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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der junge Bismarck

stand ungefähr auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Als angehender Pantheist
hatte er die Schule verlassen und sich seitdem zum ausgesprochenen Skeptiker
entwickelt, ohne sich freilich jemals befriedigt zu fühlen. In Kniephof war er
einem einflußreichen Kreise pommerscher Pietisten nahe getreten; durch sie lernte
er Johanna v. Puttkamer kennen. In: Juli 1847 führte er sie heim. Ihr
starker Einfluß auf Bismarcks religiöse Vorstellungen ist in den folgenden Jahren
unverkennbar. Unzweifelhaft hätte sie ihn weder erworben noch behauptet,
wäre sie nicht mit ungewöhnlichen Gaben des Geistes und Gemütes ausgestattet
gewesen, die dem großen Gefährten ihres Lebens die solange vergeblich gesuchte
Ergänzung seines Wesens vermittelten.

Wie sich die Sinnesänderung allmählich in Bismarck vorbereitet hat, wie
Byronscher Weltschmerz und philosophische Konstruktionen seinein religiösen Be¬
dürfnis je länger um so weniger genügten, bis ihn vorbildliche Bekenner des
Christenglaubens durch die ungesuchte Beweiskraft ihres Lebenswandels für
diesen Glauben gewannen, das wird von Marcks mit eindringendem Verständnis
geschildert. Von großer Feinheit ist die Andeutung der Grenzlinien, die Bismarck
auch nach seiner "Bekehrung" den pommerschen Freunden und der Braut gegen¬
über einhielt. Dennoch wird vermutlich mancher Leser diese Abschnitte des
Werkes mit stillen Vorbehalten versehen. Der Bekehrung Bismarcks fehlte --
wie mancher anderen -- nicht die Mitwirkung eines voraufgegangenen sittlichen
und geistigen Schiffbruchs. So wenig dieser Umstand ihren Wert in den Augen
bibelgläubiger Christen vermindert, denen nun einmal der büßende Sünder
über dem "Gerechten" steht, so wenig darf er übersehen werden, wenn nicht
dem dogmatischen Standpunkt ein unberechtigtes Zugeständnis gemacht werden
und Bismarcks innere Umkehr ein unverdientes Relief erhalten soll. Korne
man hierin eine Lücke finden, so fragt es sich im übrigen, ob nicht der ganze
Abschnitt durch! eine weniger ausführliche Behandlung gewonnen hätte. Der
spätere Bismarck war in religiöser Hinsicht eine neutrale Größe. Was auch
dafür und dawider gesagt werden mag, er war so wenig ein frommer Christ
wie ein Leugner. Sein Verhalten gegen Stöcker besagt in dieser Hinsicht mehr
als viele Worte. Uns Deutschen bleibt Bismarck der verkörperte politische Ver¬
stand, mehr brauchen wir nicht von ihm zu fordern. Seine geschichtliche Wirk¬
samkeit berührte das kirchliche Gebiet nur während des Kulturkampfes und
zeigte ihn damals mit diesem Gebiete wenig vertraut. Man tut ihm schwerlich
unrecht, wenn man seine religiösen Wandlungen als Ereignisse ansieht, die
ohne weitreichende Folgen geblieben sind.

Mit Bismarcks Verlobung, die seiner Sinnesänderung das äußere Siegel
aufdrückte, schließt seine Jugend ab. Marcks hat ihre Geschichte noch auf den
Vereinigten Landtag von 1847 ausgedehnt und den ersten Band seiner Lebens¬
beschreibung bis zum Vorabend der Märztage von 1848 fortgeführt. Für
Bismarck bedeutete indessen nicht der Aufstand des 18. März, sondern der
Vereinigte Landtag den Beginn seiner politischen Laufbahn. Bis dahin ist alles


Grenzbote" I 1911 77
Der junge Bismarck

stand ungefähr auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Als angehender Pantheist
hatte er die Schule verlassen und sich seitdem zum ausgesprochenen Skeptiker
entwickelt, ohne sich freilich jemals befriedigt zu fühlen. In Kniephof war er
einem einflußreichen Kreise pommerscher Pietisten nahe getreten; durch sie lernte
er Johanna v. Puttkamer kennen. In: Juli 1847 führte er sie heim. Ihr
starker Einfluß auf Bismarcks religiöse Vorstellungen ist in den folgenden Jahren
unverkennbar. Unzweifelhaft hätte sie ihn weder erworben noch behauptet,
wäre sie nicht mit ungewöhnlichen Gaben des Geistes und Gemütes ausgestattet
gewesen, die dem großen Gefährten ihres Lebens die solange vergeblich gesuchte
Ergänzung seines Wesens vermittelten.

