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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der religiöse Hintergrund der Drcwsschen "Lhristnsmythe"

der Geschichte waltet. Drews fühlt in der Geschichte einen irrationalen Faktor,
der ihm unbequem ist und den er ausschalten möchte, wo es das Höchste gilt.
Er kann Hegels tiefste Überzeugung nicht teilen, daß die Geschichte die Offen¬
barung der Idee, die Entschleierung des Geheimnisses des Absoluten ist. Auf
die kürzeste Formel gebracht würde der Gegensatz zwischen Drews auf der einen
und dem Christentum mit Hegel auf der anderen Seite dieser sein: Drews
behauptet, im Anfang aller Geschichte stand ein Unvernünftiges und dies beherrscht
ihren Lauf -- im Anfang war das Unlogische. Das Christentum dagegen stellt
vor die Geschichte der Welt die göttliche Vernunft, der alles entspringt, die allen
geschichtlichen Verlauf durchwaltet und in der Geschichte eine immer höhere
Offenbarung findet -- im Anfang war der Logos. Wenn er freilich wiederum
sagt (277), es gebe nicht bloß eine subjektive Logik in unserem Denken, sondern
zugleich eine objektive Logik im Dasein oder der Wirklichkeit, die durch das
Erkennen nur ins Bewußtsein erhoben werde; wenn er betont, daß der Inhalt
der Wirklichkeit ein logischer sei und daß es folglich Ideen seien, die im Dasein
zur Verwirklichung gelangen, so müssen wir uns wundern über seinen energischen
Gegensatz gegen Hegel und dessen Bemühungen. Geschichte und Spekulation in
eins zu schauen. Warum soll gerade die Geschichte von dieser durchgängigen
logischen Bestimmtheit ausgeschlossen sein?

Sein Pantheismus mit dem unbewußten Gott, die germanische Religion,
so hofft er, wird alle Bedürfnisse besser befriedigen als die anderen Religionen,
das Christentum: inbegriffen, und hat den Vorteil, sich der Zustimmung der
allgemeinen Vernunft zu erfreuen. Wir müssen gestehen, trotzdem wir seiner
idealistisch gerichteten Grundauffassung nicht fern stehen, wir haben es nicht
vermocht, uns, auch nur poetisch mitempfindend, ein Verständnis der Möglichkeit
eines religiösen Verhältnisses zu dem unbewußten Gott, der eigentlich unser
Selbst ist, abzuringen. Wir kennen die pantheistisch gestimmte Empfindung
angesichts der Schönheit und Erhabenheit der Natur; auch für uns gab es eine
Zeit, in der die Schauer der Ahnung eines verwandten, nur schlummernden
Lebens in Sturm und Sonnenstrahl, in Fels und Baum uns die Religion
ersetzen mußten. Aber die Fähigkeit der Nachempfindung verläßt uns sofort,
wenn der Schwerpunkt auf die Verehrung unseres Selbst gelegt, wenn Religion
auf ein Verhältnis des Menschen zu sich selbst, sei es auch zu dem hinter seinem
Ich gelegenen Selbst, reduziert werden soll. Wenn Drews seinen idealistischen
Monismus den heutigen Vertretern des monistischen Gedankens als die höhere
Weltanschauung empfiehlt gegenüber derDumpfheit des naturalistisch-mechanistischen
Monismus eines Haeckel, so ist er ohne Zweifel im Recht. Doch wenn er meint,
Mit Annahme seiner neuen Religion erst werde der Monismus der Kirche
Abbruch tun, so mag es ja sein, daß seine überragende geistige Potenz dem
Monismus manchen Intellektuellen zuführen wird, der, mit seinem Christen¬
glauben zerfallen, doch durch Haeckels und anderer Art abgeschreckt wurde. Aber
ZU einer Religion, die wirklich weitesten Kreisen des Volkes in ihren Nöten und


Grenzboten I 1811 72
Der religiöse Hintergrund der Drcwsschen „Lhristnsmythe"

der Geschichte waltet. Drews fühlt in der Geschichte einen irrationalen Faktor,
der ihm unbequem ist und den er ausschalten möchte, wo es das Höchste gilt.
Er kann Hegels tiefste Überzeugung nicht teilen, daß die Geschichte die Offen¬
barung der Idee, die Entschleierung des Geheimnisses des Absoluten ist. Auf
die kürzeste Formel gebracht würde der Gegensatz zwischen Drews auf der einen
und dem Christentum mit Hegel auf der anderen Seite dieser sein: Drews
behauptet, im Anfang aller Geschichte stand ein Unvernünftiges und dies beherrscht
ihren Lauf — im Anfang war das Unlogische. Das Christentum dagegen stellt
vor die Geschichte der Welt die göttliche Vernunft, der alles entspringt, die allen
geschichtlichen Verlauf durchwaltet und in der Geschichte eine immer höhere
Offenbarung findet — im Anfang war der Logos. Wenn er freilich wiederum
sagt (277), es gebe nicht bloß eine subjektive Logik in unserem Denken, sondern
zugleich eine objektive Logik im Dasein oder der Wirklichkeit, die durch das
Erkennen nur ins Bewußtsein erhoben werde; wenn er betont, daß der Inhalt
der Wirklichkeit ein logischer sei und daß es folglich Ideen seien, die im Dasein
zur Verwirklichung gelangen, so müssen wir uns wundern über seinen energischen
Gegensatz gegen Hegel und dessen Bemühungen. Geschichte und Spekulation in
eins zu schauen. Warum soll gerade die Geschichte von dieser durchgängigen
logischen Bestimmtheit ausgeschlossen sein?

