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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der religiöse Hintergrund der Drewsschen "(Lhristusmythe

oder ist ihm dies bloß angedichtet? War er ein Musterbild aller Tugenden,
oder hat er im Zorn ungerechte Worte gegen die Pharisäer und Reichen geredet?
Hegte er heimliche Pläne, mit dem Schwerte in der Hand eine Empörung zu
veranstalten, oder trug er nur Friedensgedanken? Kann man die Ungeduld
nicht verstehen, die das Ende dieses endlosen Streites nicht abwarten will? Was
nützt ein Retter, von dem man nicht recht weiß, der selbst vielleicht nicht einmal
recht wußte, was er wollte.

Bis zur Leugnung der historischen Existenz Jesu ist Drews in der genannten
Schrift noch nicht vorgeschritten; doch nennt er es schon ein widersinniges und
notwendig vergebliches Bemühen des liberalen Protestantismus, dem Menschen
Jesus noch eine zentrale und prinzipielle Stellung innerhalb des religiösen
Bewußtseins verschaffen zu wollen. Die Religion ist ein direktes, innerliches,
persönliches Verhältnis zu Gott, und hierzu vermag der Mensch als solcher nichts
beizutragen. "Der Glaube an Jesu menschliche Persönlichkeit ist und bleibt im
besten Falle ein toter, bestenfalls von ästhetischem, aber keineswegs von religiösem
Wert." Der Jesuskultus des modern protestantischen Liberalismus ist ihm hier¬
nach in religiöser Beziehung ebenso viel wert wie der moderne Goethekultus.
Nur phrasenhafte Schönrednerei sei es, die den Mangel an spekulativem Gehalt
verdecken solle, wenn dieser moderne Jesuskultus von Jesu als lebendigem
Gnadenspender, als Mittler und erlösenden Heiland spreche. Nicht Jesus der
Mensch, möge man ihm auch alle möglichen idealen Züge andichten, hat die
Herzen bezwungen und den: Christentum den Sieg über die alte Welt verschafft,
sondern Christus, der leidende, der an das Kreuz geschlagene Gottheiland.

Der historische Jesus des Liberalismus ist ihm ein zu enger und unsicherer
Grund, als daß das religiöse Gemüt darauf baue für Zeit und Ewigkeit. Aber
anstatt, wie später, zur Bekämpfung der historischen Existenz Jesu, schreitet er
hier zu der nicht minder bedeutsamen, ja noch unendlich tiefer greifenden und
wahrscheinlich auch sein geschichtswissenschaftliches Fiasko überdauernden These,
Religion dürfe überhaupt nicht auf Geschichte gegründet werden. Welches ist
nun der sichere, unerschütterliche Grund, aus den Drews die Religion zu bauen
und so vor allen Erschütterungen zu sichern hofft? Es ist die in allen Zeiten
sich gleich bleibende vernünftige Menschennatur. Nur eine Auffassung des
religiösen Verhältnisses, die unmittelbar in der eigenen Natur des Menschen
wurzelt und auf vernünftigem Wege zu begründen ist, besitzt die denkbar größte
Überzeugungskraft und kann von den Schwankungen und Wandlungen der
wissenschaftlichen Erkenntnis nicht getroffen werden. Nur die logische Notwendigkeit
ist imstande, die Gewißheit des religiösen Verhältnisses zu garantieren, und diese
ist in der Geschichte nicht zu finden. Schon im Motto seiner Schrift beruft sich
Drews auf das Wort Fichtes: "Nicht das Historische, sondern das Metaphysische
macht selig".

Was ist die Religion, die ihm als ein Wert über alle Werte gilt, nun
nach Drews? Sie ist das Mittel, durch das der Mensch seiner Bedrängtheit


Der religiöse Hintergrund der Drewsschen „(Lhristusmythe

oder ist ihm dies bloß angedichtet? War er ein Musterbild aller Tugenden,
oder hat er im Zorn ungerechte Worte gegen die Pharisäer und Reichen geredet?
Hegte er heimliche Pläne, mit dem Schwerte in der Hand eine Empörung zu
veranstalten, oder trug er nur Friedensgedanken? Kann man die Ungeduld
nicht verstehen, die das Ende dieses endlosen Streites nicht abwarten will? Was
nützt ein Retter, von dem man nicht recht weiß, der selbst vielleicht nicht einmal
recht wußte, was er wollte.

Bis zur Leugnung der historischen Existenz Jesu ist Drews in der genannten
Schrift noch nicht vorgeschritten; doch nennt er es schon ein widersinniges und
notwendig vergebliches Bemühen des liberalen Protestantismus, dem Menschen
Jesus noch eine zentrale und prinzipielle Stellung innerhalb des religiösen
Bewußtseins verschaffen zu wollen. Die Religion ist ein direktes, innerliches,
persönliches Verhältnis zu Gott, und hierzu vermag der Mensch als solcher nichts
beizutragen. „Der Glaube an Jesu menschliche Persönlichkeit ist und bleibt im
besten Falle ein toter, bestenfalls von ästhetischem, aber keineswegs von religiösem
Wert." Der Jesuskultus des modern protestantischen Liberalismus ist ihm hier¬
nach in religiöser Beziehung ebenso viel wert wie der moderne Goethekultus.
Nur phrasenhafte Schönrednerei sei es, die den Mangel an spekulativem Gehalt
verdecken solle, wenn dieser moderne Jesuskultus von Jesu als lebendigem
Gnadenspender, als Mittler und erlösenden Heiland spreche. Nicht Jesus der
Mensch, möge man ihm auch alle möglichen idealen Züge andichten, hat die
Herzen bezwungen und den: Christentum den Sieg über die alte Welt verschafft,
sondern Christus, der leidende, der an das Kreuz geschlagene Gottheiland.

