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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Wir wollen an dieser Stelle auf die Einzelheiten der Debatten nicht ein¬
gehen; was wir in rein militärischer Hinsicht glauben ergänzen zu müssen, findet
der Leser in dem Abschnitt "Heeresfragen".

Die allgemeine politische Lage im Reich hat eine gewisse Beleuchtung erfahren
durch das Auftreten dreier preußischer Minister im Landtage. Herr
Dr. Lentze hat eine glänzende Rede über die sozialpolitischen Leistungen des
preußischen Staates gehalten, ohne dessen Zustimmung und Mitwirkung auch
die entsprechende Reichsgesetzgebung nicht zustande gekommen wäre. Herr Sydow,
der Minister für Handel und Gewerbe, hat einige Anmaßungen von der agrarischen
Rechten gebührend zurückgewiesen, indem er den Handelskammern das Recht
zugestand, korporativ Mitglieder des Hansabundes zu werden; der Hansabund
sei keine politische, sondern eine wirtschaftliche Organisation. Schließlich hat
Herr v. Trott zu Solz, der Kultusminister, eine Erklärung über die amtlichen
Auffassungen des Antimodernisteneides gegeben, aus der man entnehmen darf,
daß die preußische Regierung diesem Eide unsympathisch gegenübersteht. Mehr
aber auch nicht! Es scheint uns daher ein gar zu hoffnungsvoller Optimismus
darin zu liegen, wenn nationalliberale Blätter hieraus schon auf eine vorsichtig
einsetzende Wandlung in der Richtung unserer inneren Politik überhaupt schließen
wollen. Die maßgebende Richtung der inneren Politik weist bekanntlich der
Herr Reichskanzler und preußische Ministerpräsident an.

Die neuesten. Verhandlungen im Bundesrat über die elsaß-lothringische
Verfassungsfrage haben so weit zu einer Einigung zwischen den Vertretern der
einzelnen Bundesstaaten geführt, daß in einigen Tagen die Beratungen in der
21. Reichstagskommission, über deren Verlauf im Reichsspiegel der Ur. 8
berichtet wurde, wieder aufgenommen werden dürften.

Dieser Wiederaufnahme der Verhandlungen können wir nicht ohne einiges
Bangen entgegensehen. Zwar hat der Statthalter Graf Wedel durch seine Ansprache
im Landesausschuß dargetan, daß er die inneren Gründe der Politik der Auto-
nomisten voll erkannt habe, aber die Bestätigung des Rechtsanwalts
Dr. Forel als Bürgermeister der Stadt Metz deutet doch darauf hin,
daß man in Berlin nicht geneigt ist, das deutsche Einheitsideal über partikula-
ristische Strömungen zu stellen. Force ist Ehrenmitglied der wegen ihrer reichs¬
feindlichen Haltung aufgelösten Sportvereine. Forel hat im Jahre 1906 eine
Wahlrede mit den Worten geschlossen: "Nieder mit der preußischen Verwaltung!
Nieder mit den preußischen Beamten! Was uns fehlt, sind Lothringer!" Die
Kreuzzeitung kennzeichnet die Wahl zutreffend als "eine Herausforderung des
Deutschtums und der deutschen Regierung". Die Herausforderung ist um so
peinlicher, als sie zum zweitenmal erfolgt und als sie die Regierung zu dem
Eingeständnis zwingt, daß sie sich bei der Ablehnung des Herrn Force geirrt
habe. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung übernimmt nämlich aus der Stra߬
burger Korrespondenz folgende Erklärung für die nunmehr erfolgte Bestätigung
des Herrn Forel:


Grenzboten I 1911 l>-j
Reichsspiegel

Wir wollen an dieser Stelle auf die Einzelheiten der Debatten nicht ein¬
gehen; was wir in rein militärischer Hinsicht glauben ergänzen zu müssen, findet
der Leser in dem Abschnitt „Heeresfragen".

Die allgemeine politische Lage im Reich hat eine gewisse Beleuchtung erfahren
durch das Auftreten dreier preußischer Minister im Landtage. Herr
Dr. Lentze hat eine glänzende Rede über die sozialpolitischen Leistungen des
preußischen Staates gehalten, ohne dessen Zustimmung und Mitwirkung auch
die entsprechende Reichsgesetzgebung nicht zustande gekommen wäre. Herr Sydow,
der Minister für Handel und Gewerbe, hat einige Anmaßungen von der agrarischen
Rechten gebührend zurückgewiesen, indem er den Handelskammern das Recht
zugestand, korporativ Mitglieder des Hansabundes zu werden; der Hansabund
sei keine politische, sondern eine wirtschaftliche Organisation. Schließlich hat
Herr v. Trott zu Solz, der Kultusminister, eine Erklärung über die amtlichen
Auffassungen des Antimodernisteneides gegeben, aus der man entnehmen darf,
daß die preußische Regierung diesem Eide unsympathisch gegenübersteht. Mehr
aber auch nicht! Es scheint uns daher ein gar zu hoffnungsvoller Optimismus
darin zu liegen, wenn nationalliberale Blätter hieraus schon auf eine vorsichtig
einsetzende Wandlung in der Richtung unserer inneren Politik überhaupt schließen
wollen. Die maßgebende Richtung der inneren Politik weist bekanntlich der
Herr Reichskanzler und preußische Ministerpräsident an.

