Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Volksmärchen auf der Bühne

Italien trotz aller legiümistischen Bedenken zusammen. Die preußischen Siege
brachten 1866 den Italienern Venezien, die deutschen Siege 1870 öffnete ihnen
Rom. Volkstümliche Erhebungen haben den Feldzug nach Venezien nicht
begleitet, aber auch damals führte Garibaldi dichte Scharen von Freiwilligen
ins Feld, die selbst auf Th. v. Bernhardt einen günstigen Eindruck machten,
und, wie immer, zum guten Teil den gebildeten Ständen angehörten. Vollends
die Besetzung Roms war längst ein stürmischer Wunsch der Italiener. Schon
1862 hatte es Garibaldi nehmen wollen, 1867 taten die französischen Chassepots
gegen seine Rothemden bei Mendana (3. November) ihre ersten "Wunder",
und nach sedem wäre keine italienische Regierung imstande gewesen, dem
leidenschaftlichen Rufe: Koma capitale. Koma o morte! und dem Zorne gegen
die "Mörder von Mendana" zu widerstehen. Sie hatte nur die Wahl, ob sie
es selbst nehmen oder das der Aktionspartei überlassen wollte, und das durfte
sie nicht, wenn sie nicht ihre ganze Autorität aufs Spiel setzen und die Basis
ihres eigenen Daseins verleugnen wollte.

Der starke volkstümliche Einschlag in die italienische Einheitsbewegung hat
auch dem Staatsleben Italiens sein eigentümliches Gepräge aufgedrückt. Denn
das nationale Königtum beruht dort zu einem guten Teil auf der Volks¬
souveränität, deren Sieg in Deutschland die Ablehnung der Kaiserkrone durch
Friedrich Wilhelm den Vierten 1849 und die Neuordnung seit 1866 endgiltig
verhindert hat. Die Folge ist für Italien die Herrschaft des parlamentarischen
Systems. Das hat seine schweren Nachteile; aber die förmliche und feierliche
Anerkennung der Monarchie des Hauses Savoyen durch Volksabstimmungen
gibt ihm doch eine Festigkeit, die so leicht nicht zu erschüttern ist.




Volksmärchen auf der Vühne
Dr. Fritz Butte von

else schnurrt das Rädchen seine Wundermelodie von dem Rocken
des Märchenschatzes. Zutraulich lehnt sich der Lauschende über
die Schulter des erzählenden Mütterleins. Seine Phantasie selbst
spinnt mit an den: Faden und webt an dem silbernen Schleier.
Leise, dämmerig wogt vorüber bald wie ein fernes Lichtmeer,
bald wie ein Nebel die Poesie, zart wie ein Eisenocher, danach man nicht
greifen darf, soll die holde Gestalt nicht verrinnen.

Es ist sicher in gewisser Weise ein Gewaltakt, dies seltsam lose Gebilde,
das nur dem inneren Auge wahrhaft erstrahlt, unter das fatal grelle Licht der
Rampe zu bringen und seine bleichen Glieder der rücksichtslosen Kritik des
körperlichen Auges preiszugeben. Die einfache Übertragung des Volksmärchens


Volksmärchen auf der Bühne

Italien trotz aller legiümistischen Bedenken zusammen. Die preußischen Siege
brachten 1866 den Italienern Venezien, die deutschen Siege 1870 öffnete ihnen
Rom. Volkstümliche Erhebungen haben den Feldzug nach Venezien nicht
begleitet, aber auch damals führte Garibaldi dichte Scharen von Freiwilligen
ins Feld, die selbst auf Th. v. Bernhardt einen günstigen Eindruck machten,
und, wie immer, zum guten Teil den gebildeten Ständen angehörten. Vollends
die Besetzung Roms war längst ein stürmischer Wunsch der Italiener. Schon
1862 hatte es Garibaldi nehmen wollen, 1867 taten die französischen Chassepots
gegen seine Rothemden bei Mendana (3. November) ihre ersten „Wunder",
und nach sedem wäre keine italienische Regierung imstande gewesen, dem
leidenschaftlichen Rufe: Koma capitale. Koma o morte! und dem Zorne gegen
die „Mörder von Mendana" zu widerstehen. Sie hatte nur die Wahl, ob sie
es selbst nehmen oder das der Aktionspartei überlassen wollte, und das durfte
sie nicht, wenn sie nicht ihre ganze Autorität aufs Spiel setzen und die Basis
ihres eigenen Daseins verleugnen wollte.

