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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das Zwcckvcrbcmdsgoset; für Groß-Berlin

Hier mußte, da die widerstreitenden Interessen zu groß waren, um eine
freiwillige Einigung, einen freiwilligen Zweckverband herbeizuführen, die Hand
des Gesetzgebers eingreifen. Und sie fand den richtigen Weg, der unter den
augenblicklichen Verhältnissen als der allein gangbare bezeichnet werden muß,
wenn wir auch hoffen, daß es nur der erste Schritt auf dem.einmal beschrittenen
Wege ist. Nach dem Vorhergesagten ist nicht zu verkennen, daß noch mehrere
Groß-Berliner Fragen der einheitlichen Regelung bedürfen. Dies könnte leicht
geschehen durch Bildung freiwilliger Zweckverbände für diese Fragen, was nach
dem neuen allgemeinen Zweckoerbandsgesetze möglich ist, nach den gemachten
Erfahrungen aber von den Groß-Berliner Gemeinden nicht gut anzunehmen ist.

Es ist richtig, daß, so bequem und einfach eine Eingemeindung großen
Stils erscheint, diese nicht mehr angängig ist, nachdem Berlin vor zwei Jahr¬
zehnten den richtigen Zeitpunkt verpaßt hat. Das war auch bei Wien im
Jahre 1890 bei der damaligen Bevölkerungsziffer möglich, ist es aber nicht bei
dem heutigen Groß-Berlin mit rund vier Millionen Einwohnern. Und was
würde die Folge einer solchen Eingemeindung sein? Man müßte höchst¬
wahrscheinlich den so entstandenen großen Körper in irgendeiner Weise zwecks
besserer und übersichtlicher Verwaltung teilen, man müßte dezentralisieren. Aus
den gleichen Zweckmäßigkeitsgründen würde man die Rathäuser der einzelnen
Gemeinden stehen lassen und man würde Bezirksparlamente schaffen, die mit
größeren Vollmachten -- selbständiger Abschluß von Rechtsgeschäften usw. --
ausgestattet werden müßten, da schon heute der Abschluß eines Vertrages mit
Berlin eine kleine Herkulesarbeit ist. Der Erfolg würde also die Belassung des
heutigen Zustandes sein, während die Absicht schon wahrscheinlich ein großes
Geschrei über die Vergewaltigung der Selbstverwaltung auslösen würde. In
der in dem Entwürfe vorgeschlagenen Regelung kann jedenfalls eine solche nicht
erblickt werden. Denn das Organ des Zwangszweckverbandes beruht ja eben¬
falls auf der Selbstbestimmung der Gesamtheit der einzelnen Gemeinden, ist
also reines Selbstverwaltungsorgan. Daß die Gemeinden an dieses einzelne
bisher ihrer Souveränität unterstehende Materien abgeben müssen, könnte nur
dann als Beschränkung der Selbstoerwaltungsrechte ausgelegt werden, wenn
dieses Organ ein staatliches wäre. Das ist aber nicht der Fall. Und im übrigen
stand es den Gemeinden frei, schon vorher ein solches Organ aus eigenem
Antrieb zu schaffen. Aber die widerstreitenden Interessen waren eben stärker.
Jetzt sagt die Bevölkerung: Notwendigkeiten sind noch härter, und begrüßt ebenso
wie der Landtag den Gesetzentwurf mit allseitiger Freude und Sympathie.

Ganz unsinnig ist der Vorwurf, daß die Regierung den Gesetzentwurf nur
eingebracht habe, damit der Forstfiskus seine Wälder um Berlin besser verkaufen
könne. Der Fiskus hat -- soweit durch Zeitungsnachrichten und Äußerungen im
Parlamente bekannt geworden ist -- die Teile seiner Waldungen, die als Dauerwald
erhalten bleiben sollen, bereits bestimmt, und hoffentlich vergibt er die anderen
Teile nur in Erbpacht und erfüllt somit in großzügiger Weise den Wunsch aller


