Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel strengster Wahrung der Unantastbarbeit der kaiserlichen Kommandogewalt auch Die Konsequenzen dieser Tatsachen sind so groß und können so viel Unheil Reichsspiegel strengster Wahrung der Unantastbarbeit der kaiserlichen Kommandogewalt auch Die Konsequenzen dieser Tatsachen sind so groß und können so viel Unheil <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318127"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2324" prev="#ID_2323"> strengster Wahrung der Unantastbarbeit der kaiserlichen Kommandogewalt auch<lb/> die sozialen und ethischen Verhältnisse berücksichtigen, die eine vierzigjährige<lb/> Friedenszeit voll von Fortschritten auf allen Gebieten erzeugt hat. So sehr<lb/> unsere Heeresverwaltung zu dem Grundsatz angehalten wird, mit Kriegsmaterial,<lb/> Pferden und Bekleidung zu sparen, so wenig kümmern sich die nationalen Par¬<lb/> teien uni den Verbrauch an Menschenmaterial, besonders aber an Offizieren.<lb/> Wirtschaften aber heißt: mit den geringsten Mitteln die größten Ergebnisse<lb/> erzielen. Gegen diesen Grundsatz des Wirtschaftens verstößt unsere Heeres¬<lb/> verwaltung unleugbar, wenn der Herr Kriegsminister eingestehen muß, daß ihm<lb/> bei der Infanterie sechshundert Offiziere fehlen und daß das Offizierkorps<lb/> überaltert ist. Ins Militärtechnische übertragen bedeutet das soviel wie Mangel<lb/> an Unterführern und Untauglichkeit der höheren Führer. Wir leben<lb/> nicht in einer Zeit des Bevölkerungsrückganges oder am Ende einer Epoche<lb/> wirtschaftlicher Not, sondern umgekehrt mitten in einer langen Periode wirt¬<lb/> schaftlichen und kulturellen Aufschwunges. Somit hat auch nicht Mangel, sondern<lb/> falsches Wirtschaften den beklagenswerten Zustand geschaffen und es besteht die<lb/> Möglichkeit, ihn zu ändern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2325" next="#ID_2326"> Die Konsequenzen dieser Tatsachen sind so groß und können so viel Unheil<lb/> über unser Land bringen, daß es Pflicht der Presse wird, sich ihrer anzunehmen,<lb/> nachdem die Volksvertreter es nicht vermocht haben, die Initiative der Heeres¬<lb/> verwaltung zu befruchten. Denn wie groß in der Tat die Not der Armee ist, geht<lb/> am deutlichsten aus einer näheren Betrachtung der Beförderungsverhältnisse<lb/> bei der Infanterie hervor. Der Infanterie-Frontoffizier wird, wenn wir<lb/> das militärische Jahr 1910/11 zugrunde legen, mit 35 bis 36 Jahren, häufig<lb/> erst mit 38 Jahren Hauptmann, 46 bis 47 Jahren Major, 53 bis<lb/> 54 Jahren Oberstleutnant beim Stäbe, 56 bis 57 Jahren Oberst und<lb/> eventuell mit 59 bis 60 Jahren Generalmajor. — Die Beförderungs¬<lb/> verhältnisse sind bei den anderen Waffen bis zur Ernennung zum Major nicht<lb/> wesentlich anders. So sind z. B. noch nicht alle Feldartilleristen, die bis zum<lb/> 30. September 1894 Leutnant geworden sind, zu Hauptleuten aufgerückt, das<lb/> will sagen, es gibt auch bei der Feldartillerie Oberleutnants im Alter von<lb/> 36 bis 37 Jahren. Schon die Unmöglichkeit, in jüngeren Jahren in eine gewisse<lb/> selbständige Stellung zu kommen, dürfte Grund genug sein, daß der Zudrang<lb/> zur Offizierslaufbahu nicht Schritt gehalten hat mit unserer Volksvermehrung<lb/> und dem wachsenden Reichtum der Nation. Wenn aber bei der Infanterie<lb/> über sechshundert etatsmäßige Leutnantsstellen unbesetzt bleiben müssen, dann<lb/> sind daran die gegenüber den anderenWaffen ungünstigeren Besoldungsverhältnisse<lb/> schuld, die schon mit der Ernennung zum Major zutage treten. Der Infanterie-<lb/> Major bekommt das Gehalt dieser Charge nämlich gewöhnlich erst zwei Jahre<lb/> nach der Ernennung, während die Majore der anderen Waffen in das Gehalt<lb/> mit dem Tage der Ernennung oder spätestens im ersten Majorsjahre einrücken.<lb/> Entscheidend aber ist folgendes: Der Kavallerist wird in der Regel mit demi</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0514]
Reichsspiegel
strengster Wahrung der Unantastbarbeit der kaiserlichen Kommandogewalt auch
die sozialen und ethischen Verhältnisse berücksichtigen, die eine vierzigjährige
Friedenszeit voll von Fortschritten auf allen Gebieten erzeugt hat. So sehr
unsere Heeresverwaltung zu dem Grundsatz angehalten wird, mit Kriegsmaterial,
Pferden und Bekleidung zu sparen, so wenig kümmern sich die nationalen Par¬
teien uni den Verbrauch an Menschenmaterial, besonders aber an Offizieren.
