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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst, Österreich zu regieren

zusammenzukratzen sucht, es bleibt eine schwächliche Mehrheit. Und da sie so
schwächlich ist, wächst die Macht der kleinsten Fraktion ins Ungemessene. Die
Italiener bleiben dem Ministerium nur unter der Bedingung treu, daß sie ihre
italienische Rechtsfakultät erhalten. Das Ministerium hat den besten Willen,
aber schon in der Mehrheit sind bei dieser Frage Gegensätze zu überbrücken,
denn ein Teil der Deutschnationalen will die Fakultät nicht bewilligen, einerseits
weil sie ihren Standort in Wien erhalten soll -- wenn auch nur vorläufig,
aber Provisorien sind in Österreich wegen ihrer Langlebigkeit berühmt --, ander¬
seits weil man die Folgerungen, die die Slowenen mit ihren Universitäts¬
forderungen aus dieser Bewilligung ziehen werden, fürchtet. Aber nicht allein
darum handelt es sich; man muß auch die fünfunddreißig Südslawen, die der
italienischen Rechtsfakultät heftigen Widerstand leisten, irgendwie von der Ob¬
struktion abbringen. Das kostet wieder nationale Zugeständnisse, die natürlich
nur auf Kosten der Deutschen gehen könnten. Diese sind nun nach der letzten
Erneuerung des Ministeriums Bienerth sowieso schon mißtrauisch, die Radikalen
haben sich bereits "freie Hand" gegenüber dem Ministerium vorbehalten; tritt
wirklich eine Schädigung deutscher Interessen ein, so kann sich der ganze National¬
verband ihrer Gefolgschaft nicht entziehen. Das dritte Ministerium Bienerth
kann sich von neuem zusammensetzen.

Dies ist ein Schulbeispiel. Und es gibt keine Möglichkeiten, andere Mehrheiten
zu bilden; diese ist -- 8it vonia verba" -- noch die möglichste. Denn eine slavische
Mehrheit gibt es aus eigener Kraft im Abgeordnetenhause auch nicht. Ein
Zusammengehen von Polen, Tschechen und Südslawen wäre wohl möglich, wurde
auch von verschiedenen Parteiführern dieser Gruppen schon angestrebt. Aber sie
ergeben zusammen nur einhundertsechsundachtzig Mann. Die Ruthenen werden
nie mit den Polen an einem Strange ziehen, aber selbst wenn sie es täten,
gäbe dies noch immer keine Mehrheit. Es bleibt also noch die Möglichkeit, den
"eisernen Ring" unter Taaffe zu bilden. Indes sind die Christlichsozialen von heute
mit den Klerikalen von damals doch nicht zu vergleichen. Der größere Teil der
Christlichsozialen, die aus Wien und Niederösterreich ^ können sich der deutschen
Gemeinbürgschaft schon wegen der Tschechengefahr in Niederösterreich nicht ent¬
ziehen, und selbst die Klerikalen der Alpenländer schwärzerer Färbung könnten
einen allzu offenkundiger Verrat deutscher Interessen mit Rücksicht auf die
Stimmung ihrer Wähler doch auch nicht mitmachen. Wenn selbst ein solcher
Versuch -- etwa auf der Grundlage, daß die Tschechen versprechen würden, sich
nationaler Vorstöße zu enthalten -- bis zur Bildung eines Ministeriums gediehe,
so hätte dieses doch eine mehr als beschränkte Lebensdauer, weil die Tschechen
ihr Versprechen mit Rücksicht auf ihre Wähler gar nicht halten könnten, von der
Möglichkeit, daß eine deutsche Obstruktion gleich einsetzt, ganz abgesehen.

