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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Probleme des Jndustriebezirks

so leuchtet das Unzulängliche dieser wohlmeinenden und für sich großartigen
privatindustriellen Fürsorge ein.

Hier aber tritt auch das Haupthindernis des Fortschritts zutage. Es
ist für solch eine emporschießende Jndustriegemeinde, in deren Einwohnerschaft
mit jeder weiteren industriellen Anlage ein neues Fieber der Spekulation einsetzt,
völlig unmöglich, soviel Selbstverleugnung zu üben, wie zu eiuer großzügigen
Förderung des Wohnungswesens gehört. Und wächst solche Gemeinde sich
gar zu einer "Industriestadt" ans, wie es etwa Gelsenkirchen ist oder das
"Dorf" Hamborn (mit über 100 000 Einwohnern!) zweifellos werden wird,
fo hindert schon die finanzielle Unzulänglichkeit und der Andrang der näher
liegenden Aufgaben die Durchführung einer weitschauenden Bodenpolitik.
Anderseits ist aber gerade in diesem Neuland der Industrie, wie es besonders
mit der neueren Ausbreitung des Bergbaues nach Norden und Westen täglich
gewonnen wird, am ehesten eine zweckmäßige Anlage der Wohnstätten zu
schaffen, weil noch Raum vorhanden ist. Und so befinden wir uns denn in
einem fatalen Lirculu8 vitiosus.

Wir können ihn: nur entgehen, wenn für deu ganzen Bezirk eine gemein¬
same Organisation geschaffen wird, mit der Aufgabe der Förderung des
Wohnungswesens, mit entsprechenden Befugnissen und finanziellen Hilfsquellen.
Ebenso, wie hier die Schaffung großer Parkanlagen inmitten der Zer¬
trümmerung der Natur durch die Industrialisierung des Landes möglich
werden muß, ist es möglich, über den ganzen Bezirk hin und ohne Rücksicht
auf Gemeindegrenzen Kolonien, kleiner Eigenhäuser nmherzustreuen, deren
Bewohner bei einiger Fürsorge für Nerkehrsgelegenheit in den umliegenden
Bergwerks- und Industrieanlagen leicht Arbeit finden würden.

In derselben Art könnte auch für das Wohnbedürfnis des kleineren
Mittelstandes gesorgt werden.

Nötig wäre vor allen Dingen eine für diesen Zweck besonders zu
errichtende Behörde mit genügenden öffentlichrechtlichen Befugnissen zur Durch¬
setzung planmäßiger Anlagen, arbeitend unter Mitwirkung von gewühlten
Mitgliedern aus den Kreisen der Beteiligten, besonders der Gemeinden, eine
Art "Spezialkommission für Bebauungsreform", anschließend daran Gesell¬
schaften gemeinnützigen Charakters, die die Errichtung von Kolonien für
industrielle Unternehmungen, Arbeitergenossenschaften und Gemeinden zu über¬
nehmen hätten, außerdem eine zweckmäßige Organisation des Hypothekenkredits
und Ausbildung der Rechtsnormen des Erbbaurechts.

Von der Gestaltung des Wohnungswesens im Jndustriebezirk hängt so
unendlich viel ab, daß außerordentliche Maßnahmen nirgends wie hier, gerecht¬
fertigt sind. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Erkenntnis durchdränge,
daß hier eine besondere Aufgabe der staatlichen Verwaltung vorliegt, die von
andrer Stelle ans befriedigend nicht gelöst werden kann.




Grenzboten I 1S11
Probleme des Jndustriebezirks

so leuchtet das Unzulängliche dieser wohlmeinenden und für sich großartigen
privatindustriellen Fürsorge ein.

Hier aber tritt auch das Haupthindernis des Fortschritts zutage. Es
ist für solch eine emporschießende Jndustriegemeinde, in deren Einwohnerschaft
mit jeder weiteren industriellen Anlage ein neues Fieber der Spekulation einsetzt,
völlig unmöglich, soviel Selbstverleugnung zu üben, wie zu eiuer großzügigen
Förderung des Wohnungswesens gehört. Und wächst solche Gemeinde sich
gar zu einer „Industriestadt" ans, wie es etwa Gelsenkirchen ist oder das
„Dorf" Hamborn (mit über 100 000 Einwohnern!) zweifellos werden wird,
fo hindert schon die finanzielle Unzulänglichkeit und der Andrang der näher
liegenden Aufgaben die Durchführung einer weitschauenden Bodenpolitik.
Anderseits ist aber gerade in diesem Neuland der Industrie, wie es besonders
mit der neueren Ausbreitung des Bergbaues nach Norden und Westen täglich
gewonnen wird, am ehesten eine zweckmäßige Anlage der Wohnstätten zu
schaffen, weil noch Raum vorhanden ist. Und so befinden wir uns denn in
einem fatalen Lirculu8 vitiosus.