Sein Pantheismus mit dem unbewußten Gott, die germanische Religion,
so hofft er, wird alle Bedürfnisse besser befriedigen als die anderen Religionen,
das Christentum: inbegriffen, und hat den Vorteil, sich der Zustimmung der
allgemeinen Vernunft zu erfreuen. Wir müssen gestehen, trotzdem wir seiner
idealistisch gerichteten Grundauffassung nicht fern stehen, wir haben es nicht
vermocht, uns, auch nur poetisch mitempfindend, ein Verständnis der Möglichkeit
eines religiösen Verhältnisses zu dem unbewußten Gott, der eigentlich unser
Selbst ist, abzuringen. Wir kennen die pantheistisch gestimmte Empfindung
angesichts der Schönheit und Erhabenheit der Natur; auch für uns gab es eine
Zeit, in der die Schauer der Ahnung eines verwandten, nur schlummernden
Lebens in Sturm und Sonnenstrahl, in Fels und Baum uns die Religion
ersetzen mußten. Aber die Fähigkeit der Nachempfindung verläßt uns sofort,
wenn der Schwerpunkt auf die Verehrung unseres Selbst gelegt, wenn Religion
auf ein Verhältnis des Menschen zu sich selbst, sei es auch zu dem hinter seinem
Ich gelegenen Selbst, reduziert werden soll. Wenn Drews seinen idealistischen
Monismus den heutigen Vertretern des monistischen Gedankens als die höhere
Weltanschauung empfiehlt gegenüber derDumpfheit des naturalistisch-mechanistischen
Monismus eines Haeckel, so ist er ohne Zweifel im Recht. Doch wenn er meint,
Mit Annahme seiner neuen Religion erst werde der Monismus der Kirche
Abbruch tun, so mag es ja sein, daß seine überragende geistige Potenz dem
Monismus manchen Intellektuellen zuführen wird, der, mit seinem Christen¬
glauben zerfallen, doch durch Haeckels und anderer Art abgeschreckt wurde. Aber
ZU einer Religion, die wirklich weitesten Kreisen des Volkes in ihren Nöten und


Grenzboten I 1811 72
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[0583] Der religiöse Hintergrund der Drcwsschen „Lhristnsmythe" der Geschichte waltet. Drews fühlt in der Geschichte einen irrationalen Faktor, der ihm unbequem ist und den er ausschalten möchte, wo es das Höchste gilt. Er kann Hegels tiefste Überzeugung nicht teilen, daß die Geschichte die Offen¬ barung der Idee, die Entschleierung des Geheimnisses des Absoluten ist. Auf die kürzeste Formel gebracht würde der Gegensatz zwischen Drews auf der einen und dem Christentum mit Hegel auf der anderen Seite dieser sein: Drews behauptet, im Anfang aller Geschichte stand ein Unvernünftiges und dies beherrscht ihren Lauf — im Anfang war das Unlogische. Das Christentum dagegen stellt vor die Geschichte der Welt die göttliche Vernunft, der alles entspringt, die allen geschichtlichen Verlauf durchwaltet und in der Geschichte eine immer höhere Offenbarung findet — im Anfang war der Logos. Wenn er freilich wiederum sagt (277), es gebe nicht bloß eine subjektive Logik in unserem Denken, sondern zugleich eine objektive Logik im Dasein oder der Wirklichkeit, die durch das Erkennen nur ins Bewußtsein erhoben werde; wenn er betont, daß der Inhalt der Wirklichkeit ein logischer sei und daß es folglich Ideen seien, die im Dasein zur Verwirklichung gelangen, so müssen wir uns wundern über seinen energischen Gegensatz gegen Hegel und dessen Bemühungen. Geschichte und Spekulation in eins zu schauen. Warum soll gerade die Geschichte von dieser durchgängigen logischen Bestimmtheit ausgeschlossen sein? Sein Pantheismus mit dem unbewußten Gott, die germanische Religion, so hofft er, wird alle Bedürfnisse besser befriedigen als die anderen Religionen, das Christentum: inbegriffen, und hat den Vorteil, sich der Zustimmung der allgemeinen Vernunft zu erfreuen. Wir müssen gestehen, trotzdem wir seiner idealistisch gerichteten Grundauffassung nicht fern stehen, wir haben es nicht vermocht, uns, auch nur poetisch mitempfindend, ein Verständnis der Möglichkeit eines religiösen Verhältnisses zu dem unbewußten Gott, der eigentlich unser Selbst ist, abzuringen. Wir kennen die pantheistisch gestimmte Empfindung angesichts der Schönheit und Erhabenheit der Natur; auch für uns gab es eine Zeit, in der die Schauer der Ahnung eines verwandten, nur schlummernden Lebens in Sturm und Sonnenstrahl, in Fels und Baum uns die Religion ersetzen mußten. Aber die Fähigkeit der Nachempfindung verläßt uns sofort, wenn der Schwerpunkt auf die Verehrung unseres Selbst gelegt, wenn Religion auf ein Verhältnis des Menschen zu sich selbst, sei es auch zu dem hinter seinem Ich gelegenen Selbst, reduziert werden soll. Wenn Drews seinen idealistischen Monismus den heutigen Vertretern des monistischen Gedankens als die höhere Weltanschauung empfiehlt gegenüber derDumpfheit des naturalistisch-mechanistischen Monismus eines Haeckel, so ist er ohne Zweifel im Recht. Doch wenn er meint, Mit Annahme seiner neuen Religion erst werde der Monismus der Kirche Abbruch tun, so mag es ja sein, daß seine überragende geistige Potenz dem Monismus manchen Intellektuellen zuführen wird, der, mit seinem Christen¬ glauben zerfallen, doch durch Haeckels und anderer Art abgeschreckt wurde. Aber ZU einer Religion, die wirklich weitesten Kreisen des Volkes in ihren Nöten und Grenzboten I 1811 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/583>, abgerufen am 24.07.2024.