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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der religiöse Hintergrund der Drewsschcn "Lhristnsmythe"

Fesseln los, indem er die seinem Wesen unangemessene Form des Daseins in
diejenige des Bewußtseins umwandelt und dieses Bewußtsein dazu benutzt, die
Freiheit vom Dasein zu erlangen.

Hiermit glaubt Drews der christlichen Idee vom erlösenden Gottmenschen
ins Herz geschaut und das Mysterium des Kreuzes enthüllt zu haben: Gott
wird Mensch und leidet als Mensch mit den Menschen, um die Menschheit zu
erlösen. Nämlich jenes innere Selbst des Menschen, das zugleich Mensch und
Gott ist, erscheint als der ideelle Mittler zwischen Mensch und Gott. "Gott
selbst trägt in innerer Gestalt das Leid der Welt; er nimmt die Schuld der
endlichen Geister auf sich; er wandelt, gefesselt von den Bedingungen der Natur,
in knechtischer Erniedrigung den Passionsweg der Erlösung und läßt sich an das
Kreuz des Daseins schlagen um der menschheitlicher und der Welterlösung
willen, die auch zugleich seine eigene Erlösung einschließt." Hier haben wir
den Grund seiner Empörung über die Bemühungen der liberalen Theologie,
die Erlösung auf einen bloßen, in der Geschichte empirisch gegebenen Menschen
zu basieren, aus dessen Bilde die Spuren des altkirchlichen Gottmenschen sorg¬
fältig ausgetilgt sind. Er empfindet den Zauber, den das Leiden Christi als
des Gottmenschen auf alle tieferen Naturen ausübt, und weist auf den frommen
Schauder hin, den es noch immer, selbst in stumpfen und ungläubigen Naturen,
hervorruft. Hierin sieht er die Stärke des Christentums und spottet über die
"Weiterentwicklung des Christentums", die den Gedanken des leidenden Gott¬
menschen ausschalten will. "Man muß schon weit in der modernen Erdfreudigkeit
und Gleichgültigkeit gegen alle metaphysische Ausdeutung des Seins gelangt fein,
um ein Christentum ohne leidenden Gott noch als Christentum, ja überhaupt
als Religion ansehen zu können."

Wir verstehen aber auch von hier aus erst die Abneigung des Philosophen
gegen jede Einmischung der Geschichte in das religiöse Verhältnis. Jeder Mensch
erlöst sich selbst, indem er einkehrt in sein eigenes Innerstes, was soll ihm da
ein historisch gewordener Erlöser? Der Mensch findet Gott unmittelbar in sich,
was soll ihm ein Mittler? "Man verfehlt das Wesen der Religion durchaus,
wenn man in die Auffassung jenes Verhältnisses außerseelische, historische
Beziehungen einmengt, ja die Möglichkeit jenes Verhältnisses wohl gar abhängig
macht von dem Glauben an wirkliche, sogenannte geschichtliche Tatsachen."

Das Bemühen Hegels, Geschichte und Spekulation unmittelbar in eins zu
schauen, lehnt Drews deshalb, trotz der inneren Verwandtschaft seiner Philosophie
mit der Hegels, rundweg ab. Ja, er zitiert mit innerer Zustimmung ein böses
Wort Lagardes, der die Betonung des historischen Faktums in der Religion
"jüdisches Gift" nennt. Er betrachtet sich mit seinen Bestrebungen zur Gründung
einer neuen Religion als Vertreter des Germanentums in seinem Rassenkampf
mit dem Semitismus. Ihren letzten Quell hat diese Abneigung gegen die
Geschichte in dem Ausgang des Drews-Hartmannschen Philosophierens von dem
blöden, vernunftlosen Urwillen, der die geschichtliche Bewegung anfängt und in


Der religiöse Hintergrund der Drewsschcn „Lhristnsmythe"

Fesseln los, indem er die seinem Wesen unangemessene Form des Daseins in
diejenige des Bewußtseins umwandelt und dieses Bewußtsein dazu benutzt, die
Freiheit vom Dasein zu erlangen.

Hiermit glaubt Drews der christlichen Idee vom erlösenden Gottmenschen
ins Herz geschaut und das Mysterium des Kreuzes enthüllt zu haben: Gott
wird Mensch und leidet als Mensch mit den Menschen, um die Menschheit zu
erlösen. Nämlich jenes innere Selbst des Menschen, das zugleich Mensch und
Gott ist, erscheint als der ideelle Mittler zwischen Mensch und Gott. „Gott
selbst trägt in innerer Gestalt das Leid der Welt; er nimmt die Schuld der
endlichen Geister auf sich; er wandelt, gefesselt von den Bedingungen der Natur,
in knechtischer Erniedrigung den Passionsweg der Erlösung und läßt sich an das
Kreuz des Daseins schlagen um der menschheitlicher und der Welterlösung
willen, die auch zugleich seine eigene Erlösung einschließt." Hier haben wir
den Grund seiner Empörung über die Bemühungen der liberalen Theologie,
die Erlösung auf einen bloßen, in der Geschichte empirisch gegebenen Menschen
zu basieren, aus dessen Bilde die Spuren des altkirchlichen Gottmenschen sorg¬
fältig ausgetilgt sind. Er empfindet den Zauber, den das Leiden Christi als
des Gottmenschen auf alle tieferen Naturen ausübt, und weist auf den frommen
Schauder hin, den es noch immer, selbst in stumpfen und ungläubigen Naturen,
hervorruft. Hierin sieht er die Stärke des Christentums und spottet über die
„Weiterentwicklung des Christentums", die den Gedanken des leidenden Gott¬
menschen ausschalten will. „Man muß schon weit in der modernen Erdfreudigkeit
und Gleichgültigkeit gegen alle metaphysische Ausdeutung des Seins gelangt fein,
um ein Christentum ohne leidenden Gott noch als Christentum, ja überhaupt
als Religion ansehen zu können."