Nun treten an das österreichische Parlament Forderungen für Heer und
Marine heran, die eine Mehrbelastung des Budgets mit jährlich rund 150 Millionen
Kronen bedeuten. Zum Teil sind diese Bewilligungen von den Delegationen, zum


Die Kunst, Österreich zu regieren

zusammenzukratzen sucht, es bleibt eine schwächliche Mehrheit. Und da sie so
schwächlich ist, wächst die Macht der kleinsten Fraktion ins Ungemessene. Die
Italiener bleiben dem Ministerium nur unter der Bedingung treu, daß sie ihre
italienische Rechtsfakultät erhalten. Das Ministerium hat den besten Willen,
aber schon in der Mehrheit sind bei dieser Frage Gegensätze zu überbrücken,
denn ein Teil der Deutschnationalen will die Fakultät nicht bewilligen, einerseits
weil sie ihren Standort in Wien erhalten soll — wenn auch nur vorläufig,
aber Provisorien sind in Österreich wegen ihrer Langlebigkeit berühmt —, ander¬
seits weil man die Folgerungen, die die Slowenen mit ihren Universitäts¬
forderungen aus dieser Bewilligung ziehen werden, fürchtet. Aber nicht allein
darum handelt es sich; man muß auch die fünfunddreißig Südslawen, die der
italienischen Rechtsfakultät heftigen Widerstand leisten, irgendwie von der Ob¬
struktion abbringen. Das kostet wieder nationale Zugeständnisse, die natürlich
nur auf Kosten der Deutschen gehen könnten. Diese sind nun nach der letzten
Erneuerung des Ministeriums Bienerth sowieso schon mißtrauisch, die Radikalen
haben sich bereits „freie Hand" gegenüber dem Ministerium vorbehalten; tritt
wirklich eine Schädigung deutscher Interessen ein, so kann sich der ganze National¬
verband ihrer Gefolgschaft nicht entziehen. Das dritte Ministerium Bienerth
kann sich von neuem zusammensetzen.

Dies ist ein Schulbeispiel. Und es gibt keine Möglichkeiten, andere Mehrheiten
zu bilden; diese ist — 8it vonia verba» — noch die möglichste. Denn eine slavische
Mehrheit gibt es aus eigener Kraft im Abgeordnetenhause auch nicht. Ein
Zusammengehen von Polen, Tschechen und Südslawen wäre wohl möglich, wurde
auch von verschiedenen Parteiführern dieser Gruppen schon angestrebt. Aber sie
ergeben zusammen nur einhundertsechsundachtzig Mann. Die Ruthenen werden
nie mit den Polen an einem Strange ziehen, aber selbst wenn sie es täten,
gäbe dies noch immer keine Mehrheit. Es bleibt also noch die Möglichkeit, den
„eisernen Ring" unter Taaffe zu bilden. Indes sind die Christlichsozialen von heute
mit den Klerikalen von damals doch nicht zu vergleichen. Der größere Teil der
Christlichsozialen, die aus Wien und Niederösterreich ^ können sich der deutschen
Gemeinbürgschaft schon wegen der Tschechengefahr in Niederösterreich nicht ent¬
ziehen, und selbst die Klerikalen der Alpenländer schwärzerer Färbung könnten
einen allzu offenkundiger Verrat deutscher Interessen mit Rücksicht auf die
Stimmung ihrer Wähler doch auch nicht mitmachen. Wenn selbst ein solcher
Versuch — etwa auf der Grundlage, daß die Tschechen versprechen würden, sich
nationaler Vorstöße zu enthalten — bis zur Bildung eines Ministeriums gediehe,
so hätte dieses doch eine mehr als beschränkte Lebensdauer, weil die Tschechen
ihr Versprechen mit Rücksicht auf ihre Wähler gar nicht halten könnten, von der
Möglichkeit, daß eine deutsche Obstruktion gleich einsetzt, ganz abgesehen.

Nun treten an das österreichische Parlament Forderungen für Heer und
Marine heran, die eine Mehrbelastung des Budgets mit jährlich rund 150 Millionen
Kronen bedeuten. Zum Teil sind diese Bewilligungen von den Delegationen, zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/476>, abgerufen am 24.07.2024.