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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der rote Rausch

Jules LSfövre,
Bester, billigster Rotwein.
Eine Million demjenigen,
der zu beweisen imstande ist, daß
die unverfälschte Qualität dieses
Weines nicht preiswert seil

Herr Jules Löfövre selbst trank ihn nie.

Es will gar nichts besagen, daß der große Mann die schönsten Schlösser des
Landes besaß, die besten Rennpferde hielt, die höchsten Preise gewann, Jachten
vor Anker liegen hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, daß es ihn plötzlich
gelüstete ... es will gar nichts besagen, denn er konnte diese Dinge nicht genießen.
Er hatte keine Zeit. Er arbeitete wie ein Pferd. Er nahm sich keinen Urlaub,
seit zehn Jahren bereits hatte er Paris kaum auf einen Tag verlassen. Seine
riesige Weinfabrikation, der Grundstock seines Vermögens, war nur mehr ein
Bruchteil seiner Unternehmungen, Ämter und Würden; alle Fäden des Handels, der
Industrie, der Finanz, der Politik liefen durch seine Hände. Bankgouverneur,
Aufsichtsrat ungezählter Jndustriegesellschaften, Urheber und Kopf von Trust- und
Ringbildungen auf allen hervorragenden Gebieten der Produktion, Vorstand der
Landwirtschaftlichen Gesellschaft und als solcher eine Schicksalsmacht, die mit Hilfe
eines Heeres von Agenten die Konjunkturen bestimmte und imstande war, über
die Kornkammern des Landes eine Hungersnot zu verhängen, wenn es der Moloch
der Börse, dessen Hohepriester er war, verlangte. Alles in allem, ein königlicher
Geschäftsmann, ein Genie, dessen Hirn wie eine feine, wundervoll konstruierte, nie
versagende Maschine arbeitete, ein despotischer Machthaber, der die Welt aus den
Angeln heben konnte, und der zu klug war, es wirklich zu kunt Denn er besaß
nicht bloß Genie, sondern er besaß auch Disziplin, eiserne Nerven, stählerne
Muskeln und ein Gedächtnis so groß wie ein Kontorhaus.

Bor allem aber besaß er Ideen -- Ideen, dieses furchtbare Geschenk der Götter,
Ideen, nach denen die Menschheit ewig dursten und die sie ewig fürchten wird.
Ideen, die sie zugleich liebt und zugleich haßt, die einen unendlichen Segen
und einen unendlichen Fluch bedeuten.

Jules Löfövre war ein Mann von Jdeenl

Seine erste große Idee, die er verwirklichte und die schon den Anfang seiner
Laufbahn, nachdem er den Kellnerburschen ausgezogen hatte, mit Millionen pflasterte,
war die Absetzung des Weingottes, der im Süden über den rebenbepflanzten
Hügeln thronte und ein sehr unverläßlicher Patron war. Dieser kultivierte den
Weinbau nach seiner alten, pfründnerhaften Methode, wobei in der Spekulation
neuen großen Stils nicht viel herauskam. Was nützte es, wenn er ein paar gute
Weinjahre spendete und sich dann in frevelhaftem Übermut auf den Faulpelz legte,
einmal das nötige Quantum Regen vergaß, ein andermal das nötige Quantum
Sonne, und dann zur Abwechslung die Reblaus, das liebe Tierchen, züchtete und
verhätschelte, auf Kosten der Weinbauern, damit im Haushalt der Natur sich kein
Geschöpf über Zurücksetzung beklagen konnte; was nützte also die ganze Herrlichkeit,
wenn Mißwachs, Teuerung und Mangel immer vor der Türe standen, die
Spekulation unsicher machten und den Erfolg der guten Weinjahre immer wieder
sa abZuräum führten? Schließlich wurde in solchen Zeiten der schlechten Ernte


Der rote Rausch

Jules LSfövre,
Bester, billigster Rotwein.
Eine Million demjenigen,
der zu beweisen imstande ist, daß
die unverfälschte Qualität dieses
Weines nicht preiswert seil

Herr Jules Löfövre selbst trank ihn nie.

Es will gar nichts besagen, daß der große Mann die schönsten Schlösser des
Landes besaß, die besten Rennpferde hielt, die höchsten Preise gewann, Jachten
vor Anker liegen hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, daß es ihn plötzlich
gelüstete ... es will gar nichts besagen, denn er konnte diese Dinge nicht genießen.
Er hatte keine Zeit. Er arbeitete wie ein Pferd. Er nahm sich keinen Urlaub,
seit zehn Jahren bereits hatte er Paris kaum auf einen Tag verlassen. Seine
riesige Weinfabrikation, der Grundstock seines Vermögens, war nur mehr ein
Bruchteil seiner Unternehmungen, Ämter und Würden; alle Fäden des Handels, der
Industrie, der Finanz, der Politik liefen durch seine Hände. Bankgouverneur,
Aufsichtsrat ungezählter Jndustriegesellschaften, Urheber und Kopf von Trust- und
Ringbildungen auf allen hervorragenden Gebieten der Produktion, Vorstand der
Landwirtschaftlichen Gesellschaft und als solcher eine Schicksalsmacht, die mit Hilfe
eines Heeres von Agenten die Konjunkturen bestimmte und imstande war, über
die Kornkammern des Landes eine Hungersnot zu verhängen, wenn es der Moloch
der Börse, dessen Hohepriester er war, verlangte. Alles in allem, ein königlicher
Geschäftsmann, ein Genie, dessen Hirn wie eine feine, wundervoll konstruierte, nie
versagende Maschine arbeitete, ein despotischer Machthaber, der die Welt aus den
Angeln heben konnte, und der zu klug war, es wirklich zu kunt Denn er besaß
nicht bloß Genie, sondern er besaß auch Disziplin, eiserne Nerven, stählerne
Muskeln und ein Gedächtnis so groß wie ein Kontorhaus.

