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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Grundfragen der Privatangestelltcnversichcrung

ftcherungsdauer sind noch nicht einmal 10 Prozent des Einkommens erreicht,
und selbst die Altersrente im fünfundsechzigsten Lebensjahr erreicht noch nicht
einmal ein Drittel des tatsächlichen Gehalts. Die Witwengehälter sollen gar
nur 40 Prozent der Ruhegehälter betragen. Stirbt der Versicherte also nach
zehnjähriger Versicherungsdauer, so würde die Witwe jährlich erst etwa 4 Pro¬
zent, und stirbt der Versicherte im fünfundsechzigsten Lebensjahr, dann würde
die Witwe immer erst etwa 13 Prozent des Einkommens ihres Mannes als
Witwengeld bekommen. Es ist klar, daß derartige Renten bei den Angestellten
in keiner Weise Befriedigung hervorrufen können. Befriedigung werden die
Angestellten auch dann noch nicht empfinden, wenn man entsprechend dem Vor¬
schlage des Siebener-Ausschusses die Beiträge auf 8 Prozent des Durchschnitts¬
betrages für die betreffenden Gehaltsklassen erhöht und damit die Leistungen
etwas vergrößert. Man darf nicht vergessen, daß die Privatangestellten von
vornherein immer die Versorgung der Staatsbeamten als Vorbild angesehen
haben. Das Reichsamt des Innern hat zwar mit Recht nachgewiesen, daß eine
derartige Versorgung unmöglich ist, wenn man nicht ganz enorme Beträge auf¬
wenden will. Aber der Vergleich der zukünftigen Angestelltenversicherung mit den
Pensionen der Staatsbeamten wird dadurch nicht aus der Welt geschafft werden.

Hält man sich demgegenüber vor Augen, daß ausgesprochenermaßen der
letzte Grund für die Schaffung einer Privatangestelltenversicherung nicht
wirtschaftlicher, sondern politischer Natur ist, daß, wie das auch aus der
Begründung klar hervorgeht, der Zweck derselben in erster Linie der ist, die
Privatangestellten zufrieden zu stellen, um dadurch ihr Abschwenken in das sozial¬
demokratische Lager zu verhüten, so wird man heute schon mit größter Sicherheit
sagen können, daß dieser Zweck nicht erreicht werden wird. Man wird ganz im
Gegenteil der Sozialdemokratie Gelegenheit geben, bei der Beratung des Gesetzes
ihre Angestelltenfreundlichkeit im glänzendsten Lichte zu zeigen, und wenn der
Entwurf Gesetz geworden ist, dann wird man eine Wühltätigkeit der Sozial¬
demokratie beobachten können, wie sie vielleicht noch nicht gesehen worden ist.
Und wie in Österreich die Privatbeamtenversicherung nichts weniger als Zufrieden¬
heit geschaffen hat, so wird man gerade das Gegenteil der Absicht der Regierung
und aller positiven Parteien erreicht haben, nämlich eine tief- und weitgehende
Unzufriedenheit bei den Privatangestellten.

Aber nicht nur der Inhalt des Gesetzes selbst, auch seine Folgen werden
die Privatangestellten unzufrieden machen. Bis jetzt hat wenigstens ein großer
Teil der Arbeitgeber in mehr oder weniger umfangreichen Maße Fürsorge für
seine Angestellten getroffen durch Einrichtung von Pensionskassen und durch Verträge
mit privaten Versicherungsgesellschaften. Trotz der anscheinend entgegenkommenden
Übergangsbestimmungen des Gesetzes werden insbesondere die Pensionskassen in
großem Umfange von der Bildfläche verschwinden. Nach dem Gesetz werden die
Pensionskassen in erster Linie als Vermittler bei der Einziehung der Beiträge
tätig sein müssen, so daß sie also als selbständige Versicherungsanstalten nur


Grenzboten I 1911 60
Grundfragen der Privatangestelltcnversichcrung

ftcherungsdauer sind noch nicht einmal 10 Prozent des Einkommens erreicht,
und selbst die Altersrente im fünfundsechzigsten Lebensjahr erreicht noch nicht
einmal ein Drittel des tatsächlichen Gehalts. Die Witwengehälter sollen gar
nur 40 Prozent der Ruhegehälter betragen. Stirbt der Versicherte also nach
zehnjähriger Versicherungsdauer, so würde die Witwe jährlich erst etwa 4 Pro¬
zent, und stirbt der Versicherte im fünfundsechzigsten Lebensjahr, dann würde
die Witwe immer erst etwa 13 Prozent des Einkommens ihres Mannes als
Witwengeld bekommen. Es ist klar, daß derartige Renten bei den Angestellten
in keiner Weise Befriedigung hervorrufen können. Befriedigung werden die
Angestellten auch dann noch nicht empfinden, wenn man entsprechend dem Vor¬
schlage des Siebener-Ausschusses die Beiträge auf 8 Prozent des Durchschnitts¬
betrages für die betreffenden Gehaltsklassen erhöht und damit die Leistungen
etwas vergrößert. Man darf nicht vergessen, daß die Privatangestellten von
vornherein immer die Versorgung der Staatsbeamten als Vorbild angesehen
haben. Das Reichsamt des Innern hat zwar mit Recht nachgewiesen, daß eine
derartige Versorgung unmöglich ist, wenn man nicht ganz enorme Beträge auf¬
wenden will. Aber der Vergleich der zukünftigen Angestelltenversicherung mit den
Pensionen der Staatsbeamten wird dadurch nicht aus der Welt geschafft werden.