Die neuesten. Verhandlungen im Bundesrat über die elsaß-lothringische
Verfassungsfrage haben so weit zu einer Einigung zwischen den Vertretern der
einzelnen Bundesstaaten geführt, daß in einigen Tagen die Beratungen in der
21. Reichstagskommission, über deren Verlauf im Reichsspiegel der Ur. 8
berichtet wurde, wieder aufgenommen werden dürften.

Dieser Wiederaufnahme der Verhandlungen können wir nicht ohne einiges
Bangen entgegensehen. Zwar hat der Statthalter Graf Wedel durch seine Ansprache
im Landesausschuß dargetan, daß er die inneren Gründe der Politik der Auto-
nomisten voll erkannt habe, aber die Bestätigung des Rechtsanwalts
Dr. Forel als Bürgermeister der Stadt Metz deutet doch darauf hin,
daß man in Berlin nicht geneigt ist, das deutsche Einheitsideal über partikula-
ristische Strömungen zu stellen. Force ist Ehrenmitglied der wegen ihrer reichs¬
feindlichen Haltung aufgelösten Sportvereine. Forel hat im Jahre 1906 eine
Wahlrede mit den Worten geschlossen: „Nieder mit der preußischen Verwaltung!
Nieder mit den preußischen Beamten! Was uns fehlt, sind Lothringer!" Die
Kreuzzeitung kennzeichnet die Wahl zutreffend als „eine Herausforderung des
Deutschtums und der deutschen Regierung". Die Herausforderung ist um so
peinlicher, als sie zum zweitenmal erfolgt und als sie die Regierung zu dem
Eingeständnis zwingt, daß sie sich bei der Ablehnung des Herrn Force geirrt
habe. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung übernimmt nämlich aus der Stra߬
burger Korrespondenz folgende Erklärung für die nunmehr erfolgte Bestätigung
des Herrn Forel:


Grenzboten I 1911 l>-j
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[0511] Reichsspiegel Wir wollen an dieser Stelle auf die Einzelheiten der Debatten nicht ein¬ gehen; was wir in rein militärischer Hinsicht glauben ergänzen zu müssen, findet der Leser in dem Abschnitt „Heeresfragen". Die allgemeine politische Lage im Reich hat eine gewisse Beleuchtung erfahren durch das Auftreten dreier preußischer Minister im Landtage. Herr Dr. Lentze hat eine glänzende Rede über die sozialpolitischen Leistungen des preußischen Staates gehalten, ohne dessen Zustimmung und Mitwirkung auch die entsprechende Reichsgesetzgebung nicht zustande gekommen wäre. Herr Sydow, der Minister für Handel und Gewerbe, hat einige Anmaßungen von der agrarischen Rechten gebührend zurückgewiesen, indem er den Handelskammern das Recht zugestand, korporativ Mitglieder des Hansabundes zu werden; der Hansabund sei keine politische, sondern eine wirtschaftliche Organisation. Schließlich hat Herr v. Trott zu Solz, der Kultusminister, eine Erklärung über die amtlichen Auffassungen des Antimodernisteneides gegeben, aus der man entnehmen darf, daß die preußische Regierung diesem Eide unsympathisch gegenübersteht. Mehr aber auch nicht! Es scheint uns daher ein gar zu hoffnungsvoller Optimismus darin zu liegen, wenn nationalliberale Blätter hieraus schon auf eine vorsichtig einsetzende Wandlung in der Richtung unserer inneren Politik überhaupt schließen wollen. Die maßgebende Richtung der inneren Politik weist bekanntlich der Herr Reichskanzler und preußische Ministerpräsident an. Die neuesten. Verhandlungen im Bundesrat über die elsaß-lothringische Verfassungsfrage haben so weit zu einer Einigung zwischen den Vertretern der einzelnen Bundesstaaten geführt, daß in einigen Tagen die Beratungen in der 21. Reichstagskommission, über deren Verlauf im Reichsspiegel der Ur. 8 berichtet wurde, wieder aufgenommen werden dürften. Dieser Wiederaufnahme der Verhandlungen können wir nicht ohne einiges Bangen entgegensehen. Zwar hat der Statthalter Graf Wedel durch seine Ansprache im Landesausschuß dargetan, daß er die inneren Gründe der Politik der Auto- nomisten voll erkannt habe, aber die Bestätigung des Rechtsanwalts Dr. Forel als Bürgermeister der Stadt Metz deutet doch darauf hin, daß man in Berlin nicht geneigt ist, das deutsche Einheitsideal über partikula- ristische Strömungen zu stellen. Force ist Ehrenmitglied der wegen ihrer reichs¬ feindlichen Haltung aufgelösten Sportvereine. Forel hat im Jahre 1906 eine Wahlrede mit den Worten geschlossen: „Nieder mit der preußischen Verwaltung! Nieder mit den preußischen Beamten! Was uns fehlt, sind Lothringer!" Die Kreuzzeitung kennzeichnet die Wahl zutreffend als „eine Herausforderung des Deutschtums und der deutschen Regierung". Die Herausforderung ist um so peinlicher, als sie zum zweitenmal erfolgt und als sie die Regierung zu dem Eingeständnis zwingt, daß sie sich bei der Ablehnung des Herrn Force geirrt habe. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung übernimmt nämlich aus der Stra߬ burger Korrespondenz folgende Erklärung für die nunmehr erfolgte Bestätigung des Herrn Forel: Grenzboten I 1911 l>-j

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/511>, abgerufen am 24.07.2024.