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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der rote Rausch

der Wein in den Kellern war unverkauft, die Not war in den Häusern gestiegen,
und die Regierung hatte noch immer nichts getan. Allerdings kamen Leute aus
Paris unter verschiedenen Namen und Titeln, die Erkundigungen einzogen und
die Taschen mit Versprechungen gefüllt hatten, die Regierung sei an der Arbeit,
sie werde allen Wünschen gerecht werden, man sei gekommen, die Notstandslage
zu überprüfen, es werde alsbald eine günstige Wendung eintreten! Richard hatte
zwei solcher Leute zu Gast, die tagelang in seinem Hause verblieben, wahrscheinlich,
weil sie hier bei dem Vertrauensmann des Aktionskomitees einen entsprechenden
Einblick in die traurige Lage der Dinge gewinnen konnten.

Es war seltsam, daß Richard in der Zeit, wo niemand verkaufte und nur
die Wohlhabenden nicht in Bedrängnis gerieten, seinen Zahlungsverpflichtungen
pünktlich nachkam und den Schuldenturm, der auf sein morsches Haus drückte,
Stein für Stein abzutragen vermochte. Hat Richard eine Erbschaft gemacht? Hat
er einen Schatz ausgegraben? Hat er mit dem Teufel einen Pakt geschlossen? Hat
er um den Preis seiner Seele das Geheimnis erlangt, den Rüssel zu schaben,
daß statt Blutstropfen die Goldstücke herunter fielen?

Das Ansehen Richards wuchs, keiner wagte, ihn zu verlachen oder zu ver¬
spotten, jeder suchte seine Freundschaft. Richard blieb, wie er war, schweigsam,
zurückhaltend, beobachtend. Ihn konnte nichts überraschen, alles war berechnet,
planmäßig vorbereitet!

Aber, was nützte der Begeisterungsrausch, die Umzüge mit Fahnen, Bildern,
Inschriften, der Festschmuck der Stadt, daß es aussah, als sollte in diesem J^hr
die Fronleichnamsprozession hundertfach wiederholt werden mit Menschenmengen,
wie man sie nie zuvor beisammen gesehen hatte. Hunderttausend, zweihundert¬
tausend, immer mehr und mehr, bis es fast eine Million war. Was nützte das
ergreifende Schauspiel, wenn die Regierung schwieg und der Wein wie festgelagert
in den Kellern verblieb? Keine Hand, die danach verlangte, kein Preis, der
angetragen wurde, nicht einmal das armseligste Angebot! Und solange die
Negierung müßig zusah, mußten die Vorräte unverkäuflich bleiben. Ja, wenn sie
einmal ihr Machtwort gesprochen, dann würde dieses Blut der Erde in Strömen
hinausstießen in alle Welt, dann würden Tausende von Händen danach laugen,
dann würden die verlangten Preise gezahlt werden, dann würde man vielleicht
noch höhere Gewinne erzielen, dann könnte man eine gute Spekulation machen.
In, dann!

Das rote Blut der Erde!

Um dahin zu gelangen, mußte, nachdem bis jetzt nichts fruchtete, das
Äußerste gewagt werden. (Fortsetzung folgt,)




Der rote Rausch

der Wein in den Kellern war unverkauft, die Not war in den Häusern gestiegen,
und die Regierung hatte noch immer nichts getan. Allerdings kamen Leute aus
Paris unter verschiedenen Namen und Titeln, die Erkundigungen einzogen und
die Taschen mit Versprechungen gefüllt hatten, die Regierung sei an der Arbeit,
sie werde allen Wünschen gerecht werden, man sei gekommen, die Notstandslage
zu überprüfen, es werde alsbald eine günstige Wendung eintreten! Richard hatte
zwei solcher Leute zu Gast, die tagelang in seinem Hause verblieben, wahrscheinlich,
weil sie hier bei dem Vertrauensmann des Aktionskomitees einen entsprechenden
Einblick in die traurige Lage der Dinge gewinnen konnten.

Es war seltsam, daß Richard in der Zeit, wo niemand verkaufte und nur
die Wohlhabenden nicht in Bedrängnis gerieten, seinen Zahlungsverpflichtungen
pünktlich nachkam und den Schuldenturm, der auf sein morsches Haus drückte,
Stein für Stein abzutragen vermochte. Hat Richard eine Erbschaft gemacht? Hat
er einen Schatz ausgegraben? Hat er mit dem Teufel einen Pakt geschlossen? Hat
er um den Preis seiner Seele das Geheimnis erlangt, den Rüssel zu schaben,
daß statt Blutstropfen die Goldstücke herunter fielen?

