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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat

können, gab es nicht, dagegen die lebendige Erinnerung an das Napoleonische
Königreich Italien, das unter der grünweißroten Fahne wenigstens einen guten
Teil des Landes vereinigt und die nationalen Hoffnungen belebt hatte. In
Deutschland gründete die Großmacht Preußen die wirtschaftliche Einheit durch
den Zollverein und gab damit den Anstoß zu einem großartigen wirtschaftlichen
Aufschwünge, außerdem gingen bis 1848 alle deutschen Staaten, außer Mecklen¬
burg, zu konstitutionellen Verfassungen über und reformierten ihre Verwaltungen.
In Italien geschah nichts derart, die Staaten blieben durch Zollgrenzen geschieden
und wurden durchaus absolutistisch regiert, mit polizeilicher und kirchlicher Unter¬
drückung jeder Art von Freiheit. Die Verwaltung mochte in Lombards-Venezien
und Toskana befriedigend sein, wirtschaftlich aber blieb Italien vollends hinter
anderen Kulturländern weit zurück.

Trotz alledem stellte die Literatur in Vittorio Alfieri, Alessandro Manzoni,
GiuseppeGiusti nationaleJdeale auf, verlangte "Einheit,Freiheit,Unabhängigkeit".
Aber die gebildeten Kreise, die sie sich zu eigen machten, standen dem absoluten
Staate praktisch ganz fern und hatten keine Möglichkeit, gesetzlichen Einfluß
auszuüben; auch der Adel war unpolitisch und nicht dynastisch, außer in Piemont,
wo er eng mit dem Herrscherhause verbunden und durchaus militärisch war,
aber dem italienischen Geistesleben in seiner halb französischen Bildung fast fremd
blieb, und überall sonst war die gebildete Gesellschaft einseitig literarisch-
üsthetischen Interessen hingegeben. Das alles drängte die anschwellende nationale
Bewegung notwendig in radikale Bahnen, ja sie nahm bei dem Mangel jeder
Freiheit die Form von Geheimbünden und Verschwörungen an. Neben die
älteren Carbonari trat 1833 das "junge Italien" Giuseppe Mazzinis, der die
Födcrativrepublik erstrebte, und immer wieder zuckten die Flammen revolutionärer
Empörungen hervor. Sie wurden überall rasch, zuweilen mit fremder Hilfe
und mit größter Härte, unterdrückt, aber die Gesinnungen, die sie hervorgerufen,
blieben lebendig.

Nur allmählich und vereinzelt tauchten positivere Programme für eine
Umgestaltung Italiens auf. Antonio Rosmini und Vincenzo Giobcrti predigten
den monarchischen Staatenbund unter dem Papsttume, die beiden Piemontescr
Cesare Balbo und Massimo d'Azeglo den politischen Anschluß zunächst Ober-
italiens an Piemont und das Haus Savonen, an die geordneten Kräfte eines
Einzelstaats, und König Karl Albert stellte "sein Leben, das Leben seiner Söhne,
seine Waffen, seinen Schatz, sein Heer" der italienischen Sache zur Verfügung.
Es war ihm heiliger Ernst damit, aber das große Jahr 1848/49 begann mit
bewaffneten Volkserhebungen in Mailand, Venedig und Sizilien, und es gelang
War den Piemontesen, zunächst alle Staaten der Halbinsel zum Kampfe gegen
Österreich zu vereinigen, aber weder sie in diesem Kriege bei sich festzuhalten,
"och die Österreicher zu überwinden, noch auch die mazzinistische Demokratie zu
sich herüberzuziehen. Nach der Niederlage von Novara am 23. März 1849
^decke Karl Alberts Sohn und Nachfolger Viktor Emanuel der Zweite nur die


Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat

können, gab es nicht, dagegen die lebendige Erinnerung an das Napoleonische
Königreich Italien, das unter der grünweißroten Fahne wenigstens einen guten
Teil des Landes vereinigt und die nationalen Hoffnungen belebt hatte. In
Deutschland gründete die Großmacht Preußen die wirtschaftliche Einheit durch
den Zollverein und gab damit den Anstoß zu einem großartigen wirtschaftlichen
Aufschwünge, außerdem gingen bis 1848 alle deutschen Staaten, außer Mecklen¬
burg, zu konstitutionellen Verfassungen über und reformierten ihre Verwaltungen.
In Italien geschah nichts derart, die Staaten blieben durch Zollgrenzen geschieden
und wurden durchaus absolutistisch regiert, mit polizeilicher und kirchlicher Unter¬
drückung jeder Art von Freiheit. Die Verwaltung mochte in Lombards-Venezien
und Toskana befriedigend sein, wirtschaftlich aber blieb Italien vollends hinter
anderen Kulturländern weit zurück.

Trotz alledem stellte die Literatur in Vittorio Alfieri, Alessandro Manzoni,
GiuseppeGiusti nationaleJdeale auf, verlangte „Einheit,Freiheit,Unabhängigkeit".
Aber die gebildeten Kreise, die sie sich zu eigen machten, standen dem absoluten
Staate praktisch ganz fern und hatten keine Möglichkeit, gesetzlichen Einfluß
auszuüben; auch der Adel war unpolitisch und nicht dynastisch, außer in Piemont,
wo er eng mit dem Herrscherhause verbunden und durchaus militärisch war,
aber dem italienischen Geistesleben in seiner halb französischen Bildung fast fremd
blieb, und überall sonst war die gebildete Gesellschaft einseitig literarisch-
üsthetischen Interessen hingegeben. Das alles drängte die anschwellende nationale
Bewegung notwendig in radikale Bahnen, ja sie nahm bei dem Mangel jeder
Freiheit die Form von Geheimbünden und Verschwörungen an. Neben die
älteren Carbonari trat 1833 das „junge Italien" Giuseppe Mazzinis, der die
Födcrativrepublik erstrebte, und immer wieder zuckten die Flammen revolutionärer
Empörungen hervor. Sie wurden überall rasch, zuweilen mit fremder Hilfe
und mit größter Härte, unterdrückt, aber die Gesinnungen, die sie hervorgerufen,
blieben lebendig.

