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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Ans Briefen der ZVcrthcrzeit

Verteidiger erstand. Als er aber auch den Werken des jungen Goethe, den
neuen Kunstanschauungen, jeder wahren, eigenschöpferischen Dichtkunst den Krieg
erklärte, verlor die Allgemeine Deutsche, Bibliothek bald jeden Einfluß und
nahm 1806, unbeachtet, ein sang- und klangloses Ende.

Auch Petersen gehörte seit 1772 zu dem Stäbe der Mitarbeiter der A. D. B.
und war bis zum Jahre 1797 eifrig tätig, besonders im theologischen Fache,
immer aber ängstlich daraus bedacht, seinen Namen zu verbergen; so wechselte
er im ersten Jahre allein viermal sein Zeichen, ja es tauchen, um die Leser
irre zu führen, zwei, auch drei Zeichen in Rezensionen ein und desselben Bandes
nebeneinander auf. Ihn geizte ebensowenig wie Merck nach Autorruhm.

Eine Zeitlang hatte auch Merck, nach der literarischen Revolution in den
Frankfurter Gelehrten Anzeigen, auf Hoepfners und Petersens Veranlassung
an der A. D. B. Anteil genommen; von seinen Beiträgen ist in diesem Zusammen¬
hange die Besprechung von Goethes "Werthers Leiden" und der Nicolaischen
Gegenschrift "Die Freuden des jungen Werthers" besonders bemerkenswert.
Nicolai schrieb darüber (vgl. seinen von Göckingk herausgegebenen Nachlaß,
Berlin 1820, S. 37/38): "Goethe hatte meine Freimütigkeit wegen der Freuden
Werthers übel genommen, wiewohl meine Absicht weiter nichts war, als den
üblen Eindrücken zu wehren; dem Genie des Autors hatte ich alle Gerechtigkeit
widerfahren lassen. Jetzt war es schwer, wen ich wählen sollte, um seine Schriften
in der A. D. B. zu beurteilen. Ich wählte Merck in Darmstadt; zwar Goethes
Freund, aber ein unparteiischer Mann. Man lese die Rezensionen, ob man darin
den Freund erkennen wird."

Während sich Merck nach Goethes Eintritt in Weimar den: von Wieland
seit 1773 herausgegebenen Teutschen Merkur, der, durch Wielands eigene
Werke vortrefflich eingeführt, besonders im mittleren und südlichen Teil Deutsch¬
lands der A. D. B. den Rang streitig machte, seine Haupttätigkeit zuwandte
und bis zu seinein Tode mit Weimars Fürsten- und Musenhof aufs engste
verbunden blieb, hielt Petersen treu zu Nicolai. Gar bald hatte sich aus den
Bücher- und Rezensionssendungen zwischen beiden ein freundschaftlicher Brief¬
wechsel entwickelt, dem wir heute die interessantesten Aufschlüsse über einen Zeit¬
raum von mehr denn zwanzig Jahren verdanken. Ganz eigenartig ist es zu
sehen, wie Nicolai, der nüchterne Verstandeskritiker, der Gegner Goethes und
Schillers, durch Petersen, den ich, ohne damit ein Werturteil zu fällen, das
unbeabsichtigte Sprachrohr Mercks nennen möchte, über wichtige Vorgänge
persönlicher Natur der Wertherzeit, des Sturmes und Drangs bis in die
anbrechende klassische Zeit Weimars, wohl unterrichtet war, so lange als -- Merck
lebte. War danach Merck gewiß die Hauptquelle für manche Kunde, so ver¬
leugnet doch Petersen niemals eigene Urteilskraft.