Wirtschaften aber heißt: mit den geringsten Mitteln die größten Ergebnisse
erzielen. Gegen diesen Grundsatz des Wirtschaftens verstößt unsere Heeres¬
verwaltung unleugbar, wenn der Herr Kriegsminister eingestehen muß, daß ihm
bei der Infanterie sechshundert Offiziere fehlen und daß das Offizierkorps
überaltert ist. Ins Militärtechnische übertragen bedeutet das soviel wie Mangel
an Unterführern und Untauglichkeit der höheren Führer. Wir leben
nicht in einer Zeit des Bevölkerungsrückganges oder am Ende einer Epoche
wirtschaftlicher Not, sondern umgekehrt mitten in einer langen Periode wirt¬
schaftlichen und kulturellen Aufschwunges. Somit hat auch nicht Mangel, sondern
falsches Wirtschaften den beklagenswerten Zustand geschaffen und es besteht die
Möglichkeit, ihn zu ändern.
Die Konsequenzen dieser Tatsachen sind so groß und können so viel Unheil
über unser Land bringen, daß es Pflicht der Presse wird, sich ihrer anzunehmen,
nachdem die Volksvertreter es nicht vermocht haben, die Initiative der Heeres¬
verwaltung zu befruchten. Denn wie groß in der Tat die Not der Armee ist, geht
am deutlichsten aus einer näheren Betrachtung der Beförderungsverhältnisse
bei der Infanterie hervor. Der Infanterie-Frontoffizier wird, wenn wir
das militärische Jahr 1910/11 zugrunde legen, mit 35 bis 36 Jahren, häufig
erst mit 38 Jahren Hauptmann, 46 bis 47 Jahren Major, 53 bis
54 Jahren Oberstleutnant beim Stäbe, 56 bis 57 Jahren Oberst und
eventuell mit 59 bis 60 Jahren Generalmajor. — Die Beförderungs¬
verhältnisse sind bei den anderen Waffen bis zur Ernennung zum Major nicht
wesentlich anders. So sind z. B. noch nicht alle Feldartilleristen, die bis zum
30. September 1894 Leutnant geworden sind, zu Hauptleuten aufgerückt, das
will sagen, es gibt auch bei der Feldartillerie Oberleutnants im Alter von
36 bis 37 Jahren. Schon die Unmöglichkeit, in jüngeren Jahren in eine gewisse
selbständige Stellung zu kommen, dürfte Grund genug sein, daß der Zudrang
zur Offizierslaufbahu nicht Schritt gehalten hat mit unserer Volksvermehrung
und dem wachsenden Reichtum der Nation. Wenn aber bei der Infanterie
über sechshundert etatsmäßige Leutnantsstellen unbesetzt bleiben müssen, dann
sind daran die gegenüber den anderenWaffen ungünstigeren Besoldungsverhältnisse
schuld, die schon mit der Ernennung zum Major zutage treten. Der Infanterie-
Major bekommt das Gehalt dieser Charge nämlich gewöhnlich erst zwei Jahre
nach der Ernennung, während die Majore der anderen Waffen in das Gehalt
mit dem Tage der Ernennung oder spätestens im ersten Majorsjahre einrücken.
Entscheidend aber ist folgendes: Der Kavallerist wird in der Regel mit demi
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