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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Probleme des I"dnstriebe;irks

Aufgabe gelöst werden kann. Denn wo die natürlichen Bedingungen für die
Ausbreitung der Industrie so gleichmäßig für einen ganzen Bezirk gegeben
sind, wo sie nicht den: ihr sonst obwaltenden Zuge nach Zusammendrängen
an einem Punkte folgen kann, da haben die historischen Mittelpunkte des Stadt¬
lebens ihre Bedeutung wesentlich in ihrer Ausbildung als Geschäfts- und
Kulturzentren zu suchen. Sie haben nur das Interesse, daß die Vorschriften
zur Förderung eines gesunden Wohnungswesens nicht bloß in ihrem Bezirk,
sondern auch außerhalb gelten, sofern nur in ihrem eigenen Bezirk für die
dort naturgemäß ansässigen Industrien Raum genug bleibt, was nach den
neuesten Eingemeindungen meist nicht zu bezweifeln ist.

Denn das ist vor allem hervorzuheben, daß für die gesunde Befriedigung
des Wohnungsbedürfnisses mehr Raum erforderlich ist, als ihm heute gegönnt
wird, daß insbesondere der Kleinwohnungsban in einem Maßstabe auszunehmen
und zu fördern ist, der an den heutigen Verhältnissen gemessen kühn erscheint.
Es ist eine oft begründete Forderung, die hier nicht nochmals erörtert werden
soll. Sie wird aber im Jndustriebezirk geradezu zu einem Gebot der sozialen
Moral. Vergegenwärtigt man sich das ständige Anwachsen der Bevölkerung,
so überläuft uns ein Grauen bei dem Gedanken, daß für diese ganzen Arbeiter¬
massen ewig nur die Zinshäuser und Mietskasernen zur Verfügung stehen sollen,
die jetzt noch überall aus dem Boden wachsen. Dem besseren, emporstrebenden
Teil dieser Arbeiterschaft muß die Möglichkeit geboten sein, auch einmal ein
Eigenheim erwerben zu können. Das Bedürfnis ist da. Noch vor einem
Jahrzehnt bestand die jetzt zur Großstadt Duisburg gehörige Gemeinde Meiderich
aus langen Reihen kleiner Häuser, die großen Teils im Besitze von Bergleuten
der benachbarten Zechen und von Hüttenarbeitern waren. Diese Bauweise
verschwindet jetzt, es ist nichts geschehen, sie zu erhalten. Noch sieht man überall
an abgelegenen Stellen, an Abhängen und in Erdfalken, kleine Anwesen, deren
Besitzer zäh daran festhalten und den oft stundenlangen Weg zu ihrer Arbeits¬
stätte, irgend einer im Umkreis gelegenen Zeche, nicht scheuen. Alle größeren,
zusammenhängenden und früher landwirtschaftlich genutzten Grundstücke aber
gehen bei fortschreitender Industrialisierung naturgemäß als Ganzes in den Besitz von
Terrainspekulanten über und verfallen damit dem üblichen System des Häuserbaues.

Es ist anders möglich. Das zeigt besonders das Beispiel der großen
industriellen Unternehmungen, die es vorteilhaft gefunden haben, neben ihren
Anlagen recht weiträumige Arbeiterkolonien zu errichten, deren nüchterne Regel¬
mäßigkeit freilich nicht immer dem Ideale des Kleinwohnungsbaues genügt.
Vor allen Dingen füllt bei ihnen das ethische Moment fort, das mit der
Möglichkeit der Erwerbung eines Hauses oder Hausanteils auch für den
Minderbemittelten diese Bauweise sozial so wertvoll macht. Sieht man aber
z. B. neben der neuen Kolonie des Kruppschen Werkes in Nheinhausen genau
da, wo der Kruppsche Besitz aufhört, in geradezu grotesken: Gegensatz zu dieser
hübschen Anlage, überall im Umkreis die hohen Zinshäuser in die Höhe wachsen,


