Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der junge Bismarck

schaften bestätigen Bismarcks Bemerkung in den "Gedanken und Erinnerungen",
von Standeshochmut wäre er schon in seiner Jugend frei gewesen. Er fühlte
sich als Nachkomme seiner Vorfahren und suchte ihnen Ehre zu machen, aber
ohne Überhebung gegen andere. Auch im Korps verkehrte er vorwiegend mit
Bürgerlichen. Die Burschenschafter, denen er sich anfangs anschloß, erschienen
ihn: freilich in ihren: Auftreten zu formlos und in ihren Ansichten zu
weltfremd.

Es lohnt sich, in diesem Zusammenhange bei den politischen Ansichten des
jungen Bismarck einen Augenblick zu verweilen. Im ersten Satze der "Gedanken
und Erinnerungen" spricht er selbst aus der Zeit seines Abganges von der
Schule über seine damalige Ansicht, daß die Republik die vernünftigste Staats¬
form sei, aber wenige Zeilen weiter dann auch über die angeborenen preußisch¬
monarchischen Gefühle, die durch deutsch-nationale Eindrücke seiner Knabenzeit
nicht auszutilgen waren. Für die ganze politische Struktur des Mannes ist
diese kurze Gegenüberstellung aus seiner Entwickelungszeit bezeichnend. Nach
der landläufigen Meinung seiner Zeitgenossen hat Bismarck später in seinen
politischen Anschauungen manche unvermittelte Wandlung durchgemacht. Er hat
es sich nacheinander gefallen lassen müssen, von konservativen und von liberalen
Freunden als ein Abtrünniger angesehen zu werden. In Wahrheit umspannte
er mit seinem geräumigen Verstände von Anfang an die verschiedensten poli¬
tischen Möglichkeiten. Wie er es aber selbst schon aus dem Jahre 1832 berichtet,
so ist es sein Leben hindurch geblieben: Sein Verständnis für fremde Meinungen
und für ihre Berechtigung unter bestimmten Verhältnissen erstreckte sich von der
Republik bis zur altpreußischen Überlieferung. Allein das Übergewicht in ihnr
behaupteten allezeit, wie er selbst sie nennt, angeborene preußisch-monarchische
Gefühle.

Mit irgendeinem Parteiprogramm werden diese angeborenen Gefühle schon
in dem jugendlichen Bismarck nicht mehr gemein gehabt haben als die junge
Fichte im Walde mit einem Türpfosten. Marcks räumt aber auch -- zum
erstenmal mit unwiderleglicher Klarheit -- mit der alten Legende auf, daß sich
Bismarcks politische Ansichten vor seiner Ernennung zum Bundestagsgesandter
in nichts von der konservativen Schablone unterschieden hätten, und ebenso mit
der noch heute verbreiteten Verwechselung der Begriffe konservativ und gou-
vernemental. In der scharfen Trennung und souveränen Auseinanderhaltung
dieser Begriffe vom ersten bis zum letzten Kapitel des Buches, vor allem in
der gemeinverständlichen Zurückführung der konservativen Sinnesart auf die
ständische Überlieferung und Anschauung der Landbevölkerung liegt vielleicht
nicht das letzte Verdienst des Verfassers. Allerdings forderte der Stoff gebieterisch
zu solcher Klarstellung auf; denn mehr oder weniger mutwillige Fehden des
Junkers Bismarck mit den hohen Provinzialregierungen durchziehen die Geschichte
seiner Jugendjahre wie ein roter Faden. Der klassische Brief von 1838 an die
Gräfin Bismarck-Bohlen, mit dem er der Bureaukratie die Gefolgschaft aussagte.


Der junge Bismarck

schaften bestätigen Bismarcks Bemerkung in den „Gedanken und Erinnerungen",
von Standeshochmut wäre er schon in seiner Jugend frei gewesen. Er fühlte
sich als Nachkomme seiner Vorfahren und suchte ihnen Ehre zu machen, aber
ohne Überhebung gegen andere. Auch im Korps verkehrte er vorwiegend mit
Bürgerlichen. Die Burschenschafter, denen er sich anfangs anschloß, erschienen
ihn: freilich in ihren: Auftreten zu formlos und in ihren Ansichten zu
weltfremd.

