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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

"amerikanische", -- überall einwandfreie sind, mag dahingestellt bleiben. Es ist
ohne Widerrede nur richtig, daß die Behörden den Zeichenunterricht so sorgsam
überwachen, und daß er bis in die obersten Klassen der höheren Schulen durch¬
geführt wird. Denn bei den germanischen Völkern ist der Formensinn ver¬
hältnismäßig schwach ausgebildet und die Erziehung des Auges durchschnittlich
eine recht geringwertige. Knaben wie Mädchen werden viel zu einseitig auf die
Verstandesarbeit hingewiesen, viel zu wenig wird die Beobachtung, das Sehen
erzogen. Es ist oft wirklich traurig, zu bemerken, mit welch stumpfem Auge
selbst geistig sehr hoch stehende Männer wie Frauen durch Gottes schöne Welt
und an ihrem künstlerischen Abbilde, an den Werken der bildenden Künste,
vorübergehen. Es gibt eine recht erhebliche Anzahl von Männern, die "im
Leben stehen", d. h. in irgendeinem freien Gewerbe ihren Unterhalt gewinnen,
welche die Beschäftigung mit der Kunst im Grunde als einen Luxus, ja, im
tiefsten Winkel ihres Herzens als für Frauen und Unbeschäftigte geeignet betrachten.
Und doch, wie roh und arm wäre ein Volk ohne Kunstpflege, umso mehr, als
die Kunst auf das engste mit den wirtschaftlichen Bedingnissen einer Zeit ver¬
bunden ist. Kunst und Wirtschaft stehen in einem festen und logischen Verhältnis
zueinander, vor allem durch den Kunsthandel und durch den Kunstbesttz. Der
erstere reizt durch sein Angebot die Nachfrage, und der letztere erzieht zur
Kunstfreude, zum Kunstbedürfnis, zum Kunstverständnis. Und hier bietet die
Kunst eine der sichersten Handhaben für einen Sozialpolitiker, um die sozialen
Klassengegensätze zu überbrücken, arm und reich zu versöhnen; "insofern die
Steigerung der Dringlichkeit an sich relativer Bedürfnisse nach dem Vorbild der
höheren Klassen zur Erweiterung der Bedürfnisse der Masse des ganzen Volkes
und zur Hebung ihrer Lage führt, wird auch der Luxus der höheren Klassen
selbst gerechtfertigt". (Brentano.) Und je größer der Besitz an Kunstwerken
jeglicher Art im ganzen Volke ist, eine um so homogenere Masse bildet es.

Zu dem Kapitel "Ausbildung der Lehrenden" gehören die Informations¬
reisen, die unsere Künstler und Regierungsbeamten in fremde Länder zu unter¬
nehmen haben. Auch dürfte hier die Beschickung der Weltausstellungen und.
die Unterstützung der Aussteller angemerkt werden.

Eine nicht unbeträchtliche direkte Unterstützung der bildenden Künste wird
weiterhin von Staats wegen durch den Ankauf von Kunstwerken auf den Kunst-
ausstelluugen geboten. Es ist zu diesem Zweck in verschiedenen Ländern eine
Kunstkommission eingesetzt, die derartig gewählt wird, daß eine einseitige Bevor¬
zugung von Kunstrichtungen ausgeschlossen sein soll. Zweifelsohne ist namentlich
der modernen Kunst gegenüber die Wahrung einer so weit wie irgend möglich
gehenden Objektivität geboten, da wir viel zu sehr in der Phase der Entwickelung
begriffen sind. Unter solchen Umständen muß man auf gute Arbeit, berechtigte
künstlerische Absichten blicken und jeden persönlichen Geschmack beiseite setzen.
Gerade öffentlichen Sammlungen gegenüber muß der Gesichtspunkt festgehalten
werden, daß man auch aus Irrtümern lernen kann, und daß die Museen nicht


Bildende Kunst und innere Politik

„amerikanische", — überall einwandfreie sind, mag dahingestellt bleiben. Es ist
ohne Widerrede nur richtig, daß die Behörden den Zeichenunterricht so sorgsam
überwachen, und daß er bis in die obersten Klassen der höheren Schulen durch¬
geführt wird. Denn bei den germanischen Völkern ist der Formensinn ver¬
hältnismäßig schwach ausgebildet und die Erziehung des Auges durchschnittlich
eine recht geringwertige. Knaben wie Mädchen werden viel zu einseitig auf die
Verstandesarbeit hingewiesen, viel zu wenig wird die Beobachtung, das Sehen
erzogen. Es ist oft wirklich traurig, zu bemerken, mit welch stumpfem Auge
selbst geistig sehr hoch stehende Männer wie Frauen durch Gottes schöne Welt
und an ihrem künstlerischen Abbilde, an den Werken der bildenden Künste,
vorübergehen. Es gibt eine recht erhebliche Anzahl von Männern, die „im
Leben stehen", d. h. in irgendeinem freien Gewerbe ihren Unterhalt gewinnen,
welche die Beschäftigung mit der Kunst im Grunde als einen Luxus, ja, im
tiefsten Winkel ihres Herzens als für Frauen und Unbeschäftigte geeignet betrachten.
Und doch, wie roh und arm wäre ein Volk ohne Kunstpflege, umso mehr, als
die Kunst auf das engste mit den wirtschaftlichen Bedingnissen einer Zeit ver¬
bunden ist. Kunst und Wirtschaft stehen in einem festen und logischen Verhältnis
zueinander, vor allem durch den Kunsthandel und durch den Kunstbesttz. Der
erstere reizt durch sein Angebot die Nachfrage, und der letztere erzieht zur
Kunstfreude, zum Kunstbedürfnis, zum Kunstverständnis. Und hier bietet die
Kunst eine der sichersten Handhaben für einen Sozialpolitiker, um die sozialen
Klassengegensätze zu überbrücken, arm und reich zu versöhnen; „insofern die
Steigerung der Dringlichkeit an sich relativer Bedürfnisse nach dem Vorbild der
höheren Klassen zur Erweiterung der Bedürfnisse der Masse des ganzen Volkes
und zur Hebung ihrer Lage führt, wird auch der Luxus der höheren Klassen
selbst gerechtfertigt". (Brentano.) Und je größer der Besitz an Kunstwerken
jeglicher Art im ganzen Volke ist, eine um so homogenere Masse bildet es.

