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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der religiöse Hintergrund der Drewsschen "Lhristusmythe"

Der religiöse Hintergrund der Drewsschen
"älhristusmythe" Aonsistoricilrat Lie. Dr. Simon von

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V^ö^I?dannen nud Bestürzung erregte es in den weitesten Kreisen unseres
Volkes, als der Karlsruher Philosophieprofessor Arthur Drews
sin seiner Schrift "Die Christusmnthe" und in Vortrügen durch
das ganze Land hin mit der Behauptung in die Öffentlichkeit trat,
^ Jesus vou Nazareth sei überhaupt keine geschichtliche Person.
Viele ergriff ein Empfinden, als ob der feste Boden unter ihren Füßen wanke,
und eine Bewegung entstand, wie sie ein Erdbeben auslöst. Die einen flüchteten
sich in die wankenden Heiligtümer mit um so innigerer Inbrunst, andere, die
nichts zu verlieren hatten, freuten sich des erwarteten Schauspiels der Zerstörung
und gedachten gerade jetzt ihren Vorteil zu finden.

Es war in der Tat eine namenlose Verwegenheit, zu behaupten, die Person,
nach der wir die Jahre der Geschichte zählen, habe überhaupt in der Geschichte
nicht gelebt, und die größte geistige Bewegung, welche die Welt je gesehen, ja
die noch heute ihre Kraft nicht eingebüßt hat, habe in Irrtum und Phantasie
ihren Quell, und jetzt, nach fast zweitausend Jahren, sei die Zeit gekommen,
dem Christentum das rechte Licht über seinen Ursprung und sein Wesen anzu¬
zünden. Es ist aber den Vertretern der historischen Theologie verhältnismäßig
leicht geworden, dem Philosophen Drews nachzuweisen, daß er sich mit seinen
Versuchen der Geschichtskonstruktion auf ein wissenschaftliches Gebiet begeben hat,
dessen Material und Methoden er nicht beherrscht, daß er mit zügelloser Willkür
und ohne das rechte Organ historischen Verständnisses mit den vorhandenen
Quellen verfährt und daß vor allem seine Annahme einer Anbetung eines
jüdischen Sektenheros namens Jesus schon in der vorchristlichen Zeit ein reines
Phantasiegebilde ist.

Indes, die Wurzel seines Widerspruchs gegen den historischen Jesus liegt
tiefer, liegt nicht in seinen geschichtlichen Studien mit ihrer Oberflächlichkeit. Seine
Gegner dürfen nicht glauben, diesen Gegensatz entkräftet zu haben, wenn sie den
rasch emporgeschossenen Baum seiner luftigen Phantasie mit leichter Hand knickten.
Seine Kampfstellung entspringt einer tiefen und ehrlichen Begeisterung für
religiöse Werte. Keineswegs gedenkt er die Religion preiszugeben oder zu
schädigen, vielmehr glaubt er ihr Schützer zu sein. Klar hat er das auch in
seiner "Christusmythe", besonders in ihrem Schlußkapitel "Das religiöse Problem
der Gegenwart", betont. Doch in der Kürze, in der es dort geschieht, und als
Nachhall zu den schrillen Tönen der Negation, von denen dies Buch erfüllt ist,
ist seine Position wohl meist nicht verstanden und gewürdigt worden. Um ihm
ins Herz zu schauen, müssen wir eines seiner früheren Bücher, "Religion als


Der religiöse Hintergrund der Drewsschen „Lhristusmythe"

Der religiöse Hintergrund der Drewsschen
„älhristusmythe" Aonsistoricilrat Lie. Dr. Simon von

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V^ö^I?dannen nud Bestürzung erregte es in den weitesten Kreisen unseres
Volkes, als der Karlsruher Philosophieprofessor Arthur Drews
sin seiner Schrift „Die Christusmnthe" und in Vortrügen durch
das ganze Land hin mit der Behauptung in die Öffentlichkeit trat,
^ Jesus vou Nazareth sei überhaupt keine geschichtliche Person.
Viele ergriff ein Empfinden, als ob der feste Boden unter ihren Füßen wanke,
und eine Bewegung entstand, wie sie ein Erdbeben auslöst. Die einen flüchteten
sich in die wankenden Heiligtümer mit um so innigerer Inbrunst, andere, die
nichts zu verlieren hatten, freuten sich des erwarteten Schauspiels der Zerstörung
und gedachten gerade jetzt ihren Vorteil zu finden.