Wir können ihn: nur entgehen, wenn für deu ganzen Bezirk eine gemein¬
same Organisation geschaffen wird, mit der Aufgabe der Förderung des
Wohnungswesens, mit entsprechenden Befugnissen und finanziellen Hilfsquellen.
Ebenso, wie hier die Schaffung großer Parkanlagen inmitten der Zer¬
trümmerung der Natur durch die Industrialisierung des Landes möglich
werden muß, ist es möglich, über den ganzen Bezirk hin und ohne Rücksicht
auf Gemeindegrenzen Kolonien, kleiner Eigenhäuser nmherzustreuen, deren
Bewohner bei einiger Fürsorge für Nerkehrsgelegenheit in den umliegenden
Bergwerks- und Industrieanlagen leicht Arbeit finden würden.

In derselben Art könnte auch für das Wohnbedürfnis des kleineren
Mittelstandes gesorgt werden.

Nötig wäre vor allen Dingen eine für diesen Zweck besonders zu
errichtende Behörde mit genügenden öffentlichrechtlichen Befugnissen zur Durch¬
setzung planmäßiger Anlagen, arbeitend unter Mitwirkung von gewühlten
Mitgliedern aus den Kreisen der Beteiligten, besonders der Gemeinden, eine
Art „Spezialkommission für Bebauungsreform", anschließend daran Gesell¬
schaften gemeinnützigen Charakters, die die Errichtung von Kolonien für
industrielle Unternehmungen, Arbeitergenossenschaften und Gemeinden zu über¬
nehmen hätten, außerdem eine zweckmäßige Organisation des Hypothekenkredits
und Ausbildung der Rechtsnormen des Erbbaurechts.

Von der Gestaltung des Wohnungswesens im Jndustriebezirk hängt so
unendlich viel ab, daß außerordentliche Maßnahmen nirgends wie hier, gerecht¬
fertigt sind. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Erkenntnis durchdränge,
daß hier eine besondere Aufgabe der staatlichen Verwaltung vorliegt, die von
andrer Stelle ans befriedigend nicht gelöst werden kann.




Grenzboten I 1S11
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[0639] Probleme des Jndustriebezirks so leuchtet das Unzulängliche dieser wohlmeinenden und für sich großartigen privatindustriellen Fürsorge ein. Hier aber tritt auch das Haupthindernis des Fortschritts zutage. Es ist für solch eine emporschießende Jndustriegemeinde, in deren Einwohnerschaft mit jeder weiteren industriellen Anlage ein neues Fieber der Spekulation einsetzt, völlig unmöglich, soviel Selbstverleugnung zu üben, wie zu eiuer großzügigen Förderung des Wohnungswesens gehört. Und wächst solche Gemeinde sich gar zu einer „Industriestadt" ans, wie es etwa Gelsenkirchen ist oder das „Dorf" Hamborn (mit über 100 000 Einwohnern!) zweifellos werden wird, fo hindert schon die finanzielle Unzulänglichkeit und der Andrang der näher liegenden Aufgaben die Durchführung einer weitschauenden Bodenpolitik. Anderseits ist aber gerade in diesem Neuland der Industrie, wie es besonders mit der neueren Ausbreitung des Bergbaues nach Norden und Westen täglich gewonnen wird, am ehesten eine zweckmäßige Anlage der Wohnstätten zu schaffen, weil noch Raum vorhanden ist. Und so befinden wir uns denn in einem fatalen Lirculu8 vitiosus. Wir können ihn: nur entgehen, wenn für deu ganzen Bezirk eine gemein¬ same Organisation geschaffen wird, mit der Aufgabe der Förderung des Wohnungswesens, mit entsprechenden Befugnissen und finanziellen Hilfsquellen. Ebenso, wie hier die Schaffung großer Parkanlagen inmitten der Zer¬ trümmerung der Natur durch die Industrialisierung des Landes möglich werden muß, ist es möglich, über den ganzen Bezirk hin und ohne Rücksicht auf Gemeindegrenzen Kolonien, kleiner Eigenhäuser nmherzustreuen, deren Bewohner bei einiger Fürsorge für Nerkehrsgelegenheit in den umliegenden Bergwerks- und Industrieanlagen leicht Arbeit finden würden. In derselben Art könnte auch für das Wohnbedürfnis des kleineren Mittelstandes gesorgt werden. Nötig wäre vor allen Dingen eine für diesen Zweck besonders zu errichtende Behörde mit genügenden öffentlichrechtlichen Befugnissen zur Durch¬ setzung planmäßiger Anlagen, arbeitend unter Mitwirkung von gewühlten Mitgliedern aus den Kreisen der Beteiligten, besonders der Gemeinden, eine Art „Spezialkommission für Bebauungsreform", anschließend daran Gesell¬ schaften gemeinnützigen Charakters, die die Errichtung von Kolonien für industrielle Unternehmungen, Arbeitergenossenschaften und Gemeinden zu über¬ nehmen hätten, außerdem eine zweckmäßige Organisation des Hypothekenkredits und Ausbildung der Rechtsnormen des Erbbaurechts. Von der Gestaltung des Wohnungswesens im Jndustriebezirk hängt so unendlich viel ab, daß außerordentliche Maßnahmen nirgends wie hier, gerecht¬ fertigt sind. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Erkenntnis durchdränge, daß hier eine besondere Aufgabe der staatlichen Verwaltung vorliegt, die von andrer Stelle ans befriedigend nicht gelöst werden kann. Grenzboten I 1S11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/639>, abgerufen am 24.07.2024.