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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Wcrtherzcit

-- so würde ich doch aus guten Ursachen das Schauspiel nie besuchen! --
wiewohl Herder die Weimarsche Privattheater im grauen Rocke besucht.

.. . Die Rede (im Teutschen Merkur, Monat November) gegen Lichten-
bergs Aufsaz von der Physiognomik (im Göttinger Almanach) ist von Lenz,
der seit wenigen Wochen verrückt seyn soll.




Darmstadt, den 2. Februar 1778.

. . . Claudius hat auf Teil 2 operum hier gegen 100 Subscribenten
gefunden. Der Herr Geheimrath von Hesse, Wenck und Merck haben die
Sache mit der größten Hize betrieben.




Darmstadt, den 9. März 1778.

... Die Nachricht von Lenzens Verrückung ist kanonisch. Vermuthlich
wird Klinger noch das nämliche Schicksal haben.




Darmstadt, den 25. März 1778.

. . . Lenz ist zum zweiten Male verrückt. Schlosser will nun bey seinen
Freunden colligieren, um ihn von Emmendingen weg in ein Narrenhaus
bringen zu lassen. Er lag bisher schon an Ketten, und hat Schlossern viel
zu schaffen gemacht. Lenzens Vater, ein Prediger in Liefland, scheint seinen
Sohn ganz abandonniert zu haben. Wenigstens hat er auf Schlossers Briefe
nicht geantwortet. Indeß hat Schlosser nun einen andern Menschen von
noch schlechterem Caliber, als Gesellschafter, bey sich, den wohl ehestens das¬
selbe Schicksal treffen möchte, nämlich Klingern, der seine Stelle bey der
Seylerischen Gesellschaft aufgegeben hat. -- Der (einzige) Sohn des Herrn
Leibmedicus Zimmermann, welcher seit 1^ Jahren Medicin zu Straßburg
studiert, hat vor kurzem seinen Verstand, über die Lesung der Lavaterschen
Aussichten in' die Ewigkeit, der Physiognomischen Fragmente u. a. ebenfalls
verloren. Bindet mich! ich bin Christus! rief er, unter andern, aus. Auf
die Nachricht, welche die Straßburger Ärzte demi Vater in Hannover von
diesem Umschwung gegeben haben, hat dieser für gut befunden, seinen Sohn
von Straßburg weg und nach Zürich zu Lavatern bringen zu lassen, damit
die Person und die Gesellschaft desjenigen, dessen Schriften ihn zum Narren
gemacht haben, selbigen wieder entnarren möchte. Ich habe alle diese Nach¬
richten nicht nur von Merck (der doch mit diesen Leuten in Verbindung steht)
sondern auch von andern, die kürzlich von Straßburg gekommen sind. Sie
können solche getrost nacherzählen, -- (doch ohne mich zu nennen). . . .

Ja nun! Warum Merck nichts einsendet? Ich habe ihn öfters erinnert,'
er versprach auch jedesmal heilig seine Aufträge zu expedieren; so daß
ich stets glaubte, er hätte Ihnen Alles abgeliefert. Nun schreiben Sie aber,
er hätte noch nichts eingesandt. Die wahre Ursache wüßte ich nicht cum-


Aus Briefen der Wcrtherzcit

— so würde ich doch aus guten Ursachen das Schauspiel nie besuchen! —
wiewohl Herder die Weimarsche Privattheater im grauen Rocke besucht.

.. . Die Rede (im Teutschen Merkur, Monat November) gegen Lichten-
bergs Aufsaz von der Physiognomik (im Göttinger Almanach) ist von Lenz,
der seit wenigen Wochen verrückt seyn soll.




Darmstadt, den 2. Februar 1778.

. . . Claudius hat auf Teil 2 operum hier gegen 100 Subscribenten
gefunden. Der Herr Geheimrath von Hesse, Wenck und Merck haben die
Sache mit der größten Hize betrieben.




Darmstadt, den 9. März 1778.

... Die Nachricht von Lenzens Verrückung ist kanonisch. Vermuthlich
wird Klinger noch das nämliche Schicksal haben.




Darmstadt, den 25. März 1778.

