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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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sie im Laufe des Rechnungsjahres 1915 die Zahl von 515321 Gemeinen,
Gefreiten und Obergefreiten erreicht. Ferner sind die neuen Zahlen für For¬
mationen festgesetzt, wie wir solches schon in Ur. 39 vom Jahre 1910
angegeben haben. Die Debatten im Plenum drehten sich wie immer nicht um
die Hauptsachen, sondern um kleinere und größere Wünsche der radikalen Par¬
teien, die mit deren öffentlicher Erörterung draußen im Lande Eindruck und
Beachtung zu erzielen wünschen. Alle ernsthaften Fragen haben bereits in der
Kommisston Erledigung gefunden, diesmal um so mehr, als die Vorlage, wie
Gans Edler Herr zu Putlitz durchaus zutreffend ausführte, in der Hauptsache
im Zeichen der technischen Vervollkommnung und des inneren Ausbaues steht.
Da können nur einige wenige mitsprechen, und diese wenigen wissen ganz
genau, daß die technische Ausbildung und Ausrüstung unserer Armee auch unter
dem gegenwärtigen Kriegsminister in den besten Händen liegt. Wenn ihm das
Scheitern der Reichsfinanzreform nicht die Hände bande, dann wäre er zweifellos
weniger bescheiden mit seinen Forderungen gewesen. Das Vertrauen der nationalen
Parteien in die Gewissenhaftigkeit unserer Militärverwaltung hat nun zur Folge,
daß sie ihr alle Initiative in allen Heeresfragen überlassen und sich in den
Kommissionen darauf beschränken, die finanziellen und wirtschaftlichen Seiten
des Heeresetats kennen zu lernen und sie den Bedürfnissen des außermilitärischen
Lebens so gut wie möglich anzupassen. Darüber hinaus aber geht die Initiative
nicht. Man fürchtet in den Bereich der kaiserlichen Kommandogewalt zu geraten
und wünscht alles das zu vermeiden, was die Disziplin irgendwie direkt oder
indirekt berühren könnte. Dies Verhalten ist um so mehr zu billigen, als im
Gegensatz hierzu von den Demokraten kein Mittel gescheut wird, um die Disziplin
zu untergraben und die Grenzen der kaiserlichen Kommandogewalt enger zu
ziehen. In dieser Vorsicht liegt aber ein gewisser Mangel, der in manchen
Fragen der Armee zu unbeabsichtigten Hemmungen führt. In den Frak¬
tionen der nationalen Parteien werden die technischen Heeresfragen meist von
früheren Offizieren bearbeitet, die, wie z. B. die Generale v. Schubert und
v. Liebert. Anspruch haben, als Autoritäten auf militärischem Gebiet zu gelten.
Solche Herren können aber nach ihrem ganzen Bildungsgange bis zum Aus¬
scheiden aus der Armee an die Heeressragen kaum anders als von Gesichts¬
punkten aus herantreten, wie sie im Kriegsministerium geläufig sind. Sie
wirken also in in ihrer Eigenschaft als Parlamentarier in den Verhandlungen
der Kommissionen nicht in dem Maße ergänzend, wie z. B. Vertreter privater
Verkehrsunternehmungen etwa dem Eisenbahnministerium gegenüber wirken
können. Darin aber liegt eine Schwäche. Denn dadurch verfolgen auch
die nationalen Parteien ausschließlich uur einen Gesichtspunkt: für die größt¬
mögliche Kriegsbereitschaft das beste Material und die besten technischen Mittel
zu beschaffen. Dieser Zustand erscheint ja im allgemeinen recht zufrieden¬
stellend; aber er hat auch seine Nachteile, die nicht verschwiegen werden dürfen.
Durch ihn fehlen den Parteien jene ergänzenden Gesichtspunkte, die unter


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sie im Laufe des Rechnungsjahres 1915 die Zahl von 515321 Gemeinen,
Gefreiten und Obergefreiten erreicht. Ferner sind die neuen Zahlen für For¬
mationen festgesetzt, wie wir solches schon in Ur. 39 vom Jahre 1910
angegeben haben. Die Debatten im Plenum drehten sich wie immer nicht um
die Hauptsachen, sondern um kleinere und größere Wünsche der radikalen Par¬
teien, die mit deren öffentlicher Erörterung draußen im Lande Eindruck und
Beachtung zu erzielen wünschen. Alle ernsthaften Fragen haben bereits in der
Kommisston Erledigung gefunden, diesmal um so mehr, als die Vorlage, wie
Gans Edler Herr zu Putlitz durchaus zutreffend ausführte, in der Hauptsache
im Zeichen der technischen Vervollkommnung und des inneren Ausbaues steht.
Da können nur einige wenige mitsprechen, und diese wenigen wissen ganz
genau, daß die technische Ausbildung und Ausrüstung unserer Armee auch unter
dem gegenwärtigen Kriegsminister in den besten Händen liegt. Wenn ihm das
Scheitern der Reichsfinanzreform nicht die Hände bande, dann wäre er zweifellos
weniger bescheiden mit seinen Forderungen gewesen. Das Vertrauen der nationalen
Parteien in die Gewissenhaftigkeit unserer Militärverwaltung hat nun zur Folge,
daß sie ihr alle Initiative in allen Heeresfragen überlassen und sich in den
Kommissionen darauf beschränken, die finanziellen und wirtschaftlichen Seiten
des Heeresetats kennen zu lernen und sie den Bedürfnissen des außermilitärischen
Lebens so gut wie möglich anzupassen. Darüber hinaus aber geht die Initiative
nicht. Man fürchtet in den Bereich der kaiserlichen Kommandogewalt zu geraten
und wünscht alles das zu vermeiden, was die Disziplin irgendwie direkt oder
indirekt berühren könnte. Dies Verhalten ist um so mehr zu billigen, als im
Gegensatz hierzu von den Demokraten kein Mittel gescheut wird, um die Disziplin
zu untergraben und die Grenzen der kaiserlichen Kommandogewalt enger zu
ziehen. In dieser Vorsicht liegt aber ein gewisser Mangel, der in manchen
Fragen der Armee zu unbeabsichtigten Hemmungen führt. In den Frak¬
tionen der nationalen Parteien werden die technischen Heeresfragen meist von
früheren Offizieren bearbeitet, die, wie z. B. die Generale v. Schubert und
v. Liebert. Anspruch haben, als Autoritäten auf militärischem Gebiet zu gelten.
Solche Herren können aber nach ihrem ganzen Bildungsgange bis zum Aus¬
scheiden aus der Armee an die Heeressragen kaum anders als von Gesichts¬
punkten aus herantreten, wie sie im Kriegsministerium geläufig sind. Sie
wirken also in in ihrer Eigenschaft als Parlamentarier in den Verhandlungen
der Kommissionen nicht in dem Maße ergänzend, wie z. B. Vertreter privater
Verkehrsunternehmungen etwa dem Eisenbahnministerium gegenüber wirken
können. Darin aber liegt eine Schwäche. Denn dadurch verfolgen auch
die nationalen Parteien ausschließlich uur einen Gesichtspunkt: für die größt¬
mögliche Kriegsbereitschaft das beste Material und die besten technischen Mittel
zu beschaffen. Dieser Zustand erscheint ja im allgemeinen recht zufrieden¬
stellend; aber er hat auch seine Nachteile, die nicht verschwiegen werden dürfen.
Durch ihn fehlen den Parteien jene ergänzenden Gesichtspunkte, die unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/513>, abgerufen am 24.07.2024.