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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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einen zuverlässigen Rückhalt in Berlin findet und daß die innerdeutsche Politik in
festen Händen liegt. Nicht von der Gesandtschaft oder der Persönlichkeit des Ge¬
sandten hängt in erster Linie ihre Bedeutung für die preußisch-vatikanischen Be¬
ziehungen ab, sondern von der Stellung der preußisch-deutschen Regierung zum
Ultramontanismus. Es ist kein Zufall,' daß das anspruchsvolle Vorgehen der
Kurie gerade dann einsetzte, als es klar ward, daß Bülows Kampfruf gegen
die ultramontane Zentrumspartei erfolglos blieb, als die deutschkonservative
Partei sich mit dem Zentrum gegen die übrigen nationalen Parteien verband
und als das Verhalten des Kaisers ebenso wie seines Kanzlers den Anschein
erweckte, als könne die Monarchie in Deutschland ohne enge Anlehnung an die
Zentrumspartei nicht recht weiter bestehen. Man wird aus dieser Beobachtung
heraus zu demselben Ergebnis wie der Herr Reichskanzler kommen: nicht war
die preußische Gesandtschaft beim päpstlichen Stuhl überflüssig, sondern die
Regierungspolitik in Berlin befand sich auf falscher Bahn.

Selbstverständlich hat Herr von Bethmann solch ein Eingeständnis nicht
offen ausgesprochen. Aber nachdem er unter besonderem Hinweis auf sein
Einverständnis mit dem Herrn Kultusminister gesagt hat, der "preußische Staat
wird sich in Zukunft gezwungen sehen, in der Regel darauf Verzicht zu leisten,
Geistlichen, welche den Antimodernisteneid geleistet haben, an Gymnasien Unter¬
richt, z. B. im Deutschen, in der Geschichte neu zu übertragen," durften wir
folgern, daß er sich von der bisherigen Ergebnislosigkeit seiner Politik gegen das
Zentrum und den Vatikan überzeugt hatte.

Leider ist in die freudigeZustimmung, die die Ausführungen des Herrn Minister¬
präsidenten allenthalben hervorgerufen haben, einWermutstrovfen gefallen; der amt¬
lich im Reichsanzeiger veröffentlichte Wortlaut der Rede stimmt nicht mit dem überein,
was Herr v. Bethmann selbst gesagt hat und worauf sich die ersten Äußerungen
der Presse stützten. Es heißt nun, der Kanzler sei vor der drohenden Haltung
zurückgewichen, die die deutschkonservative Partei ihm gegenüber eingenommen
hat. Die Worte "in der Regel" sind nachträglich in das Stenogramm der
Rede eingefügt worden. Naturgemäß geben solche Unklarheiten vielfach Ver¬
anlassung zu Mißtrauen und hindern zahlreiche loyal gesinnte Politiker, sich der
Leitung des Kanzlers rückhaltlos anzuvertrauen. Nur der Radikalismus gewinnt,
und das Berliner Tageblatt kann mit einen: gewissen Schein des Rechts von
einem "Scheingefecht" sprechen. Wir anderen aber werden in unserer
Auffassung bestärkt, daß ein politischer Sieg über den Ultramontanismus
vorläufig nnr im Wahlkampf herbeigeführt werden kann, daß wir nur dann auf
eine feste Haltung der Regierung rechnen können, wenn wir ihr eine starke, von
gleichen Zielen erfüllte Partei zur Seite stellen. Doch ist damit nnr vorübergehend
geholfen. Denn die nachhaltigen Siege wachsen auf dem Boden der Anschauungen,
mit denen das Volk von Jugend an aufwächst. Ein Blick in die ultramontane Presse
beweist uns. wie tief die vom Reichskanzler angedeutete Maßregel die Zentrumsherzen
erschüttert. Eigenartig und unverständlich ist die Haltung der Deutschkonservativen,


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einen zuverlässigen Rückhalt in Berlin findet und daß die innerdeutsche Politik in
festen Händen liegt. Nicht von der Gesandtschaft oder der Persönlichkeit des Ge¬
sandten hängt in erster Linie ihre Bedeutung für die preußisch-vatikanischen Be¬
ziehungen ab, sondern von der Stellung der preußisch-deutschen Regierung zum
Ultramontanismus. Es ist kein Zufall,' daß das anspruchsvolle Vorgehen der
Kurie gerade dann einsetzte, als es klar ward, daß Bülows Kampfruf gegen
die ultramontane Zentrumspartei erfolglos blieb, als die deutschkonservative
Partei sich mit dem Zentrum gegen die übrigen nationalen Parteien verband
und als das Verhalten des Kaisers ebenso wie seines Kanzlers den Anschein
erweckte, als könne die Monarchie in Deutschland ohne enge Anlehnung an die
Zentrumspartei nicht recht weiter bestehen. Man wird aus dieser Beobachtung
heraus zu demselben Ergebnis wie der Herr Reichskanzler kommen: nicht war
die preußische Gesandtschaft beim päpstlichen Stuhl überflüssig, sondern die
Regierungspolitik in Berlin befand sich auf falscher Bahn.

Selbstverständlich hat Herr von Bethmann solch ein Eingeständnis nicht
offen ausgesprochen. Aber nachdem er unter besonderem Hinweis auf sein
Einverständnis mit dem Herrn Kultusminister gesagt hat, der „preußische Staat
wird sich in Zukunft gezwungen sehen, in der Regel darauf Verzicht zu leisten,
Geistlichen, welche den Antimodernisteneid geleistet haben, an Gymnasien Unter¬
richt, z. B. im Deutschen, in der Geschichte neu zu übertragen," durften wir
folgern, daß er sich von der bisherigen Ergebnislosigkeit seiner Politik gegen das
Zentrum und den Vatikan überzeugt hatte.

