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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

Preußen von Bildungsstätten, welche die Kunst betreffen, in so erbarmungswürdiger
Weise entblößt ist. Die Kunstakademien ziehen zunächst alle irgendwie bildsamen
Talente an sich, die trotz aller Begrenzung ihres Könnens Verdienste um die
Kunst gewinnen können und unter allen Umständen stark zur Erweckung, zur
Stärkung des Kunstsinnes der Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit beizutragen
befähigt sind. Ferner wird eine Akademie als eine oberste Instanz in rein
künstlerischen Fragen, die man schnell in Aktion setzen kann, sehr viel zur Klärung
des Geschmackes beizutragen in der Lage sein; sie wird auch manchen ver¬
mögenden Mann zu Aufwendungen im Interesse der Kunst, d. h. des Volkes
veranlassen, die sonst wahrscheinlich unterblieben wären. Eine verständig geleitete
und gut unterstützte Akademie sollte übrigens eigentlich stets mit einer kunst¬
gewerblichen Abteilung verbunden sein. Es gilt dies besonders für solche Teile
des Landes, in denen, wie in Ost- und Westpreußen, die Industrie noch in den
Kinderschuhen steckt, zum Teil nur deshalb, weil die Genügsamkeit der Einwohner
und die mangelnde Übung der Arbeiter weder gute Arbeit verlangt, noch zu
liefern imstande ist*).

Von den Kunstgewerbeschulen möchte ich die Kunstgewerkschulen trennen,
weil in diesen nur die Handwerker, Stubenmaler, Schnitzer usw. ausgebildet
werden sollen. Auch diese Anstalten sind ein äußerst wichtiger Faktor für die
Absichten der inneren Politik, insbesondere für die Belebung und Hebung der
gesunden Elenrente der alten Dorf-, der sogenannten Bauernkunst. Durch eine
gewisse Verbindung aller Kunstschulen könnte man sie noch ertragreicher machen.
Hermann Obrist hat einen Weg aufgewiesen, wenn er sagt: "Man müßte für
alle Akademieschüler den zeitweiligen Besuch von Dekorationsmalerschulen, von
Steinmetzwerkplätzen und von Baugewerkschulen obligatorisch machen, die Kunst¬
gewerbeschüler müßten freien Zugang zu den Aktklassen der Akademien haben,
die Polytechniker mit kunstgewerblichen Werkstätten in steter Berührung bleiben
und jeweils irgendein Handwerk beherrschen, und der Kreislauf zwischen Knaben¬
handfertigkeitsschulen, Gewerbeschulen, Kunstgewerbeschulen, Polytechniker und
Akademien müßte in der Kunst ebenso lückenlos hergestellt werden, wie wir es
in der Industrie, in der Technik und in der Wissenschaft schon zum Teil ver¬
wirklicht sehen." Den Akademien wohnt endlich auch eine gesund retardierende
Kraft inne. Sie hemmen ein etwas allzu ungebundenes Probieren. Verständnis¬
voll und von noch aufwärts strebenden Künstlern geleitet, lassen die Akademien
einen vernünftigen Konservatismus zu seinem Recht gelangen.

Daß die Zeichenlehrer jetzt einer Schulung unterworfen werden, die einer¬
seits eine klare, sichere Lehrmethode in Bild und Wort verlangt, anderseits aber
auch ein gewisses Maß von künstlerischer Durchbildung zu bringen vermag, ist
unstreitig sehr berechtigt und wird gute Früchte tragen. Ob die Methoden, die
hier eingeschlagen werden, -- einer besonderen Vorliebe erfreut sich zurzeit die



Gründe für diese Rückständigkeit, erdrückende Vorherrschaft des Großgrundbesitzes,
D. Schrift!. haben wir in Heft 47 des 69: Jahrgangs herangezogen.
Bildende Kunst und innere Politik

Preußen von Bildungsstätten, welche die Kunst betreffen, in so erbarmungswürdiger
Weise entblößt ist. Die Kunstakademien ziehen zunächst alle irgendwie bildsamen
Talente an sich, die trotz aller Begrenzung ihres Könnens Verdienste um die
Kunst gewinnen können und unter allen Umständen stark zur Erweckung, zur
Stärkung des Kunstsinnes der Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit beizutragen
befähigt sind. Ferner wird eine Akademie als eine oberste Instanz in rein
künstlerischen Fragen, die man schnell in Aktion setzen kann, sehr viel zur Klärung
des Geschmackes beizutragen in der Lage sein; sie wird auch manchen ver¬
mögenden Mann zu Aufwendungen im Interesse der Kunst, d. h. des Volkes
veranlassen, die sonst wahrscheinlich unterblieben wären. Eine verständig geleitete
und gut unterstützte Akademie sollte übrigens eigentlich stets mit einer kunst¬
gewerblichen Abteilung verbunden sein. Es gilt dies besonders für solche Teile
des Landes, in denen, wie in Ost- und Westpreußen, die Industrie noch in den
Kinderschuhen steckt, zum Teil nur deshalb, weil die Genügsamkeit der Einwohner
und die mangelnde Übung der Arbeiter weder gute Arbeit verlangt, noch zu
liefern imstande ist*).

