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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

wie sie sich uns nach Äußerungen der Kreuzzeitung und Deutschen Tageszeitung
darstellt. Zusammen mit der Kölnischen Volkszeitung bezeichnen sie die den
deutschen und Geschichtsunterricht betreffenden Ausführungen des Minister¬
präsidenten als "eine sachliche Abweichung von dem auch seitens des Kultus¬
ministers in der Kommission dargelegten Standpunkt... Da sich die konservative
Fraktion durch ihren Redner nur dem Standpunkte des Kultusministers
angeschlossen hatte, so liegt hier zum mindesten eine offene Frage vor, deren
Aufrollung unseres Erachtens besser unterblieben wäre, und zu der die kon¬
servative Fraktion sich ihre Stellung jedenfalls wird mindestens vorbehalten
müssen." Danach scheint die deutsch konservative Partei auch in nationalen
Fragen einen Weg abseits von der Nation wählen zu wollen. Wen die Götter
vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit!


Verfassungsfragsn

Die neueste Wendung im elsaß-lothringischen Verfassungskmnpf -- Dus Übergewicht
Preußens in? Bundesrate.

Die elsaß-lothringische Verfassungsangelegenheit ist seit dem
9. d. M. wieder in die betreffende Kommission des Reichstags zurückgekehrt und
scheint damit in den von der Regierung gewünschten Weg eingelenkt zu sein.
Auch die neueste Fassung der beiden wichtigsten Paragraphen vermag unsere
Bedenken gegen die ganze Vorlage nicht zu zerstreuen. Die Vossische Zeitung
spricht uns aus dem Herzen, wenn sie schreibt: "Der Vorschlag der verbündeten
Regierungen ist ein Triumph des Mißtrauens gegen Preußen... Es wird
erlaubt sein, daß vierzig Jahre nach dem Frankfurter Frieden dieser Vorgang
in manchen Kreisen als peinlich und demütigend empfunden wird. Traurig,
daß vierzig Jahre nicht ausgereicht haben, ein Mißtrauen gegen Preußen
zu beseitigen, wie es überall bei den Verhandlungen über die Verfassung Elsaß-
Lothringens hervortritt!" Das freisinnige Blatt.befindet sich mit solchen Auf¬
fassungen in der Gesellschaft der gesamten konservativen und einem Teil der
uationalliberalen Presse. Wir fürchten, daß die neu geschaffenen Kautelen um
so weniger hinreichen werden, die Entwicklung der Reichslande zu einem selb¬
ständigen Bundesstaate aufzuhalten, je mehr wir bei der Zentralregierung das
Bestreben beobachten müssen, allen Wünschen partikularer Art entgegenzukommen.

Ein bekannter Historiker schreibt uns zu der angeschnittenen Frage:

In außerpreußischen deutschen Blättern pflegt man die Verleihung des
Stimmrechts an das Reichsland, wo der Kaiser reichsverfassungsmäßig die
landesherrliche Gewalt ausübt, von dem Standpunkte aus zu bemängeln, daß
dadurch das Übergewicht Preußens im Bundesrate verstärkt werde.
Daraus stammt der Vorschlag, einen lebenslänglichen Statthalter nach Straßburg
zu setze", der unabhängig von Berlin wäre, also dem Kaiser sein verfassungs¬
mäßiges Recht zu nehmen. Es handelt sich dabei um drei Bundesratsstimmen,
also um einen an sich unbedeutenden Zuwachs der Gesamtzahl. Mit so geringen


Reichsspiegel

wie sie sich uns nach Äußerungen der Kreuzzeitung und Deutschen Tageszeitung
darstellt. Zusammen mit der Kölnischen Volkszeitung bezeichnen sie die den
deutschen und Geschichtsunterricht betreffenden Ausführungen des Minister¬
präsidenten als „eine sachliche Abweichung von dem auch seitens des Kultus¬
ministers in der Kommission dargelegten Standpunkt... Da sich die konservative
Fraktion durch ihren Redner nur dem Standpunkte des Kultusministers
angeschlossen hatte, so liegt hier zum mindesten eine offene Frage vor, deren
Aufrollung unseres Erachtens besser unterblieben wäre, und zu der die kon¬
servative Fraktion sich ihre Stellung jedenfalls wird mindestens vorbehalten
müssen." Danach scheint die deutsch konservative Partei auch in nationalen
Fragen einen Weg abseits von der Nation wählen zu wollen. Wen die Götter
vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit!


Verfassungsfragsn

Die neueste Wendung im elsaß-lothringischen Verfassungskmnpf — Dus Übergewicht
Preußens in? Bundesrate.