Nur allmählich und vereinzelt tauchten positivere Programme für eine
Umgestaltung Italiens auf. Antonio Rosmini und Vincenzo Giobcrti predigten
den monarchischen Staatenbund unter dem Papsttume, die beiden Piemontescr
Cesare Balbo und Massimo d'Azeglo den politischen Anschluß zunächst Ober-
italiens an Piemont und das Haus Savonen, an die geordneten Kräfte eines
Einzelstaats, und König Karl Albert stellte „sein Leben, das Leben seiner Söhne,
seine Waffen, seinen Schatz, sein Heer" der italienischen Sache zur Verfügung.
Es war ihm heiliger Ernst damit, aber das große Jahr 1848/49 begann mit
bewaffneten Volkserhebungen in Mailand, Venedig und Sizilien, und es gelang
War den Piemontesen, zunächst alle Staaten der Halbinsel zum Kampfe gegen
Österreich zu vereinigen, aber weder sie in diesem Kriege bei sich festzuhalten,
"och die Österreicher zu überwinden, noch auch die mazzinistische Demokratie zu
sich herüberzuziehen. Nach der Niederlage von Novara am 23. März 1849
^decke Karl Alberts Sohn und Nachfolger Viktor Emanuel der Zweite nur die


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[0521] Das italienische Volk und der italienische Nationalstaat können, gab es nicht, dagegen die lebendige Erinnerung an das Napoleonische Königreich Italien, das unter der grünweißroten Fahne wenigstens einen guten Teil des Landes vereinigt und die nationalen Hoffnungen belebt hatte. In Deutschland gründete die Großmacht Preußen die wirtschaftliche Einheit durch den Zollverein und gab damit den Anstoß zu einem großartigen wirtschaftlichen Aufschwünge, außerdem gingen bis 1848 alle deutschen Staaten, außer Mecklen¬ burg, zu konstitutionellen Verfassungen über und reformierten ihre Verwaltungen. In Italien geschah nichts derart, die Staaten blieben durch Zollgrenzen geschieden und wurden durchaus absolutistisch regiert, mit polizeilicher und kirchlicher Unter¬ drückung jeder Art von Freiheit. Die Verwaltung mochte in Lombards-Venezien und Toskana befriedigend sein, wirtschaftlich aber blieb Italien vollends hinter anderen Kulturländern weit zurück. Trotz alledem stellte die Literatur in Vittorio Alfieri, Alessandro Manzoni, GiuseppeGiusti nationaleJdeale auf, verlangte „Einheit,Freiheit,Unabhängigkeit". Aber die gebildeten Kreise, die sie sich zu eigen machten, standen dem absoluten Staate praktisch ganz fern und hatten keine Möglichkeit, gesetzlichen Einfluß auszuüben; auch der Adel war unpolitisch und nicht dynastisch, außer in Piemont, wo er eng mit dem Herrscherhause verbunden und durchaus militärisch war, aber dem italienischen Geistesleben in seiner halb französischen Bildung fast fremd blieb, und überall sonst war die gebildete Gesellschaft einseitig literarisch- üsthetischen Interessen hingegeben. Das alles drängte die anschwellende nationale Bewegung notwendig in radikale Bahnen, ja sie nahm bei dem Mangel jeder Freiheit die Form von Geheimbünden und Verschwörungen an. Neben die älteren Carbonari trat 1833 das „junge Italien" Giuseppe Mazzinis, der die Födcrativrepublik erstrebte, und immer wieder zuckten die Flammen revolutionärer Empörungen hervor. Sie wurden überall rasch, zuweilen mit fremder Hilfe und mit größter Härte, unterdrückt, aber die Gesinnungen, die sie hervorgerufen, blieben lebendig. Nur allmählich und vereinzelt tauchten positivere Programme für eine Umgestaltung Italiens auf. Antonio Rosmini und Vincenzo Giobcrti predigten den monarchischen Staatenbund unter dem Papsttume, die beiden Piemontescr Cesare Balbo und Massimo d'Azeglo den politischen Anschluß zunächst Ober- italiens an Piemont und das Haus Savonen, an die geordneten Kräfte eines Einzelstaats, und König Karl Albert stellte „sein Leben, das Leben seiner Söhne, seine Waffen, seinen Schatz, sein Heer" der italienischen Sache zur Verfügung. Es war ihm heiliger Ernst damit, aber das große Jahr 1848/49 begann mit bewaffneten Volkserhebungen in Mailand, Venedig und Sizilien, und es gelang War den Piemontesen, zunächst alle Staaten der Halbinsel zum Kampfe gegen Österreich zu vereinigen, aber weder sie in diesem Kriege bei sich festzuhalten, "och die Österreicher zu überwinden, noch auch die mazzinistische Demokratie zu sich herüberzuziehen. Nach der Niederlage von Novara am 23. März 1849 ^decke Karl Alberts Sohn und Nachfolger Viktor Emanuel der Zweite nur die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/521>, abgerufen am 24.07.2024.