Hält man sich demgegenüber vor Augen, daß ausgesprochenermaßen der
letzte Grund für die Schaffung einer Privatangestelltenversicherung nicht
wirtschaftlicher, sondern politischer Natur ist, daß, wie das auch aus der
Begründung klar hervorgeht, der Zweck derselben in erster Linie der ist, die
Privatangestellten zufrieden zu stellen, um dadurch ihr Abschwenken in das sozial¬
demokratische Lager zu verhüten, so wird man heute schon mit größter Sicherheit
sagen können, daß dieser Zweck nicht erreicht werden wird. Man wird ganz im
Gegenteil der Sozialdemokratie Gelegenheit geben, bei der Beratung des Gesetzes
ihre Angestelltenfreundlichkeit im glänzendsten Lichte zu zeigen, und wenn der
Entwurf Gesetz geworden ist, dann wird man eine Wühltätigkeit der Sozial¬
demokratie beobachten können, wie sie vielleicht noch nicht gesehen worden ist.
Und wie in Österreich die Privatbeamtenversicherung nichts weniger als Zufrieden¬
heit geschaffen hat, so wird man gerade das Gegenteil der Absicht der Regierung
und aller positiven Parteien erreicht haben, nämlich eine tief- und weitgehende
Unzufriedenheit bei den Privatangestellten.

Aber nicht nur der Inhalt des Gesetzes selbst, auch seine Folgen werden
die Privatangestellten unzufrieden machen. Bis jetzt hat wenigstens ein großer
Teil der Arbeitgeber in mehr oder weniger umfangreichen Maße Fürsorge für
seine Angestellten getroffen durch Einrichtung von Pensionskassen und durch Verträge
mit privaten Versicherungsgesellschaften. Trotz der anscheinend entgegenkommenden
Übergangsbestimmungen des Gesetzes werden insbesondere die Pensionskassen in
großem Umfange von der Bildfläche verschwinden. Nach dem Gesetz werden die
Pensionskassen in erster Linie als Vermittler bei der Einziehung der Beiträge
tätig sein müssen, so daß sie also als selbständige Versicherungsanstalten nur


Grenzboten I 1911 60
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[0487] Grundfragen der Privatangestelltcnversichcrung ftcherungsdauer sind noch nicht einmal 10 Prozent des Einkommens erreicht, und selbst die Altersrente im fünfundsechzigsten Lebensjahr erreicht noch nicht einmal ein Drittel des tatsächlichen Gehalts. Die Witwengehälter sollen gar nur 40 Prozent der Ruhegehälter betragen. Stirbt der Versicherte also nach zehnjähriger Versicherungsdauer, so würde die Witwe jährlich erst etwa 4 Pro¬ zent, und stirbt der Versicherte im fünfundsechzigsten Lebensjahr, dann würde die Witwe immer erst etwa 13 Prozent des Einkommens ihres Mannes als Witwengeld bekommen. Es ist klar, daß derartige Renten bei den Angestellten in keiner Weise Befriedigung hervorrufen können. Befriedigung werden die Angestellten auch dann noch nicht empfinden, wenn man entsprechend dem Vor¬ schlage des Siebener-Ausschusses die Beiträge auf 8 Prozent des Durchschnitts¬ betrages für die betreffenden Gehaltsklassen erhöht und damit die Leistungen etwas vergrößert. Man darf nicht vergessen, daß die Privatangestellten von vornherein immer die Versorgung der Staatsbeamten als Vorbild angesehen haben. Das Reichsamt des Innern hat zwar mit Recht nachgewiesen, daß eine derartige Versorgung unmöglich ist, wenn man nicht ganz enorme Beträge auf¬ wenden will. Aber der Vergleich der zukünftigen Angestelltenversicherung mit den Pensionen der Staatsbeamten wird dadurch nicht aus der Welt geschafft werden. Hält man sich demgegenüber vor Augen, daß ausgesprochenermaßen der letzte Grund für die Schaffung einer Privatangestelltenversicherung nicht wirtschaftlicher, sondern politischer Natur ist, daß, wie das auch aus der Begründung klar hervorgeht, der Zweck derselben in erster Linie der ist, die Privatangestellten zufrieden zu stellen, um dadurch ihr Abschwenken in das sozial¬ demokratische Lager zu verhüten, so wird man heute schon mit größter Sicherheit sagen können, daß dieser Zweck nicht erreicht werden wird. Man wird ganz im Gegenteil der Sozialdemokratie Gelegenheit geben, bei der Beratung des Gesetzes ihre Angestelltenfreundlichkeit im glänzendsten Lichte zu zeigen, und wenn der Entwurf Gesetz geworden ist, dann wird man eine Wühltätigkeit der Sozial¬ demokratie beobachten können, wie sie vielleicht noch nicht gesehen worden ist. Und wie in Österreich die Privatbeamtenversicherung nichts weniger als Zufrieden¬ heit geschaffen hat, so wird man gerade das Gegenteil der Absicht der Regierung und aller positiven Parteien erreicht haben, nämlich eine tief- und weitgehende Unzufriedenheit bei den Privatangestellten. Aber nicht nur der Inhalt des Gesetzes selbst, auch seine Folgen werden die Privatangestellten unzufrieden machen. Bis jetzt hat wenigstens ein großer Teil der Arbeitgeber in mehr oder weniger umfangreichen Maße Fürsorge für seine Angestellten getroffen durch Einrichtung von Pensionskassen und durch Verträge mit privaten Versicherungsgesellschaften. Trotz der anscheinend entgegenkommenden Übergangsbestimmungen des Gesetzes werden insbesondere die Pensionskassen in großem Umfange von der Bildfläche verschwinden. Nach dem Gesetz werden die Pensionskassen in erster Linie als Vermittler bei der Einziehung der Beiträge tätig sein müssen, so daß sie also als selbständige Versicherungsanstalten nur Grenzboten I 1911 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/487>, abgerufen am 24.07.2024.