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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Grundfragen der Privatangestelltenversicherung

und die Leistungen immer mindestens dem Beitrag des Versicherten entsprechen.
Der Vergleich mit der Invalidenversicherung liegt nahe. Auch dort fällt die
Hälfte des Beitrages dem Arbeitgeber zur Last. Aber wie schon hervorgehoben,
trägt außerdem das Reich einen beträchtlichen Teil der Renten. Bei der Invaliden¬
versicherung genügt wohl meist die Leistung des Reichs, um die Ungerechtigkeit
der Beitragsverteilung auszugleichen. Der Barwert der Leistung für den einzelnen
Versicherten entspricht dort im Durchschnitt wenigstens dem Barwert der von
dem Versicherten selbst und seinem Arbeitgeber gezählten Beiträge. Man braucht
also dort auf die Frage, ob der von den: Arbeitgeber für den Versicherten
gezahlte Beitrag wirklich eine Mehrleistung über den Lohn hinaus oder nur
einen Teil des Lohnes darstellt, nicht weiter einzugehen. Bei der Privatbeamten¬
versicherung ist das anders. Nur dann, wenn die Beitragshälfte des Arbeit¬
gebers mindestens zum allergrößten Teil nicht als Gehaltsteil des Angestellten
zu betrachten ist, also wirklich aus den Mitteln des Arbeitgebers getragen wird,
ist eine Ungerechtigkeit in der Beitragsverteilung vermieden.

Die Entscheidung dieser Frage ist außerordentlich schwierig. Zweifellos
werden gegenwärtig die Privatangestellten der Meinung sein, daß durch das
Gesetz wenigstens ein Teil des Arbeitgeberbeitragcs wirklich dem Arbeitgeber
belastet wird, denn wenn sie das nicht glauben würden, hätten sie offenbar kein
Interesse an dem Zustandekommen des Gesetzes, ja es müßte ein großer Teil
der Angestellten energisch gegen ihre ungerechte Belastung Widerspruch erheben.
Eine ganz andere Frage ist es, welche Meinung die Privatanstellten nach dem
Zustandekommen des Gesetzes haben werden. Die Abstufung der Beiträge nach
verhältnismäßig umfangreichen Gehaltsklasseu wird notwendig dahin führen, daß
die Gehaltssteigerung des Angestellten bei der Überschreitung der einzelnen
Klassengrenzen in Stockung gerät, da unter Umstünden die Erhöhung des Bei¬
trages in keinem Verhältnis zu der Erhöhung des Gehalts stehen kann. Weiter
wird es unvermeidlich sein, daß der Arbeitgeber die Gesuche seiner Angestellten
um Gehaltserhöhung häufig auch mit dem Hinweis auf die neue Last des
Gesetzes beantworten wird, und schließlich wird es nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes so wenig wie vorher allzu viele Angestellte geben, die mit ihrem Gehalt
zufrieden sein werden, und die Unzufriedenen werden nur zu geneigt sein, die
vermißte Gehaltserhöhung wenigstens zum Teil dem Versicherungsgesetz zuzu¬
schreiben. Es ist kein Zweifel, daß nach Inkrafttreten des Gesetzes, mag in
Wirklichkeit die Frage zu beantworten sein wie sie will, jedenfalls die Mehrzahl
der Angestellten der Ansicht sein wird, daß die Beiträge für die Privat¬
angestelltenversicherung in vollem Umfange von ihnen selbst aufgebracht werden,
und es ist klar, daß alle diejenigen Versicherten, welche bei der Verteilung nach
dem Gesetz zu stark belastet sind, das ganze Gesetz als eine Ungerechtigkeit
empfinden werden.

Das Verhältnis der Beiträge zu den Versicherungsleistungen ist in dem
Gesetz in derselben Weise geregelt, wie das in der zweiten Denkschrift des


Grundfragen der Privatangestelltenversicherung

und die Leistungen immer mindestens dem Beitrag des Versicherten entsprechen.
Der Vergleich mit der Invalidenversicherung liegt nahe. Auch dort fällt die
Hälfte des Beitrages dem Arbeitgeber zur Last. Aber wie schon hervorgehoben,
trägt außerdem das Reich einen beträchtlichen Teil der Renten. Bei der Invaliden¬
versicherung genügt wohl meist die Leistung des Reichs, um die Ungerechtigkeit
der Beitragsverteilung auszugleichen. Der Barwert der Leistung für den einzelnen
Versicherten entspricht dort im Durchschnitt wenigstens dem Barwert der von
dem Versicherten selbst und seinem Arbeitgeber gezählten Beiträge. Man braucht
also dort auf die Frage, ob der von den: Arbeitgeber für den Versicherten
gezahlte Beitrag wirklich eine Mehrleistung über den Lohn hinaus oder nur
einen Teil des Lohnes darstellt, nicht weiter einzugehen. Bei der Privatbeamten¬
versicherung ist das anders. Nur dann, wenn die Beitragshälfte des Arbeit¬
gebers mindestens zum allergrößten Teil nicht als Gehaltsteil des Angestellten
zu betrachten ist, also wirklich aus den Mitteln des Arbeitgebers getragen wird,
ist eine Ungerechtigkeit in der Beitragsverteilung vermieden.

Die Entscheidung dieser Frage ist außerordentlich schwierig. Zweifellos
werden gegenwärtig die Privatangestellten der Meinung sein, daß durch das
Gesetz wenigstens ein Teil des Arbeitgeberbeitragcs wirklich dem Arbeitgeber
belastet wird, denn wenn sie das nicht glauben würden, hätten sie offenbar kein
Interesse an dem Zustandekommen des Gesetzes, ja es müßte ein großer Teil
der Angestellten energisch gegen ihre ungerechte Belastung Widerspruch erheben.
Eine ganz andere Frage ist es, welche Meinung die Privatanstellten nach dem
Zustandekommen des Gesetzes haben werden. Die Abstufung der Beiträge nach
verhältnismäßig umfangreichen Gehaltsklasseu wird notwendig dahin führen, daß
die Gehaltssteigerung des Angestellten bei der Überschreitung der einzelnen
Klassengrenzen in Stockung gerät, da unter Umstünden die Erhöhung des Bei¬
trages in keinem Verhältnis zu der Erhöhung des Gehalts stehen kann. Weiter
wird es unvermeidlich sein, daß der Arbeitgeber die Gesuche seiner Angestellten
um Gehaltserhöhung häufig auch mit dem Hinweis auf die neue Last des
Gesetzes beantworten wird, und schließlich wird es nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes so wenig wie vorher allzu viele Angestellte geben, die mit ihrem Gehalt
zufrieden sein werden, und die Unzufriedenen werden nur zu geneigt sein, die
vermißte Gehaltserhöhung wenigstens zum Teil dem Versicherungsgesetz zuzu¬
schreiben. Es ist kein Zweifel, daß nach Inkrafttreten des Gesetzes, mag in
Wirklichkeit die Frage zu beantworten sein wie sie will, jedenfalls die Mehrzahl
der Angestellten der Ansicht sein wird, daß die Beiträge für die Privat¬
angestelltenversicherung in vollem Umfange von ihnen selbst aufgebracht werden,
und es ist klar, daß alle diejenigen Versicherten, welche bei der Verteilung nach
dem Gesetz zu stark belastet sind, das ganze Gesetz als eine Ungerechtigkeit
empfinden werden.

Das Verhältnis der Beiträge zu den Versicherungsleistungen ist in dem
Gesetz in derselben Weise geregelt, wie das in der zweiten Denkschrift des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/485>, abgerufen am 24.07.2024.