Von den Kunstgewerbeschulen möchte ich die Kunstgewerkschulen trennen,
weil in diesen nur die Handwerker, Stubenmaler, Schnitzer usw. ausgebildet
werden sollen. Auch diese Anstalten sind ein äußerst wichtiger Faktor für die
Absichten der inneren Politik, insbesondere für die Belebung und Hebung der
gesunden Elenrente der alten Dorf-, der sogenannten Bauernkunst. Durch eine
gewisse Verbindung aller Kunstschulen könnte man sie noch ertragreicher machen.
Hermann Obrist hat einen Weg aufgewiesen, wenn er sagt: „Man müßte für
alle Akademieschüler den zeitweiligen Besuch von Dekorationsmalerschulen, von
Steinmetzwerkplätzen und von Baugewerkschulen obligatorisch machen, die Kunst¬
gewerbeschüler müßten freien Zugang zu den Aktklassen der Akademien haben,
die Polytechniker mit kunstgewerblichen Werkstätten in steter Berührung bleiben
und jeweils irgendein Handwerk beherrschen, und der Kreislauf zwischen Knaben¬
handfertigkeitsschulen, Gewerbeschulen, Kunstgewerbeschulen, Polytechniker und
Akademien müßte in der Kunst ebenso lückenlos hergestellt werden, wie wir es
in der Industrie, in der Technik und in der Wissenschaft schon zum Teil ver¬
wirklicht sehen." Den Akademien wohnt endlich auch eine gesund retardierende
Kraft inne. Sie hemmen ein etwas allzu ungebundenes Probieren. Verständnis¬
voll und von noch aufwärts strebenden Künstlern geleitet, lassen die Akademien
einen vernünftigen Konservatismus zu seinem Recht gelangen.

Daß die Zeichenlehrer jetzt einer Schulung unterworfen werden, die einer¬
seits eine klare, sichere Lehrmethode in Bild und Wort verlangt, anderseits aber
auch ein gewisses Maß von künstlerischer Durchbildung zu bringen vermag, ist
unstreitig sehr berechtigt und wird gute Früchte tragen. Ob die Methoden, die
hier eingeschlagen werden, — einer besonderen Vorliebe erfreut sich zurzeit die



Gründe für diese Rückständigkeit, erdrückende Vorherrschaft des Großgrundbesitzes,
D. Schrift!. haben wir in Heft 47 des 69: Jahrgangs herangezogen.
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[0420] Bildende Kunst und innere Politik Preußen von Bildungsstätten, welche die Kunst betreffen, in so erbarmungswürdiger Weise entblößt ist. Die Kunstakademien ziehen zunächst alle irgendwie bildsamen Talente an sich, die trotz aller Begrenzung ihres Könnens Verdienste um die Kunst gewinnen können und unter allen Umständen stark zur Erweckung, zur Stärkung des Kunstsinnes der Bevölkerung in ihrer Allgemeinheit beizutragen befähigt sind. Ferner wird eine Akademie als eine oberste Instanz in rein künstlerischen Fragen, die man schnell in Aktion setzen kann, sehr viel zur Klärung des Geschmackes beizutragen in der Lage sein; sie wird auch manchen ver¬ mögenden Mann zu Aufwendungen im Interesse der Kunst, d. h. des Volkes veranlassen, die sonst wahrscheinlich unterblieben wären. Eine verständig geleitete und gut unterstützte Akademie sollte übrigens eigentlich stets mit einer kunst¬ gewerblichen Abteilung verbunden sein. Es gilt dies besonders für solche Teile des Landes, in denen, wie in Ost- und Westpreußen, die Industrie noch in den Kinderschuhen steckt, zum Teil nur deshalb, weil die Genügsamkeit der Einwohner und die mangelnde Übung der Arbeiter weder gute Arbeit verlangt, noch zu liefern imstande ist*). Von den Kunstgewerbeschulen möchte ich die Kunstgewerkschulen trennen, weil in diesen nur die Handwerker, Stubenmaler, Schnitzer usw. ausgebildet werden sollen. Auch diese Anstalten sind ein äußerst wichtiger Faktor für die Absichten der inneren Politik, insbesondere für die Belebung und Hebung der gesunden Elenrente der alten Dorf-, der sogenannten Bauernkunst. Durch eine gewisse Verbindung aller Kunstschulen könnte man sie noch ertragreicher machen. Hermann Obrist hat einen Weg aufgewiesen, wenn er sagt: „Man müßte für alle Akademieschüler den zeitweiligen Besuch von Dekorationsmalerschulen, von Steinmetzwerkplätzen und von Baugewerkschulen obligatorisch machen, die Kunst¬ gewerbeschüler müßten freien Zugang zu den Aktklassen der Akademien haben, die Polytechniker mit kunstgewerblichen Werkstätten in steter Berührung bleiben und jeweils irgendein Handwerk beherrschen, und der Kreislauf zwischen Knaben¬ handfertigkeitsschulen, Gewerbeschulen, Kunstgewerbeschulen, Polytechniker und Akademien müßte in der Kunst ebenso lückenlos hergestellt werden, wie wir es in der Industrie, in der Technik und in der Wissenschaft schon zum Teil ver¬ wirklicht sehen." Den Akademien wohnt endlich auch eine gesund retardierende Kraft inne. Sie hemmen ein etwas allzu ungebundenes Probieren. Verständnis¬ voll und von noch aufwärts strebenden Künstlern geleitet, lassen die Akademien einen vernünftigen Konservatismus zu seinem Recht gelangen. Daß die Zeichenlehrer jetzt einer Schulung unterworfen werden, die einer¬ seits eine klare, sichere Lehrmethode in Bild und Wort verlangt, anderseits aber auch ein gewisses Maß von künstlerischer Durchbildung zu bringen vermag, ist unstreitig sehr berechtigt und wird gute Früchte tragen. Ob die Methoden, die hier eingeschlagen werden, — einer besonderen Vorliebe erfreut sich zurzeit die Gründe für diese Rückständigkeit, erdrückende Vorherrschaft des Großgrundbesitzes, D. Schrift!. haben wir in Heft 47 des 69: Jahrgangs herangezogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/420>, abgerufen am 24.07.2024.