Der starke volkstümliche Einschlag in die italienische Einheitsbewegung hat
auch dem Staatsleben Italiens sein eigentümliches Gepräge aufgedrückt. Denn
das nationale Königtum beruht dort zu einem guten Teil auf der Volks¬
souveränität, deren Sieg in Deutschland die Ablehnung der Kaiserkrone durch
Friedrich Wilhelm den Vierten 1849 und die Neuordnung seit 1866 endgiltig
verhindert hat. Die Folge ist für Italien die Herrschaft des parlamentarischen
Systems. Das hat seine schweren Nachteile; aber die förmliche und feierliche
Anerkennung der Monarchie des Hauses Savoyen durch Volksabstimmungen
gibt ihm doch eine Festigkeit, die so leicht nicht zu erschüttern ist.




Volksmärchen auf der Vühne
Dr. Fritz Butte von

else schnurrt das Rädchen seine Wundermelodie von dem Rocken
des Märchenschatzes. Zutraulich lehnt sich der Lauschende über
die Schulter des erzählenden Mütterleins. Seine Phantasie selbst
spinnt mit an den: Faden und webt an dem silbernen Schleier.
Leise, dämmerig wogt vorüber bald wie ein fernes Lichtmeer,
bald wie ein Nebel die Poesie, zart wie ein Eisenocher, danach man nicht
greifen darf, soll die holde Gestalt nicht verrinnen.