Leider ist in die freudigeZustimmung, die die Ausführungen des Herrn Minister¬
präsidenten allenthalben hervorgerufen haben, einWermutstrovfen gefallen; der amt¬
lich im Reichsanzeiger veröffentlichte Wortlaut der Rede stimmt nicht mit dem überein,
was Herr v. Bethmann selbst gesagt hat und worauf sich die ersten Äußerungen
der Presse stützten. Es heißt nun, der Kanzler sei vor der drohenden Haltung
zurückgewichen, die die deutschkonservative Partei ihm gegenüber eingenommen
hat. Die Worte „in der Regel" sind nachträglich in das Stenogramm der
Rede eingefügt worden. Naturgemäß geben solche Unklarheiten vielfach Ver¬
anlassung zu Mißtrauen und hindern zahlreiche loyal gesinnte Politiker, sich der
Leitung des Kanzlers rückhaltlos anzuvertrauen. Nur der Radikalismus gewinnt,
und das Berliner Tageblatt kann mit einen: gewissen Schein des Rechts von
einem „Scheingefecht" sprechen. Wir anderen aber werden in unserer
Auffassung bestärkt, daß ein politischer Sieg über den Ultramontanismus
vorläufig nnr im Wahlkampf herbeigeführt werden kann, daß wir nur dann auf
eine feste Haltung der Regierung rechnen können, wenn wir ihr eine starke, von
gleichen Zielen erfüllte Partei zur Seite stellen. Doch ist damit nnr vorübergehend
geholfen. Denn die nachhaltigen Siege wachsen auf dem Boden der Anschauungen,
mit denen das Volk von Jugend an aufwächst. Ein Blick in die ultramontane Presse
beweist uns. wie tief die vom Reichskanzler angedeutete Maßregel die Zentrumsherzen
erschüttert. Eigenartig und unverständlich ist die Haltung der Deutschkonservativen,


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[0561] Rcichsspicgel einen zuverlässigen Rückhalt in Berlin findet und daß die innerdeutsche Politik in festen Händen liegt. Nicht von der Gesandtschaft oder der Persönlichkeit des Ge¬ sandten hängt in erster Linie ihre Bedeutung für die preußisch-vatikanischen Be¬ ziehungen ab, sondern von der Stellung der preußisch-deutschen Regierung zum Ultramontanismus. Es ist kein Zufall,' daß das anspruchsvolle Vorgehen der Kurie gerade dann einsetzte, als es klar ward, daß Bülows Kampfruf gegen die ultramontane Zentrumspartei erfolglos blieb, als die deutschkonservative Partei sich mit dem Zentrum gegen die übrigen nationalen Parteien verband und als das Verhalten des Kaisers ebenso wie seines Kanzlers den Anschein erweckte, als könne die Monarchie in Deutschland ohne enge Anlehnung an die Zentrumspartei nicht recht weiter bestehen. Man wird aus dieser Beobachtung heraus zu demselben Ergebnis wie der Herr Reichskanzler kommen: nicht war die preußische Gesandtschaft beim päpstlichen Stuhl überflüssig, sondern die Regierungspolitik in Berlin befand sich auf falscher Bahn. Selbstverständlich hat Herr von Bethmann solch ein Eingeständnis nicht offen ausgesprochen. Aber nachdem er unter besonderem Hinweis auf sein Einverständnis mit dem Herrn Kultusminister gesagt hat, der „preußische Staat wird sich in Zukunft gezwungen sehen, in der Regel darauf Verzicht zu leisten, Geistlichen, welche den Antimodernisteneid geleistet haben, an Gymnasien Unter¬ richt, z. B. im Deutschen, in der Geschichte neu zu übertragen," durften wir folgern, daß er sich von der bisherigen Ergebnislosigkeit seiner Politik gegen das Zentrum und den Vatikan überzeugt hatte. Leider ist in die freudigeZustimmung, die die Ausführungen des Herrn Minister¬ präsidenten allenthalben hervorgerufen haben, einWermutstrovfen gefallen; der amt¬ lich im Reichsanzeiger veröffentlichte Wortlaut der Rede stimmt nicht mit dem überein, was Herr v. Bethmann selbst gesagt hat und worauf sich die ersten Äußerungen der Presse stützten. Es heißt nun, der Kanzler sei vor der drohenden Haltung zurückgewichen, die die deutschkonservative Partei ihm gegenüber eingenommen hat. Die Worte „in der Regel" sind nachträglich in das Stenogramm der Rede eingefügt worden. Naturgemäß geben solche Unklarheiten vielfach Ver¬ anlassung zu Mißtrauen und hindern zahlreiche loyal gesinnte Politiker, sich der Leitung des Kanzlers rückhaltlos anzuvertrauen. Nur der Radikalismus gewinnt, und das Berliner Tageblatt kann mit einen: gewissen Schein des Rechts von einem „Scheingefecht" sprechen. Wir anderen aber werden in unserer Auffassung bestärkt, daß ein politischer Sieg über den Ultramontanismus vorläufig nnr im Wahlkampf herbeigeführt werden kann, daß wir nur dann auf eine feste Haltung der Regierung rechnen können, wenn wir ihr eine starke, von gleichen Zielen erfüllte Partei zur Seite stellen. Doch ist damit nnr vorübergehend geholfen. Denn die nachhaltigen Siege wachsen auf dem Boden der Anschauungen, mit denen das Volk von Jugend an aufwächst. Ein Blick in die ultramontane Presse beweist uns. wie tief die vom Reichskanzler angedeutete Maßregel die Zentrumsherzen erschüttert. Eigenartig und unverständlich ist die Haltung der Deutschkonservativen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/561>, abgerufen am 24.07.2024.