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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der junge Bismarck

wirkt bis auf den heutigen Tag überzeugender als die leidenschaftlichsten An¬
klagen gemaßregelter Bürgermeister.

Ebenso wie 1832 die Schulzeit, endete 1835 auch das Universitätsstudium
trotz spät einsetzenden Fleißes mit einem frühzeitigen und wohlbestandenen Aus-
kultatorexamen. Allem Leichtsinn zum Trotz offenbart sich darin ein gewisser
Ehrgeiz, der so schnell wie möglich vorwärts drängt, allerdings nicht der äußer¬
liche Ehrgeiz des Strebers, dem es nicht auf eigene Leistungen ankommt, sondern
nur auf äußere Erfolge. "Ich glaube schwerlich," schrieb Bismarck 1835 als
zwanzigjähriger Auskultator einem Freunde, "daß mich die vollkommenste Er¬
reichung des erstrebten Zieles, der längste Titel und der breiteste Orden in
Deutschland, die staunenswerteste Vornehmheit entschädigen wird für die körper¬
lich und geistig eingeschrumpfte Brust, welche das Resultat dieses Lebens sein
wird." Um Flitter war es ihm also schon damals nicht zu tun. Was ihn
vorwärts trieb, war der Drang einer außerordentlichen Begabung nach einem
passenden Felde für ihre Betätigung.

Welches Feld seiner Tätigkeit schwebte aber dem jungen Bismarck bei
seinen juristischen Studien und bei der Ablegung der Auskultatorprüfung vor?
Er gibt uns die Antwort im ersten Kapitel der "Gedanken und Erinnerungen"
mit dem bemerkenswerten Satz: "Ich hatte, solange ich in dem damaligen Alter
ein eine Beamtenlaufbcchn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge." Es war
gewiß nicht von ungefähr, daß diese Sinnesrichtung den Wünschen der Mutter
entsprach. Sie war selbst klug und ehrgeizig und erkannte früh die hervor¬
ragende Begabung ihres zweiten Sohnes. Daher dachte sie sich ihn gern in
der bevorzugten Laufbahn des Diplomaten, in der schon ihr Vater sein Glück
gemacht hatte. Früh weckte sie in ihm den Sinn für seinen späteren Beruf.
Wenn seine eigenen Neigungen die gleiche Richtung einschlugen, so beweist das,
wie richtig ihn die Mutter beurteilt hatte. In das geschichtliche Verdienst,
unseren größten Diplomaten entdeckt zu haben, teilt sich Bismarcks Mutter nur
mit seinem König Friedrich Wilhelm dem Vierten, der im Jahre 1851 den
Deichhauptmann v. Bismarck ohne irgendein diplomatisches Examen zum Geheimen
Lcgationsrat und wenige Monate später zum Gesandten ernannte.

Von 1835 bis dahin sollten freilich noch sechzehn Jahre ins Land gehen.
Den ersten Schritt, um in die diplomatische Laufbahn zu gelangen, tat Bismarck
bald nach der Auskultatorprüfung, indem er dem Minister des Auswärtigen
Ancillon seine Wünsche vortrug. Dieser stieß sich an Bismarcks landständischer
Herkunft; er riet ihm, Regierungsassessor zu werden und auf dem Umwege über
den Zollverein in die bundesstaatliche Diplomatie überzutreten. Der junge
Bismarck fügte sich. Er durchlief die vorgeschriebenen Stadien des Austultators
bei der Kriminal- und der Zivilabteilung des Berliner Stadtgerichts. So wenig
anregend diese Beschäftigung an sich auch war, genügte doch ihr unmittelbarer
Zusammenhang mit dem wirklichen Leben, um Bismarcks ganz auf das Prak¬
tische gerichteten Sinn und sein Pflichtgefühl auf der Stelle in Tätigkeit zu


Der junge Bismarck

wirkt bis auf den heutigen Tag überzeugender als die leidenschaftlichsten An¬
klagen gemaßregelter Bürgermeister.

Ebenso wie 1832 die Schulzeit, endete 1835 auch das Universitätsstudium
trotz spät einsetzenden Fleißes mit einem frühzeitigen und wohlbestandenen Aus-
kultatorexamen. Allem Leichtsinn zum Trotz offenbart sich darin ein gewisser
Ehrgeiz, der so schnell wie möglich vorwärts drängt, allerdings nicht der äußer¬
liche Ehrgeiz des Strebers, dem es nicht auf eigene Leistungen ankommt, sondern
nur auf äußere Erfolge. „Ich glaube schwerlich," schrieb Bismarck 1835 als
zwanzigjähriger Auskultator einem Freunde, „daß mich die vollkommenste Er¬
reichung des erstrebten Zieles, der längste Titel und der breiteste Orden in
Deutschland, die staunenswerteste Vornehmheit entschädigen wird für die körper¬
lich und geistig eingeschrumpfte Brust, welche das Resultat dieses Lebens sein
wird." Um Flitter war es ihm also schon damals nicht zu tun. Was ihn
vorwärts trieb, war der Drang einer außerordentlichen Begabung nach einem
passenden Felde für ihre Betätigung.