Das Ansehen Richards wuchs, keiner wagte, ihn zu verlachen oder zu ver¬
spotten, jeder suchte seine Freundschaft. Richard blieb, wie er war, schweigsam,
zurückhaltend, beobachtend. Ihn konnte nichts überraschen, alles war berechnet,
planmäßig vorbereitet!

Aber, was nützte der Begeisterungsrausch, die Umzüge mit Fahnen, Bildern,
Inschriften, der Festschmuck der Stadt, daß es aussah, als sollte in diesem J^hr
die Fronleichnamsprozession hundertfach wiederholt werden mit Menschenmengen,
wie man sie nie zuvor beisammen gesehen hatte. Hunderttausend, zweihundert¬
tausend, immer mehr und mehr, bis es fast eine Million war. Was nützte das
ergreifende Schauspiel, wenn die Regierung schwieg und der Wein wie festgelagert
in den Kellern verblieb? Keine Hand, die danach verlangte, kein Preis, der
angetragen wurde, nicht einmal das armseligste Angebot! Und solange die
Negierung müßig zusah, mußten die Vorräte unverkäuflich bleiben. Ja, wenn sie
einmal ihr Machtwort gesprochen, dann würde dieses Blut der Erde in Strömen
hinausstießen in alle Welt, dann würden Tausende von Händen danach laugen,
dann würden die verlangten Preise gezahlt werden, dann würde man vielleicht
noch höhere Gewinne erzielen, dann könnte man eine gute Spekulation machen.
In, dann!

Das rote Blut der Erde!

Um dahin zu gelangen, mußte, nachdem bis jetzt nichts fruchtete, das
Äußerste gewagt werden. (Fortsetzung folgt,)




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[0645] Der rote Rausch der Wein in den Kellern war unverkauft, die Not war in den Häusern gestiegen, und die Regierung hatte noch immer nichts getan. Allerdings kamen Leute aus Paris unter verschiedenen Namen und Titeln, die Erkundigungen einzogen und die Taschen mit Versprechungen gefüllt hatten, die Regierung sei an der Arbeit, sie werde allen Wünschen gerecht werden, man sei gekommen, die Notstandslage zu überprüfen, es werde alsbald eine günstige Wendung eintreten! Richard hatte zwei solcher Leute zu Gast, die tagelang in seinem Hause verblieben, wahrscheinlich, weil sie hier bei dem Vertrauensmann des Aktionskomitees einen entsprechenden Einblick in die traurige Lage der Dinge gewinnen konnten. Es war seltsam, daß Richard in der Zeit, wo niemand verkaufte und nur die Wohlhabenden nicht in Bedrängnis gerieten, seinen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachkam und den Schuldenturm, der auf sein morsches Haus drückte, Stein für Stein abzutragen vermochte. Hat Richard eine Erbschaft gemacht? Hat er einen Schatz ausgegraben? Hat er mit dem Teufel einen Pakt geschlossen? Hat er um den Preis seiner Seele das Geheimnis erlangt, den Rüssel zu schaben, daß statt Blutstropfen die Goldstücke herunter fielen? Das Ansehen Richards wuchs, keiner wagte, ihn zu verlachen oder zu ver¬ spotten, jeder suchte seine Freundschaft. Richard blieb, wie er war, schweigsam, zurückhaltend, beobachtend. Ihn konnte nichts überraschen, alles war berechnet, planmäßig vorbereitet! Aber, was nützte der Begeisterungsrausch, die Umzüge mit Fahnen, Bildern, Inschriften, der Festschmuck der Stadt, daß es aussah, als sollte in diesem J^hr die Fronleichnamsprozession hundertfach wiederholt werden mit Menschenmengen, wie man sie nie zuvor beisammen gesehen hatte. Hunderttausend, zweihundert¬ tausend, immer mehr und mehr, bis es fast eine Million war. Was nützte das ergreifende Schauspiel, wenn die Regierung schwieg und der Wein wie festgelagert in den Kellern verblieb? Keine Hand, die danach verlangte, kein Preis, der angetragen wurde, nicht einmal das armseligste Angebot! Und solange die Negierung müßig zusah, mußten die Vorräte unverkäuflich bleiben. Ja, wenn sie einmal ihr Machtwort gesprochen, dann würde dieses Blut der Erde in Strömen hinausstießen in alle Welt, dann würden Tausende von Händen danach laugen, dann würden die verlangten Preise gezahlt werden, dann würde man vielleicht noch höhere Gewinne erzielen, dann könnte man eine gute Spekulation machen. In, dann! Das rote Blut der Erde! Um dahin zu gelangen, mußte, nachdem bis jetzt nichts fruchtete, das Äußerste gewagt werden. (Fortsetzung folgt,)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/645>, abgerufen am 24.07.2024.