Normale, Typische start
betont. Sowie Carlos und Nikolas von ihrem
Hauslehrer (auch einem Typus; Mischung!
deutscher Pedant und deutscher Idealist) fast
niemals einzeln angeredet werden, sondern
immer als "Karl und Nikolaus", so heben sie
sich auch nicht sonderlich individuell voneinander
ab, erscheinen dein Leser vielmehr immer als
zwei gesund unartige, aber entwicklungsfähige
Kinder, deren bisweilen drollige Streiche nicht
von bösem, deren gutmütige Regungen nicht
von ausnehmend edlem Wesen zeugen. Das
mag nicht viel sein, aber wie die Dinge liegen,
ist vielleicht gerade das Wenige einmal er¬
freulich. Weil es nämlich das Natürliche ist.

Und schlicht und natürlich wie diese beiden
Jungen zeichnet der Verfasser auch die mannig¬
fachen Bilder, die an Carlos und Nikolas
vorüberziehen. Ihr deutscher Vater schickt sie
zur Erziehung aus Argentinien nach Deutsch¬
land hinüber. Die Eindrücke dieser Reise bilden

[Ende Spaltensatz]
Carlos und Nikolas auf dem Meere.

Von Rudolf Johannes Schmied. (Verlag
Erich Reiß, Berlin.)


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Schöne Literatur
Adolf Sterns Nachlaß.

Als Adolf Stern
am 14. April 1907 gestorben war, habe ich
ihm, der ja auch ein alter Mitarbeiter der
Grenzboten war, hier (66. Jahrgang Ur. 49
und 50) einen eingehenden Nachruf gewidmet
und gesagt, daß über seinen literarischen Nach¬
laß nach seinem Hervortreten noch zu sprechen
sein würde. Die inzwischen herausgekommenen
Theaterkritiken Sterns habe ich (68. Jahr¬
gang Ur. 23) gewürdigt; heute kann ich dar¬
auf hinweisen, daß der nachgelassene Roman
des Dichters „Die Ausgestoßenen" zu Ostern
(im Xenien-Verlage zu Leipzig) in die Welt
gehen wird. Dieser Roman war Sterns
Lieblings- und, wie das so oft geht, zugleich
sein Schmerzenskind. 1890 begonnen, war
das Buch bei seinem Tode mit Ausnahme
von zwei längeren Stellen endlich fertig ge¬
worden, ein zweibändiges Werk, das in seinem
Grundgefühl an Sterns älteren Roman „Ohne
Ideale" cmknüpf.t aber den Rahmen weiter und
größer spannt. Der letztwilligen Bestimmung
gemäß ist nun von Professor Karl Reuschel
in Dresden das Buch herausgegeben, dem
jeder Verehrer Adolf Sterns mit lebendigem
Interesse entgegensieht. Reuschel hat auch ge¬
meinsam mit Professor Heinrich Lochner in
Danzig Adolf Sterns Fortsetzung zu Vilmars
bekannter Literaturgeschichte (bei N. G. Elwert
in Marburg) nebst Vilmars Werk selbst soeben
mit vielfachen Verbesserungen und der Fort¬
führung bis auf die Gegenwart herausgebracht.
Insbesondere ist der ganze Apparat zum
Vilmar gründlich durchgesehen und sehr stark
umgearbeitet worden.

Dr. Heinrich Spiero

Die moderne Literatur ist überreich an
Kinderbildern. ES handelt sich da meist um
feine und manchmal überfeine Seelenschilde-
rungcn von vornherein unkindlicher Kinder,
in denen schon das ganz unnaive, zerrissene
Wesen des späteren reifen Menschen zutage
tritt. Als Kontrnstvild hierzu ist eigentlich

[Spaltenumbruch]

nur das oft kopierte Rangengemalde der Max
und Moritz zu nennen. Das Kind, wie es
im Leben von jedem tausendmal zu finden ist,
mit seinen natürlichen robusten Regungen,
empfindend gewiß, aber noch nicht empfindlich
und empfindsam, bestimmt der Freude und
dem Schmerz zugänglich, aber doch nicht mit
solcher Dauer und Intensität an jeden Ein¬
druck hingegeben und ihn zu Ende denkend
wie die neuesten Seelenzerfascrer, die ihr
eigenes unkindliches Wesen auf die dargestellten
Kinder übertragen und das Nnnnive wirkt
dann am nnnaivsten, wenn es sich für naiv
ausgeben will! — das ganz normale Kind
also scheint mir in der modernen Dichtung
selten geworden. Der „Anatol" - Ausspruch:
„Man muß immer genau so gesund wie die
anderen, man kann aber ganz anders krank
sein als jeder andere!" enthält vielleicht das
ganze Geheimnis der modernen Literatur.
Ihr Vorzug und ihre Schwäche liegen darin;
und wo es sich um Kindcrbildnisse handelt,
überwiegt doch vielleicht die Schwäche . . .

Da ist es denn eine angenehme Über¬
raschung, in R. I. Schmieds anspruchslosen
Buch so einem in der Dichtung langentbehrten
normalen gesunden Jnngenpaar zu begegnen.
Der Dichter hat dies Normale, Typische start
betont. Sowie Carlos und Nikolas von ihrem
Hauslehrer (auch einem Typus; Mischung!
deutscher Pedant und deutscher Idealist) fast
niemals einzeln angeredet werden, sondern
immer als „Karl und Nikolaus", so heben sie
sich auch nicht sonderlich individuell voneinander
ab, erscheinen dein Leser vielmehr immer als
zwei gesund unartige, aber entwicklungsfähige
Kinder, deren bisweilen drollige Streiche nicht
von bösem, deren gutmütige Regungen nicht
von ausnehmend edlem Wesen zeugen. Das
mag nicht viel sein, aber wie die Dinge liegen,
ist vielleicht gerade das Wenige einmal er¬
freulich. Weil es nämlich das Natürliche ist.