Es lohnt sich, in diesem Zusammenhange bei den politischen Ansichten des
jungen Bismarck einen Augenblick zu verweilen. Im ersten Satze der „Gedanken
und Erinnerungen" spricht er selbst aus der Zeit seines Abganges von der
Schule über seine damalige Ansicht, daß die Republik die vernünftigste Staats¬
form sei, aber wenige Zeilen weiter dann auch über die angeborenen preußisch¬
monarchischen Gefühle, die durch deutsch-nationale Eindrücke seiner Knabenzeit
nicht auszutilgen waren. Für die ganze politische Struktur des Mannes ist
diese kurze Gegenüberstellung aus seiner Entwickelungszeit bezeichnend. Nach
der landläufigen Meinung seiner Zeitgenossen hat Bismarck später in seinen
politischen Anschauungen manche unvermittelte Wandlung durchgemacht. Er hat
es sich nacheinander gefallen lassen müssen, von konservativen und von liberalen
Freunden als ein Abtrünniger angesehen zu werden. In Wahrheit umspannte
er mit seinem geräumigen Verstände von Anfang an die verschiedensten poli¬
tischen Möglichkeiten. Wie er es aber selbst schon aus dem Jahre 1832 berichtet,
so ist es sein Leben hindurch geblieben: Sein Verständnis für fremde Meinungen
und für ihre Berechtigung unter bestimmten Verhältnissen erstreckte sich von der
Republik bis zur altpreußischen Überlieferung. Allein das Übergewicht in ihnr
behaupteten allezeit, wie er selbst sie nennt, angeborene preußisch-monarchische
Gefühle.