Wir verstehen aber auch von hier aus erst die Abneigung des Philosophen
gegen jede Einmischung der Geschichte in das religiöse Verhältnis. Jeder Mensch
erlöst sich selbst, indem er einkehrt in sein eigenes Innerstes, was soll ihm da
ein historisch gewordener Erlöser? Der Mensch findet Gott unmittelbar in sich,
was soll ihm ein Mittler? „Man verfehlt das Wesen der Religion durchaus,
wenn man in die Auffassung jenes Verhältnisses außerseelische, historische
Beziehungen einmengt, ja die Möglichkeit jenes Verhältnisses wohl gar abhängig
macht von dem Glauben an wirkliche, sogenannte geschichtliche Tatsachen."

Das Bemühen Hegels, Geschichte und Spekulation unmittelbar in eins zu
schauen, lehnt Drews deshalb, trotz der inneren Verwandtschaft seiner Philosophie
mit der Hegels, rundweg ab. Ja, er zitiert mit innerer Zustimmung ein böses
Wort Lagardes, der die Betonung des historischen Faktums in der Religion
„jüdisches Gift" nennt. Er betrachtet sich mit seinen Bestrebungen zur Gründung
einer neuen Religion als Vertreter des Germanentums in seinem Rassenkampf
mit dem Semitismus. Ihren letzten Quell hat diese Abneigung gegen die
Geschichte in dem Ausgang des Drews-Hartmannschen Philosophierens von dem
blöden, vernunftlosen Urwillen, der die geschichtliche Bewegung anfängt und in


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[0582] Der religiöse Hintergrund der Drewsschcn „Lhristnsmythe" Fesseln los, indem er die seinem Wesen unangemessene Form des Daseins in diejenige des Bewußtseins umwandelt und dieses Bewußtsein dazu benutzt, die Freiheit vom Dasein zu erlangen. Hiermit glaubt Drews der christlichen Idee vom erlösenden Gottmenschen ins Herz geschaut und das Mysterium des Kreuzes enthüllt zu haben: Gott wird Mensch und leidet als Mensch mit den Menschen, um die Menschheit zu erlösen. Nämlich jenes innere Selbst des Menschen, das zugleich Mensch und Gott ist, erscheint als der ideelle Mittler zwischen Mensch und Gott. „Gott selbst trägt in innerer Gestalt das Leid der Welt; er nimmt die Schuld der endlichen Geister auf sich; er wandelt, gefesselt von den Bedingungen der Natur, in knechtischer Erniedrigung den Passionsweg der Erlösung und läßt sich an das Kreuz des Daseins schlagen um der menschheitlicher und der Welterlösung willen, die auch zugleich seine eigene Erlösung einschließt." Hier haben wir den Grund seiner Empörung über die Bemühungen der liberalen Theologie, die Erlösung auf einen bloßen, in der Geschichte empirisch gegebenen Menschen zu basieren, aus dessen Bilde die Spuren des altkirchlichen Gottmenschen sorg¬ fältig ausgetilgt sind. Er empfindet den Zauber, den das Leiden Christi als des Gottmenschen auf alle tieferen Naturen ausübt, und weist auf den frommen Schauder hin, den es noch immer, selbst in stumpfen und ungläubigen Naturen, hervorruft. Hierin sieht er die Stärke des Christentums und spottet über die „Weiterentwicklung des Christentums", die den Gedanken des leidenden Gott¬ menschen ausschalten will. „Man muß schon weit in der modernen Erdfreudigkeit und Gleichgültigkeit gegen alle metaphysische Ausdeutung des Seins gelangt fein, um ein Christentum ohne leidenden Gott noch als Christentum, ja überhaupt als Religion ansehen zu können." Wir verstehen aber auch von hier aus erst die Abneigung des Philosophen gegen jede Einmischung der Geschichte in das religiöse Verhältnis. Jeder Mensch erlöst sich selbst, indem er einkehrt in sein eigenes Innerstes, was soll ihm da ein historisch gewordener Erlöser? Der Mensch findet Gott unmittelbar in sich, was soll ihm ein Mittler? „Man verfehlt das Wesen der Religion durchaus, wenn man in die Auffassung jenes Verhältnisses außerseelische, historische Beziehungen einmengt, ja die Möglichkeit jenes Verhältnisses wohl gar abhängig macht von dem Glauben an wirkliche, sogenannte geschichtliche Tatsachen." Das Bemühen Hegels, Geschichte und Spekulation unmittelbar in eins zu schauen, lehnt Drews deshalb, trotz der inneren Verwandtschaft seiner Philosophie mit der Hegels, rundweg ab. Ja, er zitiert mit innerer Zustimmung ein böses Wort Lagardes, der die Betonung des historischen Faktums in der Religion „jüdisches Gift" nennt. Er betrachtet sich mit seinen Bestrebungen zur Gründung einer neuen Religion als Vertreter des Germanentums in seinem Rassenkampf mit dem Semitismus. Ihren letzten Quell hat diese Abneigung gegen die Geschichte in dem Ausgang des Drews-Hartmannschen Philosophierens von dem blöden, vernunftlosen Urwillen, der die geschichtliche Bewegung anfängt und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/582>, abgerufen am 24.07.2024.