Bor allem aber besaß er Ideen — Ideen, dieses furchtbare Geschenk der Götter,
Ideen, nach denen die Menschheit ewig dursten und die sie ewig fürchten wird.
Ideen, die sie zugleich liebt und zugleich haßt, die einen unendlichen Segen
und einen unendlichen Fluch bedeuten.

Jules Löfövre war ein Mann von Jdeenl

Seine erste große Idee, die er verwirklichte und die schon den Anfang seiner
Laufbahn, nachdem er den Kellnerburschen ausgezogen hatte, mit Millionen pflasterte,
war die Absetzung des Weingottes, der im Süden über den rebenbepflanzten
Hügeln thronte und ein sehr unverläßlicher Patron war. Dieser kultivierte den
Weinbau nach seiner alten, pfründnerhaften Methode, wobei in der Spekulation
neuen großen Stils nicht viel herauskam. Was nützte es, wenn er ein paar gute
Weinjahre spendete und sich dann in frevelhaftem Übermut auf den Faulpelz legte,
einmal das nötige Quantum Regen vergaß, ein andermal das nötige Quantum
Sonne, und dann zur Abwechslung die Reblaus, das liebe Tierchen, züchtete und
verhätschelte, auf Kosten der Weinbauern, damit im Haushalt der Natur sich kein
Geschöpf über Zurücksetzung beklagen konnte; was nützte also die ganze Herrlichkeit,
wenn Mißwachs, Teuerung und Mangel immer vor der Türe standen, die
Spekulation unsicher machten und den Erfolg der guten Weinjahre immer wieder
sa abZuräum führten? Schließlich wurde in solchen Zeiten der schlechten Ernte


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[0586] Der rote Rausch Jules LSfövre, Bester, billigster Rotwein. Eine Million demjenigen, der zu beweisen imstande ist, daß die unverfälschte Qualität dieses Weines nicht preiswert seil Herr Jules Löfövre selbst trank ihn nie. Es will gar nichts besagen, daß der große Mann die schönsten Schlösser des Landes besaß, die besten Rennpferde hielt, die höchsten Preise gewann, Jachten vor Anker liegen hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, daß es ihn plötzlich gelüstete ... es will gar nichts besagen, denn er konnte diese Dinge nicht genießen. Er hatte keine Zeit. Er arbeitete wie ein Pferd. Er nahm sich keinen Urlaub, seit zehn Jahren bereits hatte er Paris kaum auf einen Tag verlassen. Seine riesige Weinfabrikation, der Grundstock seines Vermögens, war nur mehr ein Bruchteil seiner Unternehmungen, Ämter und Würden; alle Fäden des Handels, der Industrie, der Finanz, der Politik liefen durch seine Hände. Bankgouverneur, Aufsichtsrat ungezählter Jndustriegesellschaften, Urheber und Kopf von Trust- und Ringbildungen auf allen hervorragenden Gebieten der Produktion, Vorstand der Landwirtschaftlichen Gesellschaft und als solcher eine Schicksalsmacht, die mit Hilfe eines Heeres von Agenten die Konjunkturen bestimmte und imstande war, über die Kornkammern des Landes eine Hungersnot zu verhängen, wenn es der Moloch der Börse, dessen Hohepriester er war, verlangte. Alles in allem, ein königlicher Geschäftsmann, ein Genie, dessen Hirn wie eine feine, wundervoll konstruierte, nie versagende Maschine arbeitete, ein despotischer Machthaber, der die Welt aus den Angeln heben konnte, und der zu klug war, es wirklich zu kunt Denn er besaß nicht bloß Genie, sondern er besaß auch Disziplin, eiserne Nerven, stählerne Muskeln und ein Gedächtnis so groß wie ein Kontorhaus. Bor allem aber besaß er Ideen — Ideen, dieses furchtbare Geschenk der Götter, Ideen, nach denen die Menschheit ewig dursten und die sie ewig fürchten wird. Ideen, die sie zugleich liebt und zugleich haßt, die einen unendlichen Segen und einen unendlichen Fluch bedeuten. Jules Löfövre war ein Mann von Jdeenl Seine erste große Idee, die er verwirklichte und die schon den Anfang seiner Laufbahn, nachdem er den Kellnerburschen ausgezogen hatte, mit Millionen pflasterte, war die Absetzung des Weingottes, der im Süden über den rebenbepflanzten Hügeln thronte und ein sehr unverläßlicher Patron war. Dieser kultivierte den Weinbau nach seiner alten, pfründnerhaften Methode, wobei in der Spekulation neuen großen Stils nicht viel herauskam. Was nützte es, wenn er ein paar gute Weinjahre spendete und sich dann in frevelhaftem Übermut auf den Faulpelz legte, einmal das nötige Quantum Regen vergaß, ein andermal das nötige Quantum Sonne, und dann zur Abwechslung die Reblaus, das liebe Tierchen, züchtete und verhätschelte, auf Kosten der Weinbauern, damit im Haushalt der Natur sich kein Geschöpf über Zurücksetzung beklagen konnte; was nützte also die ganze Herrlichkeit, wenn Mißwachs, Teuerung und Mangel immer vor der Türe standen, die Spekulation unsicher machten und den Erfolg der guten Weinjahre immer wieder sa abZuräum führten? Schließlich wurde in solchen Zeiten der schlechten Ernte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/586>, abgerufen am 24.07.2024.