Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat

Aber noch mehr: Diese mittelitalienischen Gebiete bildeten die Basis für
das weitere Vorgehen nach dem Süden, als die Zeit gekommen war. Und sie
kam sehr bald. Denn Rom und Neapel plänkelt in Verbindung mit Österreich
einen Gegenschlag. Zuerst sollten die Piemontesen aus der Romagna hinaus¬
geworfen, dann der Kampf gegen die "Revolution" auf der ganzen Linie eröffnet
werden. Am 1. April 1870 übernahm der französische Legitimist Lamoriciere
den Oberbefehl über das aus Freiwilligen und Söldnern aller katholischen
Länder gebildete päpstliche Heer, und an der Grenze des Kirchenstaats sammelten
sich die Neapolitaner zum Vormarsche nach Norden. Zur Abwehr durch
entschlossenen Angriff wirkten wieder volkstümliche Bewegungen und die
piemontesische Regierung zusammen, doch hielt sich diese zunächst noch
zurück. Um den Aufständischen auf Sizilien zu Hilfe zu kommen, verließ
Garibaldi am 6. Mai den kleinen Hafen Quarto bei Genua mit seineu berühmten
Tausend Freiwilligen und landete am 11. Mai bei Marsala. Ein Idealist vom
reinsten Wasser, völlig uneigennützig, glühender Patriot und überzeugter
Republikaner, war er doch Realist genug, um sich praktisch der piemontesischen
Monarchie unterzuordnen, aber er blieb neben ihr eine Macht für sich und ein
Volksheld, wie es wenige gegeben hat. So brach das verrottete Königreich
Neapel unter den Erhebungen seines Volkes und der Beihilfe der bald scharen¬
weise aus dem Norden Italiens unter Garibaldis Fahnen strömenden Frei¬
willigen zusammen, und am 7. September zog er im jubelnden Neapel ein.
Aber hinter dem Volturno behaupteten -sich, auf das feste Gaeta gestützt, die
Neapolitaner. Das bewog Cavour, direkt einzugreifen, denn er konnte eine
Herrschaft der Aktionspartei in Neapel unter keinen Umständen zulassen. Mitte
September rückte Fauti im päpstlichen Umbrien, Cialdini in den Marken ein;
am 18. zersprengte dieser das päpstliche Heer bei Castelfidardo. Dann führte
König Viktor Emanuel seine Armee durch das Gebirge südwärts, kam dadurch
den Neapolitanern in den Rücken und zwang sie, auf Gaeta zurückzugehen. Es
war ein geschichtlicher Moment, als Garibaldi am 2. November bei Traro sein
Freiwilligenheer dem Monarchen vorführte und ihn als "König von Italien"
begrüßte. Damit unterwarf sich die nationale Demokratie der nationalen
Monarchie. Die Volksabstimmung in Neapel und Sizilien hatte sich schon an:
21. Oktober für den Anschluß an Piemont ausgesprochen.

Diese "Auferstehung" (n30l'Aimento) Italiens ist damals nur in England
mit Sympathie, sonst überall, und nicht zum wenigsten in Deutschland, mit herber
Kritik und mißgünstigen oder spöttischen Glossen, mit abweisender Haltung von den
Regierungen begleitet worden, die jahrelang die Anerkennung des Königreichs Italien
verweigerten; für den nationalen Idealismus der Italiener hatte man im Norden
der Alpen kein Verständnis, so wenig wie für die besonderen Verhältnisse Italiens,
und die österreichische Herrschaft in Oberitalien galt damals für ein deutsches
Nationalinteresse, was sie niemals gewesen ist. Und doch zwang wenige Jahre
später die Wucht der Verhältnisse und Bismarcks genialer Blick Preuße" und


Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat

Aber noch mehr: Diese mittelitalienischen Gebiete bildeten die Basis für
das weitere Vorgehen nach dem Süden, als die Zeit gekommen war. Und sie
kam sehr bald. Denn Rom und Neapel plänkelt in Verbindung mit Österreich
einen Gegenschlag. Zuerst sollten die Piemontesen aus der Romagna hinaus¬
geworfen, dann der Kampf gegen die „Revolution" auf der ganzen Linie eröffnet
werden. Am 1. April 1870 übernahm der französische Legitimist Lamoriciere
den Oberbefehl über das aus Freiwilligen und Söldnern aller katholischen
Länder gebildete päpstliche Heer, und an der Grenze des Kirchenstaats sammelten
sich die Neapolitaner zum Vormarsche nach Norden. Zur Abwehr durch
entschlossenen Angriff wirkten wieder volkstümliche Bewegungen und die
piemontesische Regierung zusammen, doch hielt sich diese zunächst noch
zurück. Um den Aufständischen auf Sizilien zu Hilfe zu kommen, verließ
Garibaldi am 6. Mai den kleinen Hafen Quarto bei Genua mit seineu berühmten
Tausend Freiwilligen und landete am 11. Mai bei Marsala. Ein Idealist vom
reinsten Wasser, völlig uneigennützig, glühender Patriot und überzeugter
Republikaner, war er doch Realist genug, um sich praktisch der piemontesischen
Monarchie unterzuordnen, aber er blieb neben ihr eine Macht für sich und ein
Volksheld, wie es wenige gegeben hat. So brach das verrottete Königreich
Neapel unter den Erhebungen seines Volkes und der Beihilfe der bald scharen¬
weise aus dem Norden Italiens unter Garibaldis Fahnen strömenden Frei¬
willigen zusammen, und am 7. September zog er im jubelnden Neapel ein.
Aber hinter dem Volturno behaupteten -sich, auf das feste Gaeta gestützt, die
Neapolitaner. Das bewog Cavour, direkt einzugreifen, denn er konnte eine
Herrschaft der Aktionspartei in Neapel unter keinen Umständen zulassen. Mitte
September rückte Fauti im päpstlichen Umbrien, Cialdini in den Marken ein;
am 18. zersprengte dieser das päpstliche Heer bei Castelfidardo. Dann führte
König Viktor Emanuel seine Armee durch das Gebirge südwärts, kam dadurch
den Neapolitanern in den Rücken und zwang sie, auf Gaeta zurückzugehen. Es
war ein geschichtlicher Moment, als Garibaldi am 2. November bei Traro sein
Freiwilligenheer dem Monarchen vorführte und ihn als „König von Italien"
begrüßte. Damit unterwarf sich die nationale Demokratie der nationalen
Monarchie. Die Volksabstimmung in Neapel und Sizilien hatte sich schon an:
21. Oktober für den Anschluß an Piemont ausgesprochen.