Mit irgendeinem Parteiprogramm werden diese angeborenen Gefühle schon
in dem jugendlichen Bismarck nicht mehr gemein gehabt haben als die junge
Fichte im Walde mit einem Türpfosten. Marcks räumt aber auch — zum
erstenmal mit unwiderleglicher Klarheit — mit der alten Legende auf, daß sich
Bismarcks politische Ansichten vor seiner Ernennung zum Bundestagsgesandter
in nichts von der konservativen Schablone unterschieden hätten, und ebenso mit
der noch heute verbreiteten Verwechselung der Begriffe konservativ und gou-
vernemental. In der scharfen Trennung und souveränen Auseinanderhaltung
dieser Begriffe vom ersten bis zum letzten Kapitel des Buches, vor allem in
der gemeinverständlichen Zurückführung der konservativen Sinnesart auf die
ständische Überlieferung und Anschauung der Landbevölkerung liegt vielleicht
nicht das letzte Verdienst des Verfassers. Allerdings forderte der Stoff gebieterisch
zu solcher Klarstellung auf; denn mehr oder weniger mutwillige Fehden des
Junkers Bismarck mit den hohen Provinzialregierungen durchziehen die Geschichte
seiner Jugendjahre wie ein roter Faden. Der klassische Brief von 1838 an die
Gräfin Bismarck-Bohlen, mit dem er der Bureaukratie die Gefolgschaft aussagte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0619" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318232"/>
          <fw type="header" place="top"> Der junge Bismarck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2775" prev="#ID_2774"> schaften bestätigen Bismarcks Bemerkung in den &#x201E;Gedanken und Erinnerungen",<lb/>
von Standeshochmut wäre er schon in seiner Jugend frei gewesen. Er fühlte<lb/>
sich als Nachkomme seiner Vorfahren und suchte ihnen Ehre zu machen, aber<lb/>
ohne Überhebung gegen andere. Auch im Korps verkehrte er vorwiegend mit<lb/>
Bürgerlichen. Die Burschenschafter, denen er sich anfangs anschloß, erschienen<lb/>
ihn: freilich in ihren: Auftreten zu formlos und in ihren Ansichten zu<lb/>
weltfremd.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2776"> Es lohnt sich, in diesem Zusammenhange bei den politischen Ansichten des<lb/>
jungen Bismarck einen Augenblick zu verweilen. Im ersten Satze der &#x201E;Gedanken<lb/>
und Erinnerungen" spricht er selbst aus der Zeit seines Abganges von der<lb/>
Schule über seine damalige Ansicht, daß die Republik die vernünftigste Staats¬<lb/>
form sei, aber wenige Zeilen weiter dann auch über die angeborenen preußisch¬<lb/>
monarchischen Gefühle, die durch deutsch-nationale Eindrücke seiner Knabenzeit<lb/>
nicht auszutilgen waren. Für die ganze politische Struktur des Mannes ist<lb/>
diese kurze Gegenüberstellung aus seiner Entwickelungszeit bezeichnend. Nach<lb/>
der landläufigen Meinung seiner Zeitgenossen hat Bismarck später in seinen<lb/>
politischen Anschauungen manche unvermittelte Wandlung durchgemacht. Er hat<lb/>
es sich nacheinander gefallen lassen müssen, von konservativen und von liberalen<lb/>
Freunden als ein Abtrünniger angesehen zu werden. In Wahrheit umspannte<lb/>
er mit seinem geräumigen Verstände von Anfang an die verschiedensten poli¬<lb/>
tischen Möglichkeiten. Wie er es aber selbst schon aus dem Jahre 1832 berichtet,<lb/>
so ist es sein Leben hindurch geblieben: Sein Verständnis für fremde Meinungen<lb/>
und für ihre Berechtigung unter bestimmten Verhältnissen erstreckte sich von der<lb/>
Republik bis zur altpreußischen Überlieferung. Allein das Übergewicht in ihnr<lb/>
behaupteten allezeit, wie er selbst sie nennt, angeborene preußisch-monarchische<lb/>
Gefühle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2777" next="#ID_2778"> Mit irgendeinem Parteiprogramm werden diese angeborenen Gefühle schon<lb/>
in dem jugendlichen Bismarck nicht mehr gemein gehabt haben als die junge<lb/>
Fichte im Walde mit einem Türpfosten. Marcks räumt aber auch &#x2014; zum<lb/>
erstenmal mit unwiderleglicher Klarheit &#x2014; mit der alten Legende auf, daß sich<lb/>
Bismarcks politische Ansichten vor seiner Ernennung zum Bundestagsgesandter<lb/>
in nichts von der konservativen Schablone unterschieden hätten, und ebenso mit<lb/>
der noch heute verbreiteten Verwechselung der Begriffe konservativ und gou-<lb/>
vernemental. In der scharfen Trennung und souveränen Auseinanderhaltung<lb/>
dieser Begriffe vom ersten bis zum letzten Kapitel des Buches, vor allem in<lb/>
der gemeinverständlichen Zurückführung der konservativen Sinnesart auf die<lb/>
ständische Überlieferung und Anschauung der Landbevölkerung liegt vielleicht<lb/>
nicht das letzte Verdienst des Verfassers. Allerdings forderte der Stoff gebieterisch<lb/>
zu solcher Klarstellung auf; denn mehr oder weniger mutwillige Fehden des<lb/>
Junkers Bismarck mit den hohen Provinzialregierungen durchziehen die Geschichte<lb/>
seiner Jugendjahre wie ein roter Faden. Der klassische Brief von 1838 an die<lb/>
Gräfin Bismarck-Bohlen, mit dem er der Bureaukratie die Gefolgschaft aussagte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0619] Der junge Bismarck schaften bestätigen Bismarcks Bemerkung in den „Gedanken und Erinnerungen", von Standeshochmut wäre er schon in seiner Jugend frei gewesen. Er fühlte sich als Nachkomme seiner Vorfahren und suchte ihnen Ehre zu machen, aber ohne Überhebung gegen andere. Auch im Korps verkehrte er vorwiegend mit Bürgerlichen. Die Burschenschafter, denen er sich anfangs anschloß, erschienen ihn: freilich in ihren: Auftreten zu formlos und in ihren Ansichten zu weltfremd. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhange bei den politischen Ansichten des jungen Bismarck einen Augenblick zu verweilen. Im ersten Satze der „Gedanken und Erinnerungen" spricht er selbst aus der Zeit seines Abganges von der Schule über seine damalige Ansicht, daß die Republik die vernünftigste Staats¬ form sei, aber wenige Zeilen weiter dann auch über die angeborenen preußisch¬ monarchischen Gefühle, die durch deutsch-nationale Eindrücke seiner Knabenzeit nicht auszutilgen waren. Für die ganze politische Struktur des Mannes ist diese kurze Gegenüberstellung aus seiner Entwickelungszeit bezeichnend. Nach der landläufigen Meinung seiner Zeitgenossen hat Bismarck später in seinen politischen Anschauungen manche unvermittelte Wandlung durchgemacht. Er hat es sich nacheinander gefallen lassen müssen, von konservativen und von liberalen Freunden als ein Abtrünniger angesehen zu werden. In Wahrheit umspannte er mit seinem geräumigen Verstände von Anfang an die verschiedensten poli¬ tischen Möglichkeiten. Wie er es aber selbst schon aus dem Jahre 1832 berichtet, so ist es sein Leben hindurch geblieben: Sein Verständnis für fremde Meinungen und für ihre Berechtigung unter bestimmten Verhältnissen erstreckte sich von der Republik bis zur altpreußischen Überlieferung. Allein das Übergewicht in ihnr behaupteten allezeit, wie er selbst sie nennt, angeborene preußisch-monarchische Gefühle. Mit irgendeinem Parteiprogramm werden diese angeborenen Gefühle schon in dem jugendlichen Bismarck nicht mehr gemein gehabt haben als die junge Fichte im Walde mit einem Türpfosten. Marcks räumt aber auch — zum erstenmal mit unwiderleglicher Klarheit — mit der alten Legende auf, daß sich Bismarcks politische Ansichten vor seiner Ernennung zum Bundestagsgesandter in nichts von der konservativen Schablone unterschieden hätten, und ebenso mit der noch heute verbreiteten Verwechselung der Begriffe konservativ und gou- vernemental. In der scharfen Trennung und souveränen Auseinanderhaltung dieser Begriffe vom ersten bis zum letzten Kapitel des Buches, vor allem in der gemeinverständlichen Zurückführung der konservativen Sinnesart auf die ständische Überlieferung und Anschauung der Landbevölkerung liegt vielleicht nicht das letzte Verdienst des Verfassers. Allerdings forderte der Stoff gebieterisch zu solcher Klarstellung auf; denn mehr oder weniger mutwillige Fehden des Junkers Bismarck mit den hohen Provinzialregierungen durchziehen die Geschichte seiner Jugendjahre wie ein roter Faden. Der klassische Brief von 1838 an die Gräfin Bismarck-Bohlen, mit dem er der Bureaukratie die Gefolgschaft aussagte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/619
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/619>, abgerufen am 24.07.2024.