Wie sehr es daher die Briefe Petersens an Nicolai, die die Königliche
Bibliothek zu Berlin in dem umfangreichen und höchst wertvollen Nicolai-
Nachlasse aufbewahrt, verdienen ans Licht gezogen zu werden, erhellt z. B. schon


Ans Briefen der ZVcrthcrzeit

Verteidiger erstand. Als er aber auch den Werken des jungen Goethe, den
neuen Kunstanschauungen, jeder wahren, eigenschöpferischen Dichtkunst den Krieg
erklärte, verlor die Allgemeine Deutsche, Bibliothek bald jeden Einfluß und
nahm 1806, unbeachtet, ein sang- und klangloses Ende.

Auch Petersen gehörte seit 1772 zu dem Stäbe der Mitarbeiter der A. D. B.
und war bis zum Jahre 1797 eifrig tätig, besonders im theologischen Fache,
immer aber ängstlich daraus bedacht, seinen Namen zu verbergen; so wechselte
er im ersten Jahre allein viermal sein Zeichen, ja es tauchen, um die Leser
irre zu führen, zwei, auch drei Zeichen in Rezensionen ein und desselben Bandes
nebeneinander auf. Ihn geizte ebensowenig wie Merck nach Autorruhm.

Eine Zeitlang hatte auch Merck, nach der literarischen Revolution in den
Frankfurter Gelehrten Anzeigen, auf Hoepfners und Petersens Veranlassung
an der A. D. B. Anteil genommen; von seinen Beiträgen ist in diesem Zusammen¬
hange die Besprechung von Goethes „Werthers Leiden" und der Nicolaischen
Gegenschrift „Die Freuden des jungen Werthers" besonders bemerkenswert.
Nicolai schrieb darüber (vgl. seinen von Göckingk herausgegebenen Nachlaß,
Berlin 1820, S. 37/38): „Goethe hatte meine Freimütigkeit wegen der Freuden
Werthers übel genommen, wiewohl meine Absicht weiter nichts war, als den
üblen Eindrücken zu wehren; dem Genie des Autors hatte ich alle Gerechtigkeit
widerfahren lassen. Jetzt war es schwer, wen ich wählen sollte, um seine Schriften
in der A. D. B. zu beurteilen. Ich wählte Merck in Darmstadt; zwar Goethes
Freund, aber ein unparteiischer Mann. Man lese die Rezensionen, ob man darin
den Freund erkennen wird."

Während sich Merck nach Goethes Eintritt in Weimar den: von Wieland
seit 1773 herausgegebenen Teutschen Merkur, der, durch Wielands eigene
Werke vortrefflich eingeführt, besonders im mittleren und südlichen Teil Deutsch¬
lands der A. D. B. den Rang streitig machte, seine Haupttätigkeit zuwandte
und bis zu seinein Tode mit Weimars Fürsten- und Musenhof aufs engste
verbunden blieb, hielt Petersen treu zu Nicolai. Gar bald hatte sich aus den
Bücher- und Rezensionssendungen zwischen beiden ein freundschaftlicher Brief¬
wechsel entwickelt, dem wir heute die interessantesten Aufschlüsse über einen Zeit¬
raum von mehr denn zwanzig Jahren verdanken. Ganz eigenartig ist es zu
sehen, wie Nicolai, der nüchterne Verstandeskritiker, der Gegner Goethes und
Schillers, durch Petersen, den ich, ohne damit ein Werturteil zu fällen, das
unbeabsichtigte Sprachrohr Mercks nennen möchte, über wichtige Vorgänge
persönlicher Natur der Wertherzeit, des Sturmes und Drangs bis in die
anbrechende klassische Zeit Weimars, wohl unterrichtet war, so lange als — Merck
lebte. War danach Merck gewiß die Hauptquelle für manche Kunde, so ver¬
leugnet doch Petersen niemals eigene Urteilskraft.

Wie sehr es daher die Briefe Petersens an Nicolai, die die Königliche
Bibliothek zu Berlin in dem umfangreichen und höchst wertvollen Nicolai-
Nachlasse aufbewahrt, verdienen ans Licht gezogen zu werden, erhellt z. B. schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/480>, abgerufen am 24.07.2024.