Und schlicht und natürlich wie diese beiden
Jungen zeichnet der Verfasser auch die mannig¬
fachen Bilder, die an Carlos und Nikolas
vorüberziehen. Ihr deutscher Vater schickt sie
zur Erziehung aus Argentinien nach Deutsch¬
land hinüber. Die Eindrücke dieser Reise bilden

[Ende Spaltensatz]
Carlos und Nikolas auf dem Meere.

Von Rudolf Johannes Schmied. (Verlag
Erich Reiß, Berlin.)


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[0652] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Schöne Literatur Adolf Sterns Nachlaß. Als Adolf Stern am 14. April 1907 gestorben war, habe ich ihm, der ja auch ein alter Mitarbeiter der Grenzboten war, hier (66. Jahrgang Ur. 49 und 50) einen eingehenden Nachruf gewidmet und gesagt, daß über seinen literarischen Nach¬ laß nach seinem Hervortreten noch zu sprechen sein würde. Die inzwischen herausgekommenen Theaterkritiken Sterns habe ich (68. Jahr¬ gang Ur. 23) gewürdigt; heute kann ich dar¬ auf hinweisen, daß der nachgelassene Roman des Dichters „Die Ausgestoßenen" zu Ostern (im Xenien-Verlage zu Leipzig) in die Welt gehen wird. Dieser Roman war Sterns Lieblings- und, wie das so oft geht, zugleich sein Schmerzenskind. 1890 begonnen, war das Buch bei seinem Tode mit Ausnahme von zwei längeren Stellen endlich fertig ge¬ worden, ein zweibändiges Werk, das in seinem Grundgefühl an Sterns älteren Roman „Ohne Ideale" cmknüpf.t aber den Rahmen weiter und größer spannt. Der letztwilligen Bestimmung gemäß ist nun von Professor Karl Reuschel in Dresden das Buch herausgegeben, dem jeder Verehrer Adolf Sterns mit lebendigem Interesse entgegensieht. Reuschel hat auch ge¬ meinsam mit Professor Heinrich Lochner in Danzig Adolf Sterns Fortsetzung zu Vilmars bekannter Literaturgeschichte (bei N. G. Elwert in Marburg) nebst Vilmars Werk selbst soeben mit vielfachen Verbesserungen und der Fort¬ führung bis auf die Gegenwart herausgebracht. Insbesondere ist der ganze Apparat zum Vilmar gründlich durchgesehen und sehr stark umgearbeitet worden. Dr. Heinrich Spiero Die moderne Literatur ist überreich an Kinderbildern. ES handelt sich da meist um feine und manchmal überfeine Seelenschilde- rungcn von vornherein unkindlicher Kinder, in denen schon das ganz unnaive, zerrissene Wesen des späteren reifen Menschen zutage tritt. Als Kontrnstvild hierzu ist eigentlich nur das oft kopierte Rangengemalde der Max und Moritz zu nennen. Das Kind, wie es im Leben von jedem tausendmal zu finden ist, mit seinen natürlichen robusten Regungen, empfindend gewiß, aber noch nicht empfindlich und empfindsam, bestimmt der Freude und dem Schmerz zugänglich, aber doch nicht mit solcher Dauer und Intensität an jeden Ein¬ druck hingegeben und ihn zu Ende denkend wie die neuesten Seelenzerfascrer, die ihr eigenes unkindliches Wesen auf die dargestellten Kinder übertragen und das Nnnnive wirkt dann am nnnaivsten, wenn es sich für naiv ausgeben will! — das ganz normale Kind also scheint mir in der modernen Dichtung selten geworden. Der „Anatol" - Ausspruch: „Man muß immer genau so gesund wie die anderen, man kann aber ganz anders krank sein als jeder andere!" enthält vielleicht das ganze Geheimnis der modernen Literatur. Ihr Vorzug und ihre Schwäche liegen darin; und wo es sich um Kindcrbildnisse handelt, überwiegt doch vielleicht die Schwäche . . . Da ist es denn eine angenehme Über¬ raschung, in R. I. Schmieds anspruchslosen Buch so einem in der Dichtung langentbehrten normalen gesunden Jnngenpaar zu begegnen. Der Dichter hat dies Normale, Typische start betont. Sowie Carlos und Nikolas von ihrem Hauslehrer (auch einem Typus; Mischung! deutscher Pedant und deutscher Idealist) fast niemals einzeln angeredet werden, sondern immer als „Karl und Nikolaus", so heben sie sich auch nicht sonderlich individuell voneinander ab, erscheinen dein Leser vielmehr immer als zwei gesund unartige, aber entwicklungsfähige Kinder, deren bisweilen drollige Streiche nicht von bösem, deren gutmütige Regungen nicht von ausnehmend edlem Wesen zeugen. Das mag nicht viel sein, aber wie die Dinge liegen, ist vielleicht gerade das Wenige einmal er¬ freulich. Weil es nämlich das Natürliche ist. Und schlicht und natürlich wie diese beiden Jungen zeichnet der Verfasser auch die mannig¬ fachen Bilder, die an Carlos und Nikolas vorüberziehen. Ihr deutscher Vater schickt sie zur Erziehung aus Argentinien nach Deutsch¬ land hinüber. Die Eindrücke dieser Reise bilden Carlos und Nikolas auf dem Meere. Von Rudolf Johannes Schmied. (Verlag Erich Reiß, Berlin.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/652>, abgerufen am 04.07.2024.