. . . Lenz ist zum zweiten Male verrückt. Schlosser will nun bey seinen
Freunden colligieren, um ihn von Emmendingen weg in ein Narrenhaus
bringen zu lassen. Er lag bisher schon an Ketten, und hat Schlossern viel
zu schaffen gemacht. Lenzens Vater, ein Prediger in Liefland, scheint seinen
Sohn ganz abandonniert zu haben. Wenigstens hat er auf Schlossers Briefe
nicht geantwortet. Indeß hat Schlosser nun einen andern Menschen von
noch schlechterem Caliber, als Gesellschafter, bey sich, den wohl ehestens das¬
selbe Schicksal treffen möchte, nämlich Klingern, der seine Stelle bey der
Seylerischen Gesellschaft aufgegeben hat. — Der (einzige) Sohn des Herrn
Leibmedicus Zimmermann, welcher seit 1^ Jahren Medicin zu Straßburg
studiert, hat vor kurzem seinen Verstand, über die Lesung der Lavaterschen
Aussichten in' die Ewigkeit, der Physiognomischen Fragmente u. a. ebenfalls
verloren. Bindet mich! ich bin Christus! rief er, unter andern, aus. Auf
die Nachricht, welche die Straßburger Ärzte demi Vater in Hannover von
diesem Umschwung gegeben haben, hat dieser für gut befunden, seinen Sohn
von Straßburg weg und nach Zürich zu Lavatern bringen zu lassen, damit
die Person und die Gesellschaft desjenigen, dessen Schriften ihn zum Narren
gemacht haben, selbigen wieder entnarren möchte. Ich habe alle diese Nach¬
richten nicht nur von Merck (der doch mit diesen Leuten in Verbindung steht)
sondern auch von andern, die kürzlich von Straßburg gekommen sind. Sie
können solche getrost nacherzählen, — (doch ohne mich zu nennen). . . .

Ja nun! Warum Merck nichts einsendet? Ich habe ihn öfters erinnert,'
er versprach auch jedesmal heilig seine Aufträge zu expedieren; so daß
ich stets glaubte, er hätte Ihnen Alles abgeliefert. Nun schreiben Sie aber,
er hätte noch nichts eingesandt. Die wahre Ursache wüßte ich nicht cum-


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[0628] Aus Briefen der Wcrtherzcit — so würde ich doch aus guten Ursachen das Schauspiel nie besuchen! — wiewohl Herder die Weimarsche Privattheater im grauen Rocke besucht. .. . Die Rede (im Teutschen Merkur, Monat November) gegen Lichten- bergs Aufsaz von der Physiognomik (im Göttinger Almanach) ist von Lenz, der seit wenigen Wochen verrückt seyn soll. Darmstadt, den 2. Februar 1778. . . . Claudius hat auf Teil 2 operum hier gegen 100 Subscribenten gefunden. Der Herr Geheimrath von Hesse, Wenck und Merck haben die Sache mit der größten Hize betrieben. Darmstadt, den 9. März 1778. ... Die Nachricht von Lenzens Verrückung ist kanonisch. Vermuthlich wird Klinger noch das nämliche Schicksal haben. Darmstadt, den 25. März 1778. . . . Lenz ist zum zweiten Male verrückt. Schlosser will nun bey seinen Freunden colligieren, um ihn von Emmendingen weg in ein Narrenhaus bringen zu lassen. Er lag bisher schon an Ketten, und hat Schlossern viel zu schaffen gemacht. Lenzens Vater, ein Prediger in Liefland, scheint seinen Sohn ganz abandonniert zu haben. Wenigstens hat er auf Schlossers Briefe nicht geantwortet. Indeß hat Schlosser nun einen andern Menschen von noch schlechterem Caliber, als Gesellschafter, bey sich, den wohl ehestens das¬ selbe Schicksal treffen möchte, nämlich Klingern, der seine Stelle bey der Seylerischen Gesellschaft aufgegeben hat. — Der (einzige) Sohn des Herrn Leibmedicus Zimmermann, welcher seit 1^ Jahren Medicin zu Straßburg studiert, hat vor kurzem seinen Verstand, über die Lesung der Lavaterschen Aussichten in' die Ewigkeit, der Physiognomischen Fragmente u. a. ebenfalls verloren. Bindet mich! ich bin Christus! rief er, unter andern, aus. Auf die Nachricht, welche die Straßburger Ärzte demi Vater in Hannover von diesem Umschwung gegeben haben, hat dieser für gut befunden, seinen Sohn von Straßburg weg und nach Zürich zu Lavatern bringen zu lassen, damit die Person und die Gesellschaft desjenigen, dessen Schriften ihn zum Narren gemacht haben, selbigen wieder entnarren möchte. Ich habe alle diese Nach¬ richten nicht nur von Merck (der doch mit diesen Leuten in Verbindung steht) sondern auch von andern, die kürzlich von Straßburg gekommen sind. Sie können solche getrost nacherzählen, — (doch ohne mich zu nennen). . . . Ja nun! Warum Merck nichts einsendet? Ich habe ihn öfters erinnert,' er versprach auch jedesmal heilig seine Aufträge zu expedieren; so daß ich stets glaubte, er hätte Ihnen Alles abgeliefert. Nun schreiben Sie aber, er hätte noch nichts eingesandt. Die wahre Ursache wüßte ich nicht cum-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/628>, abgerufen am 24.07.2024.