Die elsaß-lothringische Verfassungsangelegenheit ist seit dem
9. d. M. wieder in die betreffende Kommission des Reichstags zurückgekehrt und
scheint damit in den von der Regierung gewünschten Weg eingelenkt zu sein.
Auch die neueste Fassung der beiden wichtigsten Paragraphen vermag unsere
Bedenken gegen die ganze Vorlage nicht zu zerstreuen. Die Vossische Zeitung
spricht uns aus dem Herzen, wenn sie schreibt: „Der Vorschlag der verbündeten
Regierungen ist ein Triumph des Mißtrauens gegen Preußen... Es wird
erlaubt sein, daß vierzig Jahre nach dem Frankfurter Frieden dieser Vorgang
in manchen Kreisen als peinlich und demütigend empfunden wird. Traurig,
daß vierzig Jahre nicht ausgereicht haben, ein Mißtrauen gegen Preußen
zu beseitigen, wie es überall bei den Verhandlungen über die Verfassung Elsaß-
Lothringens hervortritt!" Das freisinnige Blatt.befindet sich mit solchen Auf¬
fassungen in der Gesellschaft der gesamten konservativen und einem Teil der
uationalliberalen Presse. Wir fürchten, daß die neu geschaffenen Kautelen um
so weniger hinreichen werden, die Entwicklung der Reichslande zu einem selb¬
ständigen Bundesstaate aufzuhalten, je mehr wir bei der Zentralregierung das
Bestreben beobachten müssen, allen Wünschen partikularer Art entgegenzukommen.

Ein bekannter Historiker schreibt uns zu der angeschnittenen Frage:

In außerpreußischen deutschen Blättern pflegt man die Verleihung des
Stimmrechts an das Reichsland, wo der Kaiser reichsverfassungsmäßig die
landesherrliche Gewalt ausübt, von dem Standpunkte aus zu bemängeln, daß
dadurch das Übergewicht Preußens im Bundesrate verstärkt werde.
Daraus stammt der Vorschlag, einen lebenslänglichen Statthalter nach Straßburg
zu setze», der unabhängig von Berlin wäre, also dem Kaiser sein verfassungs¬
mäßiges Recht zu nehmen. Es handelt sich dabei um drei Bundesratsstimmen,
also um einen an sich unbedeutenden Zuwachs der Gesamtzahl. Mit so geringen


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[0562] Reichsspiegel wie sie sich uns nach Äußerungen der Kreuzzeitung und Deutschen Tageszeitung darstellt. Zusammen mit der Kölnischen Volkszeitung bezeichnen sie die den deutschen und Geschichtsunterricht betreffenden Ausführungen des Minister¬ präsidenten als „eine sachliche Abweichung von dem auch seitens des Kultus¬ ministers in der Kommission dargelegten Standpunkt... Da sich die konservative Fraktion durch ihren Redner nur dem Standpunkte des Kultusministers angeschlossen hatte, so liegt hier zum mindesten eine offene Frage vor, deren Aufrollung unseres Erachtens besser unterblieben wäre, und zu der die kon¬ servative Fraktion sich ihre Stellung jedenfalls wird mindestens vorbehalten müssen." Danach scheint die deutsch konservative Partei auch in nationalen Fragen einen Weg abseits von der Nation wählen zu wollen. Wen die Götter vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit! Verfassungsfragsn Die neueste Wendung im elsaß-lothringischen Verfassungskmnpf — Dus Übergewicht Preußens in? Bundesrate. Die elsaß-lothringische Verfassungsangelegenheit ist seit dem 9. d. M. wieder in die betreffende Kommission des Reichstags zurückgekehrt und scheint damit in den von der Regierung gewünschten Weg eingelenkt zu sein. Auch die neueste Fassung der beiden wichtigsten Paragraphen vermag unsere Bedenken gegen die ganze Vorlage nicht zu zerstreuen. Die Vossische Zeitung spricht uns aus dem Herzen, wenn sie schreibt: „Der Vorschlag der verbündeten Regierungen ist ein Triumph des Mißtrauens gegen Preußen... Es wird erlaubt sein, daß vierzig Jahre nach dem Frankfurter Frieden dieser Vorgang in manchen Kreisen als peinlich und demütigend empfunden wird. Traurig, daß vierzig Jahre nicht ausgereicht haben, ein Mißtrauen gegen Preußen zu beseitigen, wie es überall bei den Verhandlungen über die Verfassung Elsaß- Lothringens hervortritt!" Das freisinnige Blatt.befindet sich mit solchen Auf¬ fassungen in der Gesellschaft der gesamten konservativen und einem Teil der uationalliberalen Presse. Wir fürchten, daß die neu geschaffenen Kautelen um so weniger hinreichen werden, die Entwicklung der Reichslande zu einem selb¬ ständigen Bundesstaate aufzuhalten, je mehr wir bei der Zentralregierung das Bestreben beobachten müssen, allen Wünschen partikularer Art entgegenzukommen. Ein bekannter Historiker schreibt uns zu der angeschnittenen Frage: In außerpreußischen deutschen Blättern pflegt man die Verleihung des Stimmrechts an das Reichsland, wo der Kaiser reichsverfassungsmäßig die landesherrliche Gewalt ausübt, von dem Standpunkte aus zu bemängeln, daß dadurch das Übergewicht Preußens im Bundesrate verstärkt werde. Daraus stammt der Vorschlag, einen lebenslänglichen Statthalter nach Straßburg zu setze», der unabhängig von Berlin wäre, also dem Kaiser sein verfassungs¬ mäßiges Recht zu nehmen. Es handelt sich dabei um drei Bundesratsstimmen, also um einen an sich unbedeutenden Zuwachs der Gesamtzahl. Mit so geringen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/562>, abgerufen am 24.07.2024.