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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Wertherzeit

Hoepfner an Nicolai:

Gießen, den 24. April 1773.

Nächstens werden Sie -- vielleicht wissen Sie es schon -- das Ver¬
gnügen haben, meinen Freund Merck von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
Er reiset den 6. Mai von Darmstadt nach Berlin Wer Leipzigs ab und wird
die Korrespondenz der Frau Landgräfin auf der Reise snach Petersburgs
führen. Sie werden an ihm einen Mann kennen lernen, der wahren Genius
hat und mir recht geben, wenn ich glauben darf, auf seine Freundschaft stolz
sein zu dürfen. .. . Den Götz von Berlichingen haben Sie doch schon gelesen.
Ich wünschte, daß Sie den Verfasser persönlich kennten, ein Mensch, der bey
seinem wahren Genius der beste, gutherzigste, liebenswürdigste Sterbliche ist.
Auf seine und Mercks Freundschaft bin ich stolz.




Deinet an Nicolai:

Frankfurt, am 20. Dezember 1773.

Mich soll's Wunder nehmen, wie und mit welchem 8uccös Götz mit
der eisernen Hand wird aufgeführt worden seyn. Können Sie eine gute
Parthey davon brauchen? Er schwitzt bey mir unter der Presse Auflage,
erschien Anfang 1774^>. Wer die Originale verschiedner Charactere in dem
Stücke kennt, die zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und noch leben, bewundert
das Genie des Verfassers um so mehr, weil dem ungeachtet alles zusammen¬
paßt. Wer sieht unter Martin nicht den ehrlichen Luther, und wem ist das
Schicksal eines papia8 in Wetzlar unbekannt, das den Fratzen itzt ungemein
zu statten kommt. Die Lehrbücher der Religion werden ja über einen andern
Leisten geschlagen, warum sollte sich das Aristoteles nicht müssen gefallen
lassen. Man lasse die Köpfe aufbrausen. Zuletzt bleiben doch die Alten die
Gewährsmänner. Jetzt heißt es, schicke Dich in die Zeit.




Petersen an Nicolai:

Darmstadt, den 23. Oktober 1774.

... Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt seyn wird, daß der Verfasser der
Lustspiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater (1774 hier in Darmstadt
gedruckt) ^von Nicolais Hand: Ja. Ich weiß es! Aber fangen diese Herren
nicht an, in ihren Grillen zu weit zu gehen?^, und des Hofmeister, ein Lust¬
spiel (Leipzig 1774) Herr Lenz (aus Kurland, Hofmeister bey einem Edel¬
mann in Straßburg) ist. Eben dieser wird nächstens ein ähnliches Sriick
liefern: Menoza. Vielleicht ist es schon in der letzten Messe erschienen.

Darmstadt, den 6. November 1774.

... Die Leiden des jungen Werthers sind aus der Feder des Herrn
l). Göthe in Frankfurt. Es ist die Geschichte des jüngeren Jerusalem, der
sich, wie Ihnen bekannt seyn wird, in Wetzlar vor etlichen Jahren selbst
entleibt hat. -- Wie man sagt, so arbeitet Göthe an einem neuen Schau¬
spiel: Doctor Faust.




Aus Briefen der Wertherzeit

Hoepfner an Nicolai:

Gießen, den 24. April 1773.

Nächstens werden Sie — vielleicht wissen Sie es schon — das Ver¬
gnügen haben, meinen Freund Merck von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
Er reiset den 6. Mai von Darmstadt nach Berlin Wer Leipzigs ab und wird
die Korrespondenz der Frau Landgräfin auf der Reise snach Petersburgs
führen. Sie werden an ihm einen Mann kennen lernen, der wahren Genius
hat und mir recht geben, wenn ich glauben darf, auf seine Freundschaft stolz
sein zu dürfen. .. . Den Götz von Berlichingen haben Sie doch schon gelesen.
Ich wünschte, daß Sie den Verfasser persönlich kennten, ein Mensch, der bey
seinem wahren Genius der beste, gutherzigste, liebenswürdigste Sterbliche ist.
Auf seine und Mercks Freundschaft bin ich stolz.




Deinet an Nicolai:

Frankfurt, am 20. Dezember 1773.

Mich soll's Wunder nehmen, wie und mit welchem 8uccös Götz mit
der eisernen Hand wird aufgeführt worden seyn. Können Sie eine gute
Parthey davon brauchen? Er schwitzt bey mir unter der Presse Auflage,
erschien Anfang 1774^>. Wer die Originale verschiedner Charactere in dem
Stücke kennt, die zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und noch leben, bewundert
das Genie des Verfassers um so mehr, weil dem ungeachtet alles zusammen¬
paßt. Wer sieht unter Martin nicht den ehrlichen Luther, und wem ist das
Schicksal eines papia8 in Wetzlar unbekannt, das den Fratzen itzt ungemein
zu statten kommt. Die Lehrbücher der Religion werden ja über einen andern
Leisten geschlagen, warum sollte sich das Aristoteles nicht müssen gefallen
lassen. Man lasse die Köpfe aufbrausen. Zuletzt bleiben doch die Alten die
Gewährsmänner. Jetzt heißt es, schicke Dich in die Zeit.