Das Zwcckvcrbcmdsgoset; für Groß-Berlin

Hier mußte, da die widerstreitenden Interessen zu groß waren, um eine
freiwillige Einigung, einen freiwilligen Zweckverband herbeizuführen, die Hand
des Gesetzgebers eingreifen. Und sie fand den richtigen Weg, der unter den
augenblicklichen Verhältnissen als der allein gangbare bezeichnet werden muß,
wenn wir auch hoffen, daß es nur der erste Schritt auf dem.einmal beschrittenen
Wege ist. Nach dem Vorhergesagten ist nicht zu verkennen, daß noch mehrere
Groß-Berliner Fragen der einheitlichen Regelung bedürfen. Dies könnte leicht
geschehen durch Bildung freiwilliger Zweckverbände für diese Fragen, was nach
dem neuen allgemeinen Zweckoerbandsgesetze möglich ist, nach den gemachten
Erfahrungen aber von den Groß-Berliner Gemeinden nicht gut anzunehmen ist.

Es ist richtig, daß, so bequem und einfach eine Eingemeindung großen
Stils erscheint, diese nicht mehr angängig ist, nachdem Berlin vor zwei Jahr¬
zehnten den richtigen Zeitpunkt verpaßt hat. Das war auch bei Wien im
Jahre 1890 bei der damaligen Bevölkerungsziffer möglich, ist es aber nicht bei
dem heutigen Groß-Berlin mit rund vier Millionen Einwohnern. Und was
würde die Folge einer solchen Eingemeindung sein? Man müßte höchst¬
wahrscheinlich den so entstandenen großen Körper in irgendeiner Weise zwecks
besserer und übersichtlicher Verwaltung teilen, man müßte dezentralisieren. Aus
den gleichen Zweckmäßigkeitsgründen würde man die Rathäuser der einzelnen
Gemeinden stehen lassen und man würde Bezirksparlamente schaffen, die mit
größeren Vollmachten — selbständiger Abschluß von Rechtsgeschäften usw. —
ausgestattet werden müßten, da schon heute der Abschluß eines Vertrages mit
Berlin eine kleine Herkulesarbeit ist. Der Erfolg würde also die Belassung des
heutigen Zustandes sein, während die Absicht schon wahrscheinlich ein großes
Geschrei über die Vergewaltigung der Selbstverwaltung auslösen würde. In
der in dem Entwürfe vorgeschlagenen Regelung kann jedenfalls eine solche nicht
erblickt werden. Denn das Organ des Zwangszweckverbandes beruht ja eben¬
falls auf der Selbstbestimmung der Gesamtheit der einzelnen Gemeinden, ist
also reines Selbstverwaltungsorgan. Daß die Gemeinden an dieses einzelne
bisher ihrer Souveränität unterstehende Materien abgeben müssen, könnte nur
dann als Beschränkung der Selbstoerwaltungsrechte ausgelegt werden, wenn
dieses Organ ein staatliches wäre. Das ist aber nicht der Fall. Und im übrigen
stand es den Gemeinden frei, schon vorher ein solches Organ aus eigenem
Antrieb zu schaffen. Aber die widerstreitenden Interessen waren eben stärker.
Jetzt sagt die Bevölkerung: Notwendigkeiten sind noch härter, und begrüßt ebenso
wie der Landtag den Gesetzentwurf mit allseitiger Freude und Sympathie.

Ganz unsinnig ist der Vorwurf, daß die Regierung den Gesetzentwurf nur
eingebracht habe, damit der Forstfiskus seine Wälder um Berlin besser verkaufen
könne. Der Fiskus hat — soweit durch Zeitungsnachrichten und Äußerungen im
Parlamente bekannt geworden ist — die Teile seiner Waldungen, die als Dauerwald
erhalten bleiben sollen, bereits bestimmt, und hoffentlich vergibt er die anderen
Teile nur in Erbpacht und erfüllt somit in großzügiger Weise den Wunsch aller


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/436>, abgerufen am 24.07.2024.