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Aufgabe gelöst werden kann. Denn wo die natürlichen Bedingungen für die
Ausbreitung der Industrie so gleichmäßig für einen ganzen Bezirk gegeben
sind, wo sie nicht den: ihr sonst obwaltenden Zuge nach Zusammendrängen
an einem Punkte folgen kann, da haben die historischen Mittelpunkte des Stadt¬
lebens ihre Bedeutung wesentlich in ihrer Ausbildung als Geschäfts- und
Kulturzentren zu suchen. Sie haben nur das Interesse, daß die Vorschriften
zur Förderung eines gesunden Wohnungswesens nicht bloß in ihrem Bezirk,
sondern auch außerhalb gelten, sofern nur in ihrem eigenen Bezirk für die
dort naturgemäß ansässigen Industrien Raum genug bleibt, was nach den
neuesten Eingemeindungen meist nicht zu bezweifeln ist.

Denn das ist vor allem hervorzuheben, daß für die gesunde Befriedigung
des Wohnungsbedürfnisses mehr Raum erforderlich ist, als ihm heute gegönnt
wird, daß insbesondere der Kleinwohnungsban in einem Maßstabe auszunehmen
und zu fördern ist, der an den heutigen Verhältnissen gemessen kühn erscheint.
Es ist eine oft begründete Forderung, die hier nicht nochmals erörtert werden
soll. Sie wird aber im Jndustriebezirk geradezu zu einem Gebot der sozialen
Moral. Vergegenwärtigt man sich das ständige Anwachsen der Bevölkerung,
so überläuft uns ein Grauen bei dem Gedanken, daß für diese ganzen Arbeiter¬
massen ewig nur die Zinshäuser und Mietskasernen zur Verfügung stehen sollen,
die jetzt noch überall aus dem Boden wachsen. Dem besseren, emporstrebenden
Teil dieser Arbeiterschaft muß die Möglichkeit geboten sein, auch einmal ein
Eigenheim erwerben zu können. Das Bedürfnis ist da. Noch vor einem
Jahrzehnt bestand die jetzt zur Großstadt Duisburg gehörige Gemeinde Meiderich
aus langen Reihen kleiner Häuser, die großen Teils im Besitze von Bergleuten
der benachbarten Zechen und von Hüttenarbeitern waren. Diese Bauweise
verschwindet jetzt, es ist nichts geschehen, sie zu erhalten. Noch sieht man überall
an abgelegenen Stellen, an Abhängen und in Erdfalken, kleine Anwesen, deren
Besitzer zäh daran festhalten und den oft stundenlangen Weg zu ihrer Arbeits¬
stätte, irgend einer im Umkreis gelegenen Zeche, nicht scheuen. Alle größeren,
zusammenhängenden und früher landwirtschaftlich genutzten Grundstücke aber
gehen bei fortschreitender Industrialisierung naturgemäß als Ganzes in den Besitz von
Terrainspekulanten über und verfallen damit dem üblichen System des Häuserbaues.

Es ist anders möglich. Das zeigt besonders das Beispiel der großen
industriellen Unternehmungen, die es vorteilhaft gefunden haben, neben ihren
Anlagen recht weiträumige Arbeiterkolonien zu errichten, deren nüchterne Regel¬
mäßigkeit freilich nicht immer dem Ideale des Kleinwohnungsbaues genügt.
Vor allen Dingen füllt bei ihnen das ethische Moment fort, das mit der
Möglichkeit der Erwerbung eines Hauses oder Hausanteils auch für den
Minderbemittelten diese Bauweise sozial so wertvoll macht. Sieht man aber
z. B. neben der neuen Kolonie des Kruppschen Werkes in Nheinhausen genau
da, wo der Kruppsche Besitz aufhört, in geradezu grotesken: Gegensatz zu dieser
hübschen Anlage, überall im Umkreis die hohen Zinshäuser in die Höhe wachsen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/638>, abgerufen am 24.07.2024.