Es ist sicher in gewisser Weise ein Gewaltakt, dies seltsam lose Gebilde,
das nur dem inneren Auge wahrhaft erstrahlt, unter das fatal grelle Licht der
Rampe zu bringen und seine bleichen Glieder der rücksichtslosen Kritik des
körperlichen Auges preiszugeben. Die einfache Übertragung des Volksmärchens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318138"/>
          <fw type="header" place="top"> Volksmärchen auf der Bühne</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2354" prev="#ID_2353"> Italien trotz aller legiümistischen Bedenken zusammen. Die preußischen Siege<lb/>
brachten 1866 den Italienern Venezien, die deutschen Siege 1870 öffnete ihnen<lb/>
Rom. Volkstümliche Erhebungen haben den Feldzug nach Venezien nicht<lb/>
begleitet, aber auch damals führte Garibaldi dichte Scharen von Freiwilligen<lb/>
ins Feld, die selbst auf Th. v. Bernhardt einen günstigen Eindruck machten,<lb/>
und, wie immer, zum guten Teil den gebildeten Ständen angehörten. Vollends<lb/>
die Besetzung Roms war längst ein stürmischer Wunsch der Italiener. Schon<lb/>
1862 hatte es Garibaldi nehmen wollen, 1867 taten die französischen Chassepots<lb/>
gegen seine Rothemden bei Mendana (3. November) ihre ersten &#x201E;Wunder",<lb/>
und nach sedem wäre keine italienische Regierung imstande gewesen, dem<lb/>
leidenschaftlichen Rufe: Koma capitale. Koma o morte! und dem Zorne gegen<lb/>
die &#x201E;Mörder von Mendana" zu widerstehen. Sie hatte nur die Wahl, ob sie<lb/>
es selbst nehmen oder das der Aktionspartei überlassen wollte, und das durfte<lb/>
sie nicht, wenn sie nicht ihre ganze Autorität aufs Spiel setzen und die Basis<lb/>
ihres eigenen Daseins verleugnen wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2355"> Der starke volkstümliche Einschlag in die italienische Einheitsbewegung hat<lb/>
auch dem Staatsleben Italiens sein eigentümliches Gepräge aufgedrückt. Denn<lb/>
das nationale Königtum beruht dort zu einem guten Teil auf der Volks¬<lb/>
souveränität, deren Sieg in Deutschland die Ablehnung der Kaiserkrone durch<lb/>
Friedrich Wilhelm den Vierten 1849 und die Neuordnung seit 1866 endgiltig<lb/>
verhindert hat. Die Folge ist für Italien die Herrschaft des parlamentarischen<lb/>
Systems. Das hat seine schweren Nachteile; aber die förmliche und feierliche<lb/>
Anerkennung der Monarchie des Hauses Savoyen durch Volksabstimmungen<lb/>
gibt ihm doch eine Festigkeit, die so leicht nicht zu erschüttern ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Volksmärchen auf der Vühne<lb/><note type="byline"> Dr. Fritz Butte</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2356"> else schnurrt das Rädchen seine Wundermelodie von dem Rocken<lb/>
des Märchenschatzes. Zutraulich lehnt sich der Lauschende über<lb/>
die Schulter des erzählenden Mütterleins. Seine Phantasie selbst<lb/>
spinnt mit an den: Faden und webt an dem silbernen Schleier.<lb/>
Leise, dämmerig wogt vorüber bald wie ein fernes Lichtmeer,<lb/>
bald wie ein Nebel die Poesie, zart wie ein Eisenocher, danach man nicht<lb/>
greifen darf, soll die holde Gestalt nicht verrinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2357" next="#ID_2358"> Es ist sicher in gewisser Weise ein Gewaltakt, dies seltsam lose Gebilde,<lb/>
das nur dem inneren Auge wahrhaft erstrahlt, unter das fatal grelle Licht der<lb/>
Rampe zu bringen und seine bleichen Glieder der rücksichtslosen Kritik des<lb/>
körperlichen Auges preiszugeben. Die einfache Übertragung des Volksmärchens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] Volksmärchen auf der Bühne Italien trotz aller legiümistischen Bedenken zusammen. Die preußischen Siege brachten 1866 den Italienern Venezien, die deutschen Siege 1870 öffnete ihnen Rom. Volkstümliche Erhebungen haben den Feldzug nach Venezien nicht begleitet, aber auch damals führte Garibaldi dichte Scharen von Freiwilligen ins Feld, die selbst auf Th. v. Bernhardt einen günstigen Eindruck machten, und, wie immer, zum guten Teil den gebildeten Ständen angehörten. Vollends die Besetzung Roms war längst ein stürmischer Wunsch der Italiener. Schon 1862 hatte es Garibaldi nehmen wollen, 1867 taten die französischen Chassepots gegen seine Rothemden bei Mendana (3. November) ihre ersten „Wunder", und nach sedem wäre keine italienische Regierung imstande gewesen, dem leidenschaftlichen Rufe: Koma capitale. Koma o morte! und dem Zorne gegen die „Mörder von Mendana" zu widerstehen. Sie hatte nur die Wahl, ob sie es selbst nehmen oder das der Aktionspartei überlassen wollte, und das durfte sie nicht, wenn sie nicht ihre ganze Autorität aufs Spiel setzen und die Basis ihres eigenen Daseins verleugnen wollte. Der starke volkstümliche Einschlag in die italienische Einheitsbewegung hat auch dem Staatsleben Italiens sein eigentümliches Gepräge aufgedrückt. Denn das nationale Königtum beruht dort zu einem guten Teil auf der Volks¬ souveränität, deren Sieg in Deutschland die Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm den Vierten 1849 und die Neuordnung seit 1866 endgiltig verhindert hat. Die Folge ist für Italien die Herrschaft des parlamentarischen Systems. Das hat seine schweren Nachteile; aber die förmliche und feierliche Anerkennung der Monarchie des Hauses Savoyen durch Volksabstimmungen gibt ihm doch eine Festigkeit, die so leicht nicht zu erschüttern ist. Volksmärchen auf der Vühne Dr. Fritz Butte von else schnurrt das Rädchen seine Wundermelodie von dem Rocken des Märchenschatzes. Zutraulich lehnt sich der Lauschende über die Schulter des erzählenden Mütterleins. Seine Phantasie selbst spinnt mit an den: Faden und webt an dem silbernen Schleier. Leise, dämmerig wogt vorüber bald wie ein fernes Lichtmeer, bald wie ein Nebel die Poesie, zart wie ein Eisenocher, danach man nicht greifen darf, soll die holde Gestalt nicht verrinnen. Es ist sicher in gewisser Weise ein Gewaltakt, dies seltsam lose Gebilde, das nur dem inneren Auge wahrhaft erstrahlt, unter das fatal grelle Licht der Rampe zu bringen und seine bleichen Glieder der rücksichtslosen Kritik des körperlichen Auges preiszugeben. Die einfache Übertragung des Volksmärchens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/525>, abgerufen am 04.07.2024.