Petersen an Nicolai:

Darmstadt, den 23. Oktober 1774.

... Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt seyn wird, daß der Verfasser der
Lustspiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater (1774 hier in Darmstadt
gedruckt) ^von Nicolais Hand: Ja. Ich weiß es! Aber fangen diese Herren
nicht an, in ihren Grillen zu weit zu gehen?^, und des Hofmeister, ein Lust¬
spiel (Leipzig 1774) Herr Lenz (aus Kurland, Hofmeister bey einem Edel¬
mann in Straßburg) ist. Eben dieser wird nächstens ein ähnliches Sriick
liefern: Menoza. Vielleicht ist es schon in der letzten Messe erschienen.

Darmstadt, den 6. November 1774.

... Die Leiden des jungen Werthers sind aus der Feder des Herrn
l). Göthe in Frankfurt. Es ist die Geschichte des jüngeren Jerusalem, der
sich, wie Ihnen bekannt seyn wird, in Wetzlar vor etlichen Jahren selbst
entleibt hat. — Wie man sagt, so arbeitet Göthe an einem neuen Schau¬
spiel: Doctor Faust.




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[0572] Aus Briefen der Wertherzeit Hoepfner an Nicolai: Gießen, den 24. April 1773. Nächstens werden Sie — vielleicht wissen Sie es schon — das Ver¬ gnügen haben, meinen Freund Merck von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Er reiset den 6. Mai von Darmstadt nach Berlin Wer Leipzigs ab und wird die Korrespondenz der Frau Landgräfin auf der Reise snach Petersburgs führen. Sie werden an ihm einen Mann kennen lernen, der wahren Genius hat und mir recht geben, wenn ich glauben darf, auf seine Freundschaft stolz sein zu dürfen. .. . Den Götz von Berlichingen haben Sie doch schon gelesen. Ich wünschte, daß Sie den Verfasser persönlich kennten, ein Mensch, der bey seinem wahren Genius der beste, gutherzigste, liebenswürdigste Sterbliche ist. Auf seine und Mercks Freundschaft bin ich stolz. Deinet an Nicolai: Frankfurt, am 20. Dezember 1773. Mich soll's Wunder nehmen, wie und mit welchem 8uccös Götz mit der eisernen Hand wird aufgeführt worden seyn. Können Sie eine gute Parthey davon brauchen? Er schwitzt bey mir unter der Presse Auflage, erschien Anfang 1774^>. Wer die Originale verschiedner Charactere in dem Stücke kennt, die zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und noch leben, bewundert das Genie des Verfassers um so mehr, weil dem ungeachtet alles zusammen¬ paßt. Wer sieht unter Martin nicht den ehrlichen Luther, und wem ist das Schicksal eines papia8 in Wetzlar unbekannt, das den Fratzen itzt ungemein zu statten kommt. Die Lehrbücher der Religion werden ja über einen andern Leisten geschlagen, warum sollte sich das Aristoteles nicht müssen gefallen lassen. Man lasse die Köpfe aufbrausen. Zuletzt bleiben doch die Alten die Gewährsmänner. Jetzt heißt es, schicke Dich in die Zeit. Petersen an Nicolai: Darmstadt, den 23. Oktober 1774. ... Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt seyn wird, daß der Verfasser der Lustspiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater (1774 hier in Darmstadt gedruckt) ^von Nicolais Hand: Ja. Ich weiß es! Aber fangen diese Herren nicht an, in ihren Grillen zu weit zu gehen?^, und des Hofmeister, ein Lust¬ spiel (Leipzig 1774) Herr Lenz (aus Kurland, Hofmeister bey einem Edel¬ mann in Straßburg) ist. Eben dieser wird nächstens ein ähnliches Sriick liefern: Menoza. Vielleicht ist es schon in der letzten Messe erschienen. Darmstadt, den 6. November 1774. ... Die Leiden des jungen Werthers sind aus der Feder des Herrn l). Göthe in Frankfurt. Es ist die Geschichte des jüngeren Jerusalem, der sich, wie Ihnen bekannt seyn wird, in Wetzlar vor etlichen Jahren selbst entleibt hat. — Wie man sagt, so arbeitet Göthe an einem neuen Schau¬ spiel: Doctor Faust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/572>, abgerufen am 29.12.2024.