Diese „Auferstehung" (n30l'Aimento) Italiens ist damals nur in England
mit Sympathie, sonst überall, und nicht zum wenigsten in Deutschland, mit herber
Kritik und mißgünstigen oder spöttischen Glossen, mit abweisender Haltung von den
Regierungen begleitet worden, die jahrelang die Anerkennung des Königreichs Italien
verweigerten; für den nationalen Idealismus der Italiener hatte man im Norden
der Alpen kein Verständnis, so wenig wie für die besonderen Verhältnisse Italiens,
und die österreichische Herrschaft in Oberitalien galt damals für ein deutsches
Nationalinteresse, was sie niemals gewesen ist. Und doch zwang wenige Jahre
später die Wucht der Verhältnisse und Bismarcks genialer Blick Preuße» und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318137"/>
          <fw type="header" place="top"> Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2352"> Aber noch mehr: Diese mittelitalienischen Gebiete bildeten die Basis für<lb/>
das weitere Vorgehen nach dem Süden, als die Zeit gekommen war. Und sie<lb/>
kam sehr bald. Denn Rom und Neapel plänkelt in Verbindung mit Österreich<lb/>
einen Gegenschlag. Zuerst sollten die Piemontesen aus der Romagna hinaus¬<lb/>
geworfen, dann der Kampf gegen die &#x201E;Revolution" auf der ganzen Linie eröffnet<lb/>
werden. Am 1. April 1870 übernahm der französische Legitimist Lamoriciere<lb/>
den Oberbefehl über das aus Freiwilligen und Söldnern aller katholischen<lb/>
Länder gebildete päpstliche Heer, und an der Grenze des Kirchenstaats sammelten<lb/>
sich die Neapolitaner zum Vormarsche nach Norden. Zur Abwehr durch<lb/>
entschlossenen Angriff wirkten wieder volkstümliche Bewegungen und die<lb/>
piemontesische Regierung zusammen, doch hielt sich diese zunächst noch<lb/>
zurück. Um den Aufständischen auf Sizilien zu Hilfe zu kommen, verließ<lb/>
Garibaldi am 6. Mai den kleinen Hafen Quarto bei Genua mit seineu berühmten<lb/>
Tausend Freiwilligen und landete am 11. Mai bei Marsala. Ein Idealist vom<lb/>
reinsten Wasser, völlig uneigennützig, glühender Patriot und überzeugter<lb/>
Republikaner, war er doch Realist genug, um sich praktisch der piemontesischen<lb/>
Monarchie unterzuordnen, aber er blieb neben ihr eine Macht für sich und ein<lb/>
Volksheld, wie es wenige gegeben hat. So brach das verrottete Königreich<lb/>
Neapel unter den Erhebungen seines Volkes und der Beihilfe der bald scharen¬<lb/>
weise aus dem Norden Italiens unter Garibaldis Fahnen strömenden Frei¬<lb/>
willigen zusammen, und am 7. September zog er im jubelnden Neapel ein.<lb/>
Aber hinter dem Volturno behaupteten -sich, auf das feste Gaeta gestützt, die<lb/>
Neapolitaner. Das bewog Cavour, direkt einzugreifen, denn er konnte eine<lb/>
Herrschaft der Aktionspartei in Neapel unter keinen Umständen zulassen. Mitte<lb/>
September rückte Fauti im päpstlichen Umbrien, Cialdini in den Marken ein;<lb/>
am 18. zersprengte dieser das päpstliche Heer bei Castelfidardo. Dann führte<lb/>
König Viktor Emanuel seine Armee durch das Gebirge südwärts, kam dadurch<lb/>
den Neapolitanern in den Rücken und zwang sie, auf Gaeta zurückzugehen. Es<lb/>
war ein geschichtlicher Moment, als Garibaldi am 2. November bei Traro sein<lb/>
Freiwilligenheer dem Monarchen vorführte und ihn als &#x201E;König von Italien"<lb/>
begrüßte. Damit unterwarf sich die nationale Demokratie der nationalen<lb/>
Monarchie. Die Volksabstimmung in Neapel und Sizilien hatte sich schon an:<lb/>
21. Oktober für den Anschluß an Piemont ausgesprochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2353" next="#ID_2354"> Diese &#x201E;Auferstehung" (n30l'Aimento) Italiens ist damals nur in England<lb/>
mit Sympathie, sonst überall, und nicht zum wenigsten in Deutschland, mit herber<lb/>
Kritik und mißgünstigen oder spöttischen Glossen, mit abweisender Haltung von den<lb/>
Regierungen begleitet worden, die jahrelang die Anerkennung des Königreichs Italien<lb/>
verweigerten; für den nationalen Idealismus der Italiener hatte man im Norden<lb/>
der Alpen kein Verständnis, so wenig wie für die besonderen Verhältnisse Italiens,<lb/>
und die österreichische Herrschaft in Oberitalien galt damals für ein deutsches<lb/>
Nationalinteresse, was sie niemals gewesen ist. Und doch zwang wenige Jahre<lb/>
später die Wucht der Verhältnisse und Bismarcks genialer Blick Preuße» und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat Aber noch mehr: Diese mittelitalienischen Gebiete bildeten die Basis für das weitere Vorgehen nach dem Süden, als die Zeit gekommen war. Und sie kam sehr bald. Denn Rom und Neapel plänkelt in Verbindung mit Österreich einen Gegenschlag. Zuerst sollten die Piemontesen aus der Romagna hinaus¬ geworfen, dann der Kampf gegen die „Revolution" auf der ganzen Linie eröffnet werden. Am 1. April 1870 übernahm der französische Legitimist Lamoriciere den Oberbefehl über das aus Freiwilligen und Söldnern aller katholischen Länder gebildete päpstliche Heer, und an der Grenze des Kirchenstaats sammelten sich die Neapolitaner zum Vormarsche nach Norden. Zur Abwehr durch entschlossenen Angriff wirkten wieder volkstümliche Bewegungen und die piemontesische Regierung zusammen, doch hielt sich diese zunächst noch zurück. Um den Aufständischen auf Sizilien zu Hilfe zu kommen, verließ Garibaldi am 6. Mai den kleinen Hafen Quarto bei Genua mit seineu berühmten Tausend Freiwilligen und landete am 11. Mai bei Marsala. Ein Idealist vom reinsten Wasser, völlig uneigennützig, glühender Patriot und überzeugter Republikaner, war er doch Realist genug, um sich praktisch der piemontesischen Monarchie unterzuordnen, aber er blieb neben ihr eine Macht für sich und ein Volksheld, wie es wenige gegeben hat. So brach das verrottete Königreich Neapel unter den Erhebungen seines Volkes und der Beihilfe der bald scharen¬ weise aus dem Norden Italiens unter Garibaldis Fahnen strömenden Frei¬ willigen zusammen, und am 7. September zog er im jubelnden Neapel ein. Aber hinter dem Volturno behaupteten -sich, auf das feste Gaeta gestützt, die Neapolitaner. Das bewog Cavour, direkt einzugreifen, denn er konnte eine Herrschaft der Aktionspartei in Neapel unter keinen Umständen zulassen. Mitte September rückte Fauti im päpstlichen Umbrien, Cialdini in den Marken ein; am 18. zersprengte dieser das päpstliche Heer bei Castelfidardo. Dann führte König Viktor Emanuel seine Armee durch das Gebirge südwärts, kam dadurch den Neapolitanern in den Rücken und zwang sie, auf Gaeta zurückzugehen. Es war ein geschichtlicher Moment, als Garibaldi am 2. November bei Traro sein Freiwilligenheer dem Monarchen vorführte und ihn als „König von Italien" begrüßte. Damit unterwarf sich die nationale Demokratie der nationalen Monarchie. Die Volksabstimmung in Neapel und Sizilien hatte sich schon an: 21. Oktober für den Anschluß an Piemont ausgesprochen. Diese „Auferstehung" (n30l'Aimento) Italiens ist damals nur in England mit Sympathie, sonst überall, und nicht zum wenigsten in Deutschland, mit herber Kritik und mißgünstigen oder spöttischen Glossen, mit abweisender Haltung von den Regierungen begleitet worden, die jahrelang die Anerkennung des Königreichs Italien verweigerten; für den nationalen Idealismus der Italiener hatte man im Norden der Alpen kein Verständnis, so wenig wie für die besonderen Verhältnisse Italiens, und die österreichische Herrschaft in Oberitalien galt damals für ein deutsches Nationalinteresse, was sie niemals gewesen ist. Und doch zwang wenige Jahre später die Wucht der Verhältnisse und Bismarcks genialer Blick Preuße» und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/524>, abgerufen am 04.07.2024.