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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Begegnung mit Schwester Eufemici

Begegnung mit Schwester Gufemia
Aus den Erinnerungen eines Naturphilosophen
Rnrt Mariens von

^W./Mös
^^Z-en Sommer des Jahres 1859 brachte ich, angestrengten Studien
hingegeben, in einem Zisterzienser-Kloster bei Tivoli zu. Die
Bibliothek mit ihren ungehobener Schätzen, Handschriften der Neu-
platomker und des Erigena, hielt mich tagsüber fest. Nur an kühlen
I Abenden ritt ich zuweilen nach Rom hinüber, suchte in einem Gasthof
Obdach für mich und das Pferd und durchstreifte alsdann die Gassen. Das
schweigsame Hinfluten des Tiber, der Zug der Wolken über dem Kapital, die
Schattenspiele des Mondes zwischen bröckelndem Gemäuer, am Kolosseum oder am
Palatin, lockten Fragen aus mir hervor, deren Antwort von den Gestirnen nieder¬
rieselte und mir zu Häupten sich in schwelendem Rauch verlor.

Während einer Julinacht, kurz nach Abschluß des Waffenstillstandes von
Villafranca, geriet ich in die Gegend des nördlichen Korso. Nicht ein Laut war
zurückgeblieben von dem Gewühl der Tagesgeschäfte. Der Straßendamm war leer!
nur hin und wieder, von Viertelstunde zu Viertelstunde, hallte der rasche, harte
Tritt einer französischen Besatzungspatrouille über das Pflaster. Die Mauern der
dicht gedrängten Häuserreihen starrten mit ihren blinden Fenstern einander kalt
und tückisch an, unten aber in ihrem Schatten drückten sich vereinzelte Pärchen
vorbei, tauchten im Lichtkreis einer Laterne auf oder schlüpften durch das nächste
Tor wie aufgescheuchte Mäuse in ihr Loch. Ich allein wanderte achtlos zwischen
ihnen hin, die Häuserfronten auf und ab, hinunter nach der Piazza del Popolo,
zurück nach der Kirche San Carlo und unterhielt mich mit allerhand Vermutungen
über das Wesen der Ekstase, deren Physiologie zu ergründen mir einiges Vergnügen
bereitet haben würde.

Da trat aus einem der verdächtigen Gäßchen, die den Korso kreuzen, unerwartet
ein jüngerer Mann auf mich zu, der sich unter Komplimenten als Sor Domenico
vorstellte und im besten, höflichsten Toskanisch mich einlud, eine "^Ventura molto
interessante" zu genießen.

Zunächst hielt ich ihn für einen jener zudringlichen Ruffiani, die an der
Neugier ausländischer Lebemänner ein gutes Stück Kuppelgeld zu verdienen Pflegen.
Als er jedoch in deutscher Sprache hinzufügte, daß er Österreicher sei, mit bürger¬
lichem Namen Dominik Labun und im Dienste der Behörden Seiner Heiligkeit
stände, sah ich mir den Landsmann etwas näher an. Er war ein kleiner, unter¬
setzter Herr mit kurzen, dünnen Beinchen und verschmitztem Gesicht, die ganze
Gestalt, in Flausrock und Nankinghosen, zerknittert, grau und molluskenhaft.

"Was Sie auch mit mir vorhaben mögen," antwortete ich, "es würde nur
von Wert sein, zu erfahren, wie Sie gerade auf meine in jeder Hinsicht neutrale
Persönlichkeit geraten sind."

"O, bitte, sagen Sie nicht neutral," wehrte Sor Domenico unter einer ver-
Kindlichen Geste ab, "welcher Freund der Wissenschaft sollte den Doktor Krohn
nicht kennen I Und überdies suchten wir bereits den ganzen Abend Sie auf Ihrem


Begegnung mit Schwester Eufemici

Begegnung mit Schwester Gufemia
Aus den Erinnerungen eines Naturphilosophen
Rnrt Mariens von

^W./Mös
^^Z-en Sommer des Jahres 1859 brachte ich, angestrengten Studien
hingegeben, in einem Zisterzienser-Kloster bei Tivoli zu. Die
Bibliothek mit ihren ungehobener Schätzen, Handschriften der Neu-
platomker und des Erigena, hielt mich tagsüber fest. Nur an kühlen
I Abenden ritt ich zuweilen nach Rom hinüber, suchte in einem Gasthof
Obdach für mich und das Pferd und durchstreifte alsdann die Gassen. Das
schweigsame Hinfluten des Tiber, der Zug der Wolken über dem Kapital, die
Schattenspiele des Mondes zwischen bröckelndem Gemäuer, am Kolosseum oder am
Palatin, lockten Fragen aus mir hervor, deren Antwort von den Gestirnen nieder¬
rieselte und mir zu Häupten sich in schwelendem Rauch verlor.

Während einer Julinacht, kurz nach Abschluß des Waffenstillstandes von
Villafranca, geriet ich in die Gegend des nördlichen Korso. Nicht ein Laut war
zurückgeblieben von dem Gewühl der Tagesgeschäfte. Der Straßendamm war leer!
nur hin und wieder, von Viertelstunde zu Viertelstunde, hallte der rasche, harte
Tritt einer französischen Besatzungspatrouille über das Pflaster. Die Mauern der
dicht gedrängten Häuserreihen starrten mit ihren blinden Fenstern einander kalt
und tückisch an, unten aber in ihrem Schatten drückten sich vereinzelte Pärchen
vorbei, tauchten im Lichtkreis einer Laterne auf oder schlüpften durch das nächste
Tor wie aufgescheuchte Mäuse in ihr Loch. Ich allein wanderte achtlos zwischen
ihnen hin, die Häuserfronten auf und ab, hinunter nach der Piazza del Popolo,
zurück nach der Kirche San Carlo und unterhielt mich mit allerhand Vermutungen
über das Wesen der Ekstase, deren Physiologie zu ergründen mir einiges Vergnügen
bereitet haben würde.