Es war in der Tat eine namenlose Verwegenheit, zu behaupten, die Person,
nach der wir die Jahre der Geschichte zählen, habe überhaupt in der Geschichte
nicht gelebt, und die größte geistige Bewegung, welche die Welt je gesehen, ja
die noch heute ihre Kraft nicht eingebüßt hat, habe in Irrtum und Phantasie
ihren Quell, und jetzt, nach fast zweitausend Jahren, sei die Zeit gekommen,
dem Christentum das rechte Licht über seinen Ursprung und sein Wesen anzu¬
zünden. Es ist aber den Vertretern der historischen Theologie verhältnismäßig
leicht geworden, dem Philosophen Drews nachzuweisen, daß er sich mit seinen
Versuchen der Geschichtskonstruktion auf ein wissenschaftliches Gebiet begeben hat,
dessen Material und Methoden er nicht beherrscht, daß er mit zügelloser Willkür
und ohne das rechte Organ historischen Verständnisses mit den vorhandenen
Quellen verfährt und daß vor allem seine Annahme einer Anbetung eines
jüdischen Sektenheros namens Jesus schon in der vorchristlichen Zeit ein reines
Phantasiegebilde ist.

Indes, die Wurzel seines Widerspruchs gegen den historischen Jesus liegt
tiefer, liegt nicht in seinen geschichtlichen Studien mit ihrer Oberflächlichkeit. Seine
Gegner dürfen nicht glauben, diesen Gegensatz entkräftet zu haben, wenn sie den
rasch emporgeschossenen Baum seiner luftigen Phantasie mit leichter Hand knickten.
Seine Kampfstellung entspringt einer tiefen und ehrlichen Begeisterung für
religiöse Werte. Keineswegs gedenkt er die Religion preiszugeben oder zu
schädigen, vielmehr glaubt er ihr Schützer zu sein. Klar hat er das auch in
seiner „Christusmythe", besonders in ihrem Schlußkapitel „Das religiöse Problem
der Gegenwart", betont. Doch in der Kürze, in der es dort geschieht, und als
Nachhall zu den schrillen Tönen der Negation, von denen dies Buch erfüllt ist,
ist seine Position wohl meist nicht verstanden und gewürdigt worden. Um ihm
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[0578] Der religiöse Hintergrund der Drewsschen „Lhristusmythe" Der religiöse Hintergrund der Drewsschen „älhristusmythe" Aonsistoricilrat Lie. Dr. Simon von KMM^ MO /WAM? V^ö^I?dannen nud Bestürzung erregte es in den weitesten Kreisen unseres Volkes, als der Karlsruher Philosophieprofessor Arthur Drews sin seiner Schrift „Die Christusmnthe" und in Vortrügen durch das ganze Land hin mit der Behauptung in die Öffentlichkeit trat, ^ Jesus vou Nazareth sei überhaupt keine geschichtliche Person. Viele ergriff ein Empfinden, als ob der feste Boden unter ihren Füßen wanke, und eine Bewegung entstand, wie sie ein Erdbeben auslöst. Die einen flüchteten sich in die wankenden Heiligtümer mit um so innigerer Inbrunst, andere, die nichts zu verlieren hatten, freuten sich des erwarteten Schauspiels der Zerstörung und gedachten gerade jetzt ihren Vorteil zu finden. Es war in der Tat eine namenlose Verwegenheit, zu behaupten, die Person, nach der wir die Jahre der Geschichte zählen, habe überhaupt in der Geschichte nicht gelebt, und die größte geistige Bewegung, welche die Welt je gesehen, ja die noch heute ihre Kraft nicht eingebüßt hat, habe in Irrtum und Phantasie ihren Quell, und jetzt, nach fast zweitausend Jahren, sei die Zeit gekommen, dem Christentum das rechte Licht über seinen Ursprung und sein Wesen anzu¬ zünden. Es ist aber den Vertretern der historischen Theologie verhältnismäßig leicht geworden, dem Philosophen Drews nachzuweisen, daß er sich mit seinen Versuchen der Geschichtskonstruktion auf ein wissenschaftliches Gebiet begeben hat, dessen Material und Methoden er nicht beherrscht, daß er mit zügelloser Willkür und ohne das rechte Organ historischen Verständnisses mit den vorhandenen Quellen verfährt und daß vor allem seine Annahme einer Anbetung eines jüdischen Sektenheros namens Jesus schon in der vorchristlichen Zeit ein reines Phantasiegebilde ist. Indes, die Wurzel seines Widerspruchs gegen den historischen Jesus liegt tiefer, liegt nicht in seinen geschichtlichen Studien mit ihrer Oberflächlichkeit. Seine Gegner dürfen nicht glauben, diesen Gegensatz entkräftet zu haben, wenn sie den rasch emporgeschossenen Baum seiner luftigen Phantasie mit leichter Hand knickten. Seine Kampfstellung entspringt einer tiefen und ehrlichen Begeisterung für religiöse Werte. Keineswegs gedenkt er die Religion preiszugeben oder zu schädigen, vielmehr glaubt er ihr Schützer zu sein. Klar hat er das auch in seiner „Christusmythe", besonders in ihrem Schlußkapitel „Das religiöse Problem der Gegenwart", betont. Doch in der Kürze, in der es dort geschieht, und als Nachhall zu den schrillen Tönen der Negation, von denen dies Buch erfüllt ist, ist seine Position wohl meist nicht verstanden und gewürdigt worden. Um ihm ins Herz zu schauen, müssen wir eines seiner früheren Bücher, „Religion als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/578>, abgerufen am 24.07.2024.