Zu dem Kapitel „Ausbildung der Lehrenden" gehören die Informations¬
reisen, die unsere Künstler und Regierungsbeamten in fremde Länder zu unter¬
nehmen haben. Auch dürfte hier die Beschickung der Weltausstellungen und.
die Unterstützung der Aussteller angemerkt werden.

Eine nicht unbeträchtliche direkte Unterstützung der bildenden Künste wird
weiterhin von Staats wegen durch den Ankauf von Kunstwerken auf den Kunst-
ausstelluugen geboten. Es ist zu diesem Zweck in verschiedenen Ländern eine
Kunstkommission eingesetzt, die derartig gewählt wird, daß eine einseitige Bevor¬
zugung von Kunstrichtungen ausgeschlossen sein soll. Zweifelsohne ist namentlich
der modernen Kunst gegenüber die Wahrung einer so weit wie irgend möglich
gehenden Objektivität geboten, da wir viel zu sehr in der Phase der Entwickelung
begriffen sind. Unter solchen Umständen muß man auf gute Arbeit, berechtigte
künstlerische Absichten blicken und jeden persönlichen Geschmack beiseite setzen.
Gerade öffentlichen Sammlungen gegenüber muß der Gesichtspunkt festgehalten
werden, daß man auch aus Irrtümern lernen kann, und daß die Museen nicht


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[0421] Bildende Kunst und innere Politik „amerikanische", — überall einwandfreie sind, mag dahingestellt bleiben. Es ist ohne Widerrede nur richtig, daß die Behörden den Zeichenunterricht so sorgsam überwachen, und daß er bis in die obersten Klassen der höheren Schulen durch¬ geführt wird. Denn bei den germanischen Völkern ist der Formensinn ver¬ hältnismäßig schwach ausgebildet und die Erziehung des Auges durchschnittlich eine recht geringwertige. Knaben wie Mädchen werden viel zu einseitig auf die Verstandesarbeit hingewiesen, viel zu wenig wird die Beobachtung, das Sehen erzogen. Es ist oft wirklich traurig, zu bemerken, mit welch stumpfem Auge selbst geistig sehr hoch stehende Männer wie Frauen durch Gottes schöne Welt und an ihrem künstlerischen Abbilde, an den Werken der bildenden Künste, vorübergehen. Es gibt eine recht erhebliche Anzahl von Männern, die „im Leben stehen", d. h. in irgendeinem freien Gewerbe ihren Unterhalt gewinnen, welche die Beschäftigung mit der Kunst im Grunde als einen Luxus, ja, im tiefsten Winkel ihres Herzens als für Frauen und Unbeschäftigte geeignet betrachten. Und doch, wie roh und arm wäre ein Volk ohne Kunstpflege, umso mehr, als die Kunst auf das engste mit den wirtschaftlichen Bedingnissen einer Zeit ver¬ bunden ist. Kunst und Wirtschaft stehen in einem festen und logischen Verhältnis zueinander, vor allem durch den Kunsthandel und durch den Kunstbesttz. Der erstere reizt durch sein Angebot die Nachfrage, und der letztere erzieht zur Kunstfreude, zum Kunstbedürfnis, zum Kunstverständnis. Und hier bietet die Kunst eine der sichersten Handhaben für einen Sozialpolitiker, um die sozialen Klassengegensätze zu überbrücken, arm und reich zu versöhnen; „insofern die Steigerung der Dringlichkeit an sich relativer Bedürfnisse nach dem Vorbild der höheren Klassen zur Erweiterung der Bedürfnisse der Masse des ganzen Volkes und zur Hebung ihrer Lage führt, wird auch der Luxus der höheren Klassen selbst gerechtfertigt". (Brentano.) Und je größer der Besitz an Kunstwerken jeglicher Art im ganzen Volke ist, eine um so homogenere Masse bildet es. Zu dem Kapitel „Ausbildung der Lehrenden" gehören die Informations¬ reisen, die unsere Künstler und Regierungsbeamten in fremde Länder zu unter¬ nehmen haben. Auch dürfte hier die Beschickung der Weltausstellungen und. die Unterstützung der Aussteller angemerkt werden. Eine nicht unbeträchtliche direkte Unterstützung der bildenden Künste wird weiterhin von Staats wegen durch den Ankauf von Kunstwerken auf den Kunst- ausstelluugen geboten. Es ist zu diesem Zweck in verschiedenen Ländern eine Kunstkommission eingesetzt, die derartig gewählt wird, daß eine einseitige Bevor¬ zugung von Kunstrichtungen ausgeschlossen sein soll. Zweifelsohne ist namentlich der modernen Kunst gegenüber die Wahrung einer so weit wie irgend möglich gehenden Objektivität geboten, da wir viel zu sehr in der Phase der Entwickelung begriffen sind. Unter solchen Umständen muß man auf gute Arbeit, berechtigte künstlerische Absichten blicken und jeden persönlichen Geschmack beiseite setzen. Gerade öffentlichen Sammlungen gegenüber muß der Gesichtspunkt festgehalten werden, daß man auch aus Irrtümern lernen kann, und daß die Museen nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/421>, abgerufen am 24.07.2024.