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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der rote Rausch

lichtern hing unter den Lauben, Höfen und Sälen des Schlosses; man saß Kopf
bei Kopf an rohen Tischen, den dunkelblickenden Wein vor sich und eine Schöne
um die Taille gefaßt; man scherzte, lachte, koste, summte ein frech anmutiges
Liedlein, oder man schwang im großen Saal das Tanzbein.

Jeannette, Marcellins Tochter, die seit dem Tode der Mutter die Lasten der
Wirtschaft trug, so leicht und graziös, als wär's nur ein Fruchtkörbchen, führte die
Aufsicht, hielt Ordnung und griff selbst wacker zu, so daß jeder Gast sich wie ein
König fühlte.

Jeanne hatte die Ohren voll Musik, voll Verse, voll Stündchenmelodie. Ihr
galten die Huldigungen. Gaston und seine Kameraden sangen zur Laute und
mußten Lieder improvisieren. Wem es nicht gelang, mußte Buße zahlen und
hatte zuni Schaden noch den Spott. Das Geld ward gemeinsam wieder vertan.
Gaston, frech und gewandt, zupfte die Saiten und begann mit Heller Stimme:

Aber er fand Reim und Pointe nicht dazu, wurde verlacht, mußte bezahlen-,
doch der Freund L6on nahm die Zeile auf, trat vor und sang:

Gaston, fiebernd, eine Scharte auszuwetzen, räusperte sich, trat Jeanne in
den Weg und begann:

Aber ein Dritter hatte die Gelegenheit schon erfaßt und improvisierte den
Trumpf darauf:

Doch rasch gefaßt, flocht Gaston einen neuen Reim, um die Braut und den
Bruder einzuschließen:

Da griff wieder Freund L6on 'bedeutsam ein:

Der verwachsene Richard verzerrte sein bleiches Gesicht zu einem künstlichen
Lächeln, er hätte gerne den Stein, der in seinen Garten flog, zurückgeworfen; aber
er besaß die Gabe des flinken Rennens nicht. Sein Geist war verschlossen, unruh-
sam und bohrend; dennoch vergaß er nie und gab die Antwort, wenn auch spät,
so doch gründlich. Er wird die Antwort geben, und wäre es nach einem Leben!

Nun fielen die Spott- und Scherzreden hageldicht.


Der rote Rausch

lichtern hing unter den Lauben, Höfen und Sälen des Schlosses; man saß Kopf
bei Kopf an rohen Tischen, den dunkelblickenden Wein vor sich und eine Schöne
um die Taille gefaßt; man scherzte, lachte, koste, summte ein frech anmutiges
Liedlein, oder man schwang im großen Saal das Tanzbein.

Jeannette, Marcellins Tochter, die seit dem Tode der Mutter die Lasten der
Wirtschaft trug, so leicht und graziös, als wär's nur ein Fruchtkörbchen, führte die
Aufsicht, hielt Ordnung und griff selbst wacker zu, so daß jeder Gast sich wie ein
König fühlte.

Jeanne hatte die Ohren voll Musik, voll Verse, voll Stündchenmelodie. Ihr
galten die Huldigungen. Gaston und seine Kameraden sangen zur Laute und
mußten Lieder improvisieren. Wem es nicht gelang, mußte Buße zahlen und
hatte zuni Schaden noch den Spott. Das Geld ward gemeinsam wieder vertan.
Gaston, frech und gewandt, zupfte die Saiten und begann mit Heller Stimme:

Aber er fand Reim und Pointe nicht dazu, wurde verlacht, mußte bezahlen-,
doch der Freund L6on nahm die Zeile auf, trat vor und sang:

Gaston, fiebernd, eine Scharte auszuwetzen, räusperte sich, trat Jeanne in
den Weg und begann:

Aber ein Dritter hatte die Gelegenheit schon erfaßt und improvisierte den
Trumpf darauf:

Doch rasch gefaßt, flocht Gaston einen neuen Reim, um die Braut und den
Bruder einzuschließen:

Da griff wieder Freund L6on 'bedeutsam ein:

Der verwachsene Richard verzerrte sein bleiches Gesicht zu einem künstlichen
Lächeln, er hätte gerne den Stein, der in seinen Garten flog, zurückgeworfen; aber
er besaß die Gabe des flinken Rennens nicht. Sein Geist war verschlossen, unruh-
sam und bohrend; dennoch vergaß er nie und gab die Antwort, wenn auch spät,
so doch gründlich. Er wird die Antwort geben, und wäre es nach einem Leben!

Nun fielen die Spott- und Scherzreden hageldicht.


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[0539] Der rote Rausch lichtern hing unter den Lauben, Höfen und Sälen des Schlosses; man saß Kopf bei Kopf an rohen Tischen, den dunkelblickenden Wein vor sich und eine Schöne um die Taille gefaßt; man scherzte, lachte, koste, summte ein frech anmutiges Liedlein, oder man schwang im großen Saal das Tanzbein. Jeannette, Marcellins Tochter, die seit dem Tode der Mutter die Lasten der Wirtschaft trug, so leicht und graziös, als wär's nur ein Fruchtkörbchen, führte die Aufsicht, hielt Ordnung und griff selbst wacker zu, so daß jeder Gast sich wie ein König fühlte. Jeanne hatte die Ohren voll Musik, voll Verse, voll Stündchenmelodie. Ihr galten die Huldigungen. Gaston und seine Kameraden sangen zur Laute und mußten Lieder improvisieren. Wem es nicht gelang, mußte Buße zahlen und hatte zuni Schaden noch den Spott. Das Geld ward gemeinsam wieder vertan. Gaston, frech und gewandt, zupfte die Saiten und begann mit Heller Stimme: Aber er fand Reim und Pointe nicht dazu, wurde verlacht, mußte bezahlen-, doch der Freund L6on nahm die Zeile auf, trat vor und sang: Gaston, fiebernd, eine Scharte auszuwetzen, räusperte sich, trat Jeanne in den Weg und begann: Aber ein Dritter hatte die Gelegenheit schon erfaßt und improvisierte den Trumpf darauf: Doch rasch gefaßt, flocht Gaston einen neuen Reim, um die Braut und den Bruder einzuschließen: Da griff wieder Freund L6on 'bedeutsam ein: Der verwachsene Richard verzerrte sein bleiches Gesicht zu einem künstlichen Lächeln, er hätte gerne den Stein, der in seinen Garten flog, zurückgeworfen; aber er besaß die Gabe des flinken Rennens nicht. Sein Geist war verschlossen, unruh- sam und bohrend; dennoch vergaß er nie und gab die Antwort, wenn auch spät, so doch gründlich. Er wird die Antwort geben, und wäre es nach einem Leben! Nun fielen die Spott- und Scherzreden hageldicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/539>, abgerufen am 24.07.2024.