Welches Feld seiner Tätigkeit schwebte aber dem jungen Bismarck bei
seinen juristischen Studien und bei der Ablegung der Auskultatorprüfung vor?
Er gibt uns die Antwort im ersten Kapitel der „Gedanken und Erinnerungen"
mit dem bemerkenswerten Satz: „Ich hatte, solange ich in dem damaligen Alter
ein eine Beamtenlaufbcchn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge." Es war
gewiß nicht von ungefähr, daß diese Sinnesrichtung den Wünschen der Mutter
entsprach. Sie war selbst klug und ehrgeizig und erkannte früh die hervor¬
ragende Begabung ihres zweiten Sohnes. Daher dachte sie sich ihn gern in
der bevorzugten Laufbahn des Diplomaten, in der schon ihr Vater sein Glück
gemacht hatte. Früh weckte sie in ihm den Sinn für seinen späteren Beruf.
Wenn seine eigenen Neigungen die gleiche Richtung einschlugen, so beweist das,
wie richtig ihn die Mutter beurteilt hatte. In das geschichtliche Verdienst,
unseren größten Diplomaten entdeckt zu haben, teilt sich Bismarcks Mutter nur
mit seinem König Friedrich Wilhelm dem Vierten, der im Jahre 1851 den
Deichhauptmann v. Bismarck ohne irgendein diplomatisches Examen zum Geheimen
Lcgationsrat und wenige Monate später zum Gesandten ernannte.

Von 1835 bis dahin sollten freilich noch sechzehn Jahre ins Land gehen.
Den ersten Schritt, um in die diplomatische Laufbahn zu gelangen, tat Bismarck
bald nach der Auskultatorprüfung, indem er dem Minister des Auswärtigen
Ancillon seine Wünsche vortrug. Dieser stieß sich an Bismarcks landständischer
Herkunft; er riet ihm, Regierungsassessor zu werden und auf dem Umwege über
den Zollverein in die bundesstaatliche Diplomatie überzutreten. Der junge
Bismarck fügte sich. Er durchlief die vorgeschriebenen Stadien des Austultators
bei der Kriminal- und der Zivilabteilung des Berliner Stadtgerichts. So wenig
anregend diese Beschäftigung an sich auch war, genügte doch ihr unmittelbarer
Zusammenhang mit dem wirklichen Leben, um Bismarcks ganz auf das Prak¬
tische gerichteten Sinn und sein Pflichtgefühl auf der Stelle in Tätigkeit zu


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[0620] Der junge Bismarck wirkt bis auf den heutigen Tag überzeugender als die leidenschaftlichsten An¬ klagen gemaßregelter Bürgermeister. Ebenso wie 1832 die Schulzeit, endete 1835 auch das Universitätsstudium trotz spät einsetzenden Fleißes mit einem frühzeitigen und wohlbestandenen Aus- kultatorexamen. Allem Leichtsinn zum Trotz offenbart sich darin ein gewisser Ehrgeiz, der so schnell wie möglich vorwärts drängt, allerdings nicht der äußer¬ liche Ehrgeiz des Strebers, dem es nicht auf eigene Leistungen ankommt, sondern nur auf äußere Erfolge. „Ich glaube schwerlich," schrieb Bismarck 1835 als zwanzigjähriger Auskultator einem Freunde, „daß mich die vollkommenste Er¬ reichung des erstrebten Zieles, der längste Titel und der breiteste Orden in Deutschland, die staunenswerteste Vornehmheit entschädigen wird für die körper¬ lich und geistig eingeschrumpfte Brust, welche das Resultat dieses Lebens sein wird." Um Flitter war es ihm also schon damals nicht zu tun. Was ihn vorwärts trieb, war der Drang einer außerordentlichen Begabung nach einem passenden Felde für ihre Betätigung. Welches Feld seiner Tätigkeit schwebte aber dem jungen Bismarck bei seinen juristischen Studien und bei der Ablegung der Auskultatorprüfung vor? Er gibt uns die Antwort im ersten Kapitel der „Gedanken und Erinnerungen" mit dem bemerkenswerten Satz: „Ich hatte, solange ich in dem damaligen Alter ein eine Beamtenlaufbcchn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge." Es war gewiß nicht von ungefähr, daß diese Sinnesrichtung den Wünschen der Mutter entsprach. Sie war selbst klug und ehrgeizig und erkannte früh die hervor¬ ragende Begabung ihres zweiten Sohnes. Daher dachte sie sich ihn gern in der bevorzugten Laufbahn des Diplomaten, in der schon ihr Vater sein Glück gemacht hatte. Früh weckte sie in ihm den Sinn für seinen späteren Beruf. Wenn seine eigenen Neigungen die gleiche Richtung einschlugen, so beweist das, wie richtig ihn die Mutter beurteilt hatte. In das geschichtliche Verdienst, unseren größten Diplomaten entdeckt zu haben, teilt sich Bismarcks Mutter nur mit seinem König Friedrich Wilhelm dem Vierten, der im Jahre 1851 den Deichhauptmann v. Bismarck ohne irgendein diplomatisches Examen zum Geheimen Lcgationsrat und wenige Monate später zum Gesandten ernannte. Von 1835 bis dahin sollten freilich noch sechzehn Jahre ins Land gehen. Den ersten Schritt, um in die diplomatische Laufbahn zu gelangen, tat Bismarck bald nach der Auskultatorprüfung, indem er dem Minister des Auswärtigen Ancillon seine Wünsche vortrug. Dieser stieß sich an Bismarcks landständischer Herkunft; er riet ihm, Regierungsassessor zu werden und auf dem Umwege über den Zollverein in die bundesstaatliche Diplomatie überzutreten. Der junge Bismarck fügte sich. Er durchlief die vorgeschriebenen Stadien des Austultators bei der Kriminal- und der Zivilabteilung des Berliner Stadtgerichts. So wenig anregend diese Beschäftigung an sich auch war, genügte doch ihr unmittelbarer Zusammenhang mit dem wirklichen Leben, um Bismarcks ganz auf das Prak¬ tische gerichteten Sinn und sein Pflichtgefühl auf der Stelle in Tätigkeit zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/620>, abgerufen am 24.07.2024.