Wie sich die Sinnesänderung allmählich in Bismarck vorbereitet hat, wie
Byronscher Weltschmerz und philosophische Konstruktionen seinein religiösen Be¬
dürfnis je länger um so weniger genügten, bis ihn vorbildliche Bekenner des
Christenglaubens durch die ungesuchte Beweiskraft ihres Lebenswandels für
diesen Glauben gewannen, das wird von Marcks mit eindringendem Verständnis
geschildert. Von großer Feinheit ist die Andeutung der Grenzlinien, die Bismarck
auch nach seiner „Bekehrung" den pommerschen Freunden und der Braut gegen¬
über einhielt. Dennoch wird vermutlich mancher Leser diese Abschnitte des
Werkes mit stillen Vorbehalten versehen. Der Bekehrung Bismarcks fehlte —
wie mancher anderen — nicht die Mitwirkung eines voraufgegangenen sittlichen
und geistigen Schiffbruchs. So wenig dieser Umstand ihren Wert in den Augen
bibelgläubiger Christen vermindert, denen nun einmal der büßende Sünder
über dem „Gerechten" steht, so wenig darf er übersehen werden, wenn nicht
dem dogmatischen Standpunkt ein unberechtigtes Zugeständnis gemacht werden
und Bismarcks innere Umkehr ein unverdientes Relief erhalten soll. Korne
man hierin eine Lücke finden, so fragt es sich im übrigen, ob nicht der ganze
Abschnitt durch! eine weniger ausführliche Behandlung gewonnen hätte. Der
spätere Bismarck war in religiöser Hinsicht eine neutrale Größe. Was auch
dafür und dawider gesagt werden mag, er war so wenig ein frommer Christ
wie ein Leugner. Sein Verhalten gegen Stöcker besagt in dieser Hinsicht mehr
als viele Worte. Uns Deutschen bleibt Bismarck der verkörperte politische Ver¬
stand, mehr brauchen wir nicht von ihm zu fordern. Seine geschichtliche Wirk¬
samkeit berührte das kirchliche Gebiet nur während des Kulturkampfes und
zeigte ihn damals mit diesem Gebiete wenig vertraut. Man tut ihm schwerlich
unrecht, wenn man seine religiösen Wandlungen als Ereignisse ansieht, die
ohne weitreichende Folgen geblieben sind.

Mit Bismarcks Verlobung, die seiner Sinnesänderung das äußere Siegel
aufdrückte, schließt seine Jugend ab. Marcks hat ihre Geschichte noch auf den
Vereinigten Landtag von 1847 ausgedehnt und den ersten Band seiner Lebens¬
beschreibung bis zum Vorabend der Märztage von 1848 fortgeführt. Für
Bismarck bedeutete indessen nicht der Aufstand des 18. März, sondern der
Vereinigte Landtag den Beginn seiner politischen Laufbahn. Bis dahin ist alles


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[0623] Der junge Bismarck stand ungefähr auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Als angehender Pantheist hatte er die Schule verlassen und sich seitdem zum ausgesprochenen Skeptiker entwickelt, ohne sich freilich jemals befriedigt zu fühlen. In Kniephof war er einem einflußreichen Kreise pommerscher Pietisten nahe getreten; durch sie lernte er Johanna v. Puttkamer kennen. In: Juli 1847 führte er sie heim. Ihr starker Einfluß auf Bismarcks religiöse Vorstellungen ist in den folgenden Jahren unverkennbar. Unzweifelhaft hätte sie ihn weder erworben noch behauptet, wäre sie nicht mit ungewöhnlichen Gaben des Geistes und Gemütes ausgestattet gewesen, die dem großen Gefährten ihres Lebens die solange vergeblich gesuchte Ergänzung seines Wesens vermittelten. Wie sich die Sinnesänderung allmählich in Bismarck vorbereitet hat, wie Byronscher Weltschmerz und philosophische Konstruktionen seinein religiösen Be¬ dürfnis je länger um so weniger genügten, bis ihn vorbildliche Bekenner des Christenglaubens durch die ungesuchte Beweiskraft ihres Lebenswandels für diesen Glauben gewannen, das wird von Marcks mit eindringendem Verständnis geschildert. Von großer Feinheit ist die Andeutung der Grenzlinien, die Bismarck auch nach seiner „Bekehrung" den pommerschen Freunden und der Braut gegen¬ über einhielt. Dennoch wird vermutlich mancher Leser diese Abschnitte des Werkes mit stillen Vorbehalten versehen. Der Bekehrung Bismarcks fehlte — wie mancher anderen — nicht die Mitwirkung eines voraufgegangenen sittlichen und geistigen Schiffbruchs. So wenig dieser Umstand ihren Wert in den Augen bibelgläubiger Christen vermindert, denen nun einmal der büßende Sünder über dem „Gerechten" steht, so wenig darf er übersehen werden, wenn nicht dem dogmatischen Standpunkt ein unberechtigtes Zugeständnis gemacht werden und Bismarcks innere Umkehr ein unverdientes Relief erhalten soll. Korne man hierin eine Lücke finden, so fragt es sich im übrigen, ob nicht der ganze Abschnitt durch! eine weniger ausführliche Behandlung gewonnen hätte. Der spätere Bismarck war in religiöser Hinsicht eine neutrale Größe. Was auch dafür und dawider gesagt werden mag, er war so wenig ein frommer Christ wie ein Leugner. Sein Verhalten gegen Stöcker besagt in dieser Hinsicht mehr als viele Worte. Uns Deutschen bleibt Bismarck der verkörperte politische Ver¬ stand, mehr brauchen wir nicht von ihm zu fordern. Seine geschichtliche Wirk¬ samkeit berührte das kirchliche Gebiet nur während des Kulturkampfes und zeigte ihn damals mit diesem Gebiete wenig vertraut. Man tut ihm schwerlich unrecht, wenn man seine religiösen Wandlungen als Ereignisse ansieht, die ohne weitreichende Folgen geblieben sind. Mit Bismarcks Verlobung, die seiner Sinnesänderung das äußere Siegel aufdrückte, schließt seine Jugend ab. Marcks hat ihre Geschichte noch auf den Vereinigten Landtag von 1847 ausgedehnt und den ersten Band seiner Lebens¬ beschreibung bis zum Vorabend der Märztage von 1848 fortgeführt. Für Bismarck bedeutete indessen nicht der Aufstand des 18. März, sondern der Vereinigte Landtag den Beginn seiner politischen Laufbahn. Bis dahin ist alles Grenzbote» I 1911 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/623>, abgerufen am 24.07.2024.