Der historische Jesus des Liberalismus ist ihm ein zu enger und unsicherer
Grund, als daß das religiöse Gemüt darauf baue für Zeit und Ewigkeit. Aber
anstatt, wie später, zur Bekämpfung der historischen Existenz Jesu, schreitet er
hier zu der nicht minder bedeutsamen, ja noch unendlich tiefer greifenden und
wahrscheinlich auch sein geschichtswissenschaftliches Fiasko überdauernden These,
Religion dürfe überhaupt nicht auf Geschichte gegründet werden. Welches ist
nun der sichere, unerschütterliche Grund, aus den Drews die Religion zu bauen
und so vor allen Erschütterungen zu sichern hofft? Es ist die in allen Zeiten
sich gleich bleibende vernünftige Menschennatur. Nur eine Auffassung des
religiösen Verhältnisses, die unmittelbar in der eigenen Natur des Menschen
wurzelt und auf vernünftigem Wege zu begründen ist, besitzt die denkbar größte
Überzeugungskraft und kann von den Schwankungen und Wandlungen der
wissenschaftlichen Erkenntnis nicht getroffen werden. Nur die logische Notwendigkeit
ist imstande, die Gewißheit des religiösen Verhältnisses zu garantieren, und diese
ist in der Geschichte nicht zu finden. Schon im Motto seiner Schrift beruft sich
Drews auf das Wort Fichtes: „Nicht das Historische, sondern das Metaphysische
macht selig".

Was ist die Religion, die ihm als ein Wert über alle Werte gilt, nun
nach Drews? Sie ist das Mittel, durch das der Mensch seiner Bedrängtheit


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[0580] Der religiöse Hintergrund der Drewsschen „(Lhristusmythe oder ist ihm dies bloß angedichtet? War er ein Musterbild aller Tugenden, oder hat er im Zorn ungerechte Worte gegen die Pharisäer und Reichen geredet? Hegte er heimliche Pläne, mit dem Schwerte in der Hand eine Empörung zu veranstalten, oder trug er nur Friedensgedanken? Kann man die Ungeduld nicht verstehen, die das Ende dieses endlosen Streites nicht abwarten will? Was nützt ein Retter, von dem man nicht recht weiß, der selbst vielleicht nicht einmal recht wußte, was er wollte. Bis zur Leugnung der historischen Existenz Jesu ist Drews in der genannten Schrift noch nicht vorgeschritten; doch nennt er es schon ein widersinniges und notwendig vergebliches Bemühen des liberalen Protestantismus, dem Menschen Jesus noch eine zentrale und prinzipielle Stellung innerhalb des religiösen Bewußtseins verschaffen zu wollen. Die Religion ist ein direktes, innerliches, persönliches Verhältnis zu Gott, und hierzu vermag der Mensch als solcher nichts beizutragen. „Der Glaube an Jesu menschliche Persönlichkeit ist und bleibt im besten Falle ein toter, bestenfalls von ästhetischem, aber keineswegs von religiösem Wert." Der Jesuskultus des modern protestantischen Liberalismus ist ihm hier¬ nach in religiöser Beziehung ebenso viel wert wie der moderne Goethekultus. Nur phrasenhafte Schönrednerei sei es, die den Mangel an spekulativem Gehalt verdecken solle, wenn dieser moderne Jesuskultus von Jesu als lebendigem Gnadenspender, als Mittler und erlösenden Heiland spreche. Nicht Jesus der Mensch, möge man ihm auch alle möglichen idealen Züge andichten, hat die Herzen bezwungen und den: Christentum den Sieg über die alte Welt verschafft, sondern Christus, der leidende, der an das Kreuz geschlagene Gottheiland. Der historische Jesus des Liberalismus ist ihm ein zu enger und unsicherer Grund, als daß das religiöse Gemüt darauf baue für Zeit und Ewigkeit. Aber anstatt, wie später, zur Bekämpfung der historischen Existenz Jesu, schreitet er hier zu der nicht minder bedeutsamen, ja noch unendlich tiefer greifenden und wahrscheinlich auch sein geschichtswissenschaftliches Fiasko überdauernden These, Religion dürfe überhaupt nicht auf Geschichte gegründet werden. Welches ist nun der sichere, unerschütterliche Grund, aus den Drews die Religion zu bauen und so vor allen Erschütterungen zu sichern hofft? Es ist die in allen Zeiten sich gleich bleibende vernünftige Menschennatur. Nur eine Auffassung des religiösen Verhältnisses, die unmittelbar in der eigenen Natur des Menschen wurzelt und auf vernünftigem Wege zu begründen ist, besitzt die denkbar größte Überzeugungskraft und kann von den Schwankungen und Wandlungen der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht getroffen werden. Nur die logische Notwendigkeit ist imstande, die Gewißheit des religiösen Verhältnisses zu garantieren, und diese ist in der Geschichte nicht zu finden. Schon im Motto seiner Schrift beruft sich Drews auf das Wort Fichtes: „Nicht das Historische, sondern das Metaphysische macht selig". Was ist die Religion, die ihm als ein Wert über alle Werte gilt, nun nach Drews? Sie ist das Mittel, durch das der Mensch seiner Bedrängtheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/580>, abgerufen am 24.07.2024.