Da trat aus einem der verdächtigen Gäßchen, die den Korso kreuzen, unerwartet
ein jüngerer Mann auf mich zu, der sich unter Komplimenten als Sor Domenico
vorstellte und im besten, höflichsten Toskanisch mich einlud, eine „^Ventura molto
interessante" zu genießen.

Zunächst hielt ich ihn für einen jener zudringlichen Ruffiani, die an der
Neugier ausländischer Lebemänner ein gutes Stück Kuppelgeld zu verdienen Pflegen.
Als er jedoch in deutscher Sprache hinzufügte, daß er Österreicher sei, mit bürger¬
lichem Namen Dominik Labun und im Dienste der Behörden Seiner Heiligkeit
stände, sah ich mir den Landsmann etwas näher an. Er war ein kleiner, unter¬
setzter Herr mit kurzen, dünnen Beinchen und verschmitztem Gesicht, die ganze
Gestalt, in Flausrock und Nankinghosen, zerknittert, grau und molluskenhaft.

„Was Sie auch mit mir vorhaben mögen," antwortete ich, „es würde nur
von Wert sein, zu erfahren, wie Sie gerade auf meine in jeder Hinsicht neutrale
Persönlichkeit geraten sind."

„O, bitte, sagen Sie nicht neutral," wehrte Sor Domenico unter einer ver-
Kindlichen Geste ab, „welcher Freund der Wissenschaft sollte den Doktor Krohn
nicht kennen I Und überdies suchten wir bereits den ganzen Abend Sie auf Ihrem


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[0442] Begegnung mit Schwester Eufemici Begegnung mit Schwester Gufemia Aus den Erinnerungen eines Naturphilosophen Rnrt Mariens von ^W./Mös ^^Z-en Sommer des Jahres 1859 brachte ich, angestrengten Studien hingegeben, in einem Zisterzienser-Kloster bei Tivoli zu. Die Bibliothek mit ihren ungehobener Schätzen, Handschriften der Neu- platomker und des Erigena, hielt mich tagsüber fest. Nur an kühlen I Abenden ritt ich zuweilen nach Rom hinüber, suchte in einem Gasthof Obdach für mich und das Pferd und durchstreifte alsdann die Gassen. Das schweigsame Hinfluten des Tiber, der Zug der Wolken über dem Kapital, die Schattenspiele des Mondes zwischen bröckelndem Gemäuer, am Kolosseum oder am Palatin, lockten Fragen aus mir hervor, deren Antwort von den Gestirnen nieder¬ rieselte und mir zu Häupten sich in schwelendem Rauch verlor. Während einer Julinacht, kurz nach Abschluß des Waffenstillstandes von Villafranca, geriet ich in die Gegend des nördlichen Korso. Nicht ein Laut war zurückgeblieben von dem Gewühl der Tagesgeschäfte. Der Straßendamm war leer! nur hin und wieder, von Viertelstunde zu Viertelstunde, hallte der rasche, harte Tritt einer französischen Besatzungspatrouille über das Pflaster. Die Mauern der dicht gedrängten Häuserreihen starrten mit ihren blinden Fenstern einander kalt und tückisch an, unten aber in ihrem Schatten drückten sich vereinzelte Pärchen vorbei, tauchten im Lichtkreis einer Laterne auf oder schlüpften durch das nächste Tor wie aufgescheuchte Mäuse in ihr Loch. Ich allein wanderte achtlos zwischen ihnen hin, die Häuserfronten auf und ab, hinunter nach der Piazza del Popolo, zurück nach der Kirche San Carlo und unterhielt mich mit allerhand Vermutungen über das Wesen der Ekstase, deren Physiologie zu ergründen mir einiges Vergnügen bereitet haben würde. Da trat aus einem der verdächtigen Gäßchen, die den Korso kreuzen, unerwartet ein jüngerer Mann auf mich zu, der sich unter Komplimenten als Sor Domenico vorstellte und im besten, höflichsten Toskanisch mich einlud, eine „^Ventura molto interessante" zu genießen. Zunächst hielt ich ihn für einen jener zudringlichen Ruffiani, die an der Neugier ausländischer Lebemänner ein gutes Stück Kuppelgeld zu verdienen Pflegen. Als er jedoch in deutscher Sprache hinzufügte, daß er Österreicher sei, mit bürger¬ lichem Namen Dominik Labun und im Dienste der Behörden Seiner Heiligkeit stände, sah ich mir den Landsmann etwas näher an. Er war ein kleiner, unter¬ setzter Herr mit kurzen, dünnen Beinchen und verschmitztem Gesicht, die ganze Gestalt, in Flausrock und Nankinghosen, zerknittert, grau und molluskenhaft. „Was Sie auch mit mir vorhaben mögen," antwortete ich, „es würde nur von Wert sein, zu erfahren, wie Sie gerade auf meine in jeder Hinsicht neutrale Persönlichkeit geraten sind." „O, bitte, sagen Sie nicht neutral," wehrte Sor Domenico unter einer ver- Kindlichen Geste ab, „welcher Freund der Wissenschaft sollte den Doktor Krohn nicht kennen I Und überdies suchten wir bereits den ganzen Abend Sie auf Ihrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/